Zwischen Offensive und Defensive: Kanzler Merz in Brüssel Von den dpa-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

09.05.2025 17:41

Der neue Kanzler will Deutschland in Europa wieder zu einer
treibenden Kraft machen. Bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel muss er
sich aber bei einem Thema erst einmal gegen Kritik verteidigen.

Brüssel (dpa) - Europäischen Schulden nur in Ausnahmefällen,
Abschaffung des EU-Lieferkettengesetzes, null Zölle: Bei seinem
Antrittsbesuch in Brüssel hat Kanzler Friedrich Merz klare Ansagen
gemacht, ist bei einem Thema aber in die Defensive geraten. Mit
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident António
Costa und Parlamentspräsidentin Roberta Metsola traf er in der
belgischen Hauptstadt die drei Spitzenvertreter der EU, auch ein
Treffen mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte stand auf dem Programm.
Ein Überblick.

Merz: Grenzkontrollen sind kein Alleingang

Kritische Fragen musste sich Merz vor allem wegen der Verschärfung
der Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylsuchenden an den
Grenzen gefallen lassen. Der Kanzler entgegnete, die Zurückweisungen
stünden im Einklang mit europäischem Recht. Deutschland habe das
Recht, verschärfte Kontrollen durchzuführen, sagte der
CDU-Politiker. 

Gleichzeitig machte der Kanzler deutlich, dass sich die Maßnahmen
nicht negativ auf den europäischen Binnenmarkt auswirken sollen. «Ich
möchte das auch allen Staats- und Regierungschefs in der Europäischen
Union sagen, die in diesen Tagen vielleicht die Sorge haben, dass es
hier zu Einschränkungen kommt. Wir wollen unter allen Umständen
vermeiden, dass es zu Einschränkungen im Grenzverkehr kommt.»
Kommissionspräsidentin von der Leyen wollte das deutsche Vorgehen
nicht abschließend bewerten. Sie sagte, dass Grenzkontrollen an
EU-Binnengrenzen möglich seien - aber nur zeitlich begrenzt und in
enger Abstimmung.

Ukraine: Merz unterstützt Trump und droht Putin

Dass Merz am Vorabend seiner Brüssel-Reise mit US-Präsident Donald
Trump telefonierte, war Zufall. Aus diesem Gespräch brachte er aber
auch eine klare Ansage mit: Den Vorstoß für eine 30-tägige
bedingungslose Waffenruhe im Ukraine-Krieg unterstützte er und drohte
Russland gleichzeitig mit weiteren Sanktionen, sollte es nicht darauf
eingehen. 

«Insbesondere Russland ist jetzt aufgefordert, sich endlich auf einen
längeren Waffenstillstand einzulassen, der Raum geben muss für einen
echten Friedensvertrag», sagte er. «Wenn dies nicht geschieht, werden
wir nicht zögern, zusammen mit unseren europäischen Partnern und den
Vereinigten Staaten von Amerika den Sanktionsdruck weiter zu
erhöhen.»

Merz sagte auch etwa zum gewünschten Zeitplan: «Ich habe die große
Hoffnung, dass es über dieses Wochenende eine Verabredung gibt für
einen Waffenstillstand in der Ukraine.»

Zollkonflikt mit den USA - Merz wirbt für «down to zero»

Wie geht es weiter im Zollkonflikt mit den USA? Und wie positioniert
sich die neue deutsche Bundesregierung? Merz machte in Brüssel
deutlich, dass er die Bemühungen um eine Verhandlungslösung aktiv
unterstützen will. Nach eigenen Angaben warb er in seinem ersten
Telefonat mit Donald Trump für eine Abschaffung aller Zölle zwischen
den Vereinigten Staaten und der EU. «Ich habe ihm gesagt, das ist aus
meiner Sicht keine gute Idee, diesen Zollstreit zu eskalieren. Die
beste Lösung wäre down to zero (runter auf null) für alles und für

alle», sagte der CDU-Politiker. Trump habe ihn eingeladen, nach
Washington zu kommen, und man werde in naher Zukunft über diese Frage
miteinander reden.

«Mein Eindruck ist, dass auch in Amerika die Diskussion über die
nachteiligen Auswirkungen der hohen Zölle für die eigene
Volkswirtschaft mittlerweile beginnt, und die nimmt er natürlich
wahr», sagte Merz.

Merz und die Nato

Bei seinem Antrittsbesuch im Hauptquartier der Nato bekam es Merz mit
allen großen Themen zu tun, die das Verteidigungsbündnis derzeit
beschäftigen. Neben den Forderungen von US-Präsident Trump nach
Verteidigungsausgaben in Höhe von bis zu fünf Prozent der
Wirtschaftskraft und Russlands Krieg war das unter anderem die
Beitrittsperspektive der Ukraine. Merz äußerte sich dazu nicht
besonders optimistisch. «Die Ukraine hat eine Beitrittsperspektive in
die Europäische Union. Die wird zeitlich sicherlich vor dem
Nato-Beitritt liegen - wenn der denn dann eines Tages zustande kommen
sollte», sagte er. Zu zeitlichen Perspektiven äußerte sich Merz
nicht. Auch mit einem EU-Beitritt der Ukraine wird derzeit frühestens
zu Beginn des nächsten Jahrzehnts gerechnet.

Aktuelle Vorschläge, das Nato-Ziel für die Verteidigungsausgaben auf
3,5 Prozent des BIP zu erhöhen und dann auch noch Ausgaben für
militärisch nutzbare Infrastruktur in Höhe von 1,5 Prozent
vorzusehen, wollte Merz nicht konkret bewerten. Er betonte aber, dass
mehr Geld allein nicht die richtige Antwort auf die aktuellen
Herausforderungen sei, und forderte unter anderem auch Gespräche über
mehr Effizienz bei der Beschaffung von Waffensystemen. Zudem verwies
Merz darauf, dass schon eine um einen Prozentpunkt höhere BIP-Quote
für Deutschland derzeit ungefähr 45 Milliarden Euro mehr an
Verteidigungsausgaben bedeute. Derzeit sei die Bundesrepublik mit
zwei Prozent schon bei fast 100 Milliarden Euro.

Merz will europäisches Lieferkettengesetz abschaffen

In einer Pressekonferenz mit von der Leyen forderte Merz
Bürokratieabbau und die Abschaffung der europäischen
Lieferkettenrichtlinie. «Wir werden in Deutschland das nationale
Gesetz aufheben. Ich erwarte auch von der Europäischen Union, dass
sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie wirklich
aufhebt», sagte der CDU-Politiker. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag
steht eigentlich, dass das deutsche Lieferkettengesetz durch ein
Gesetz über die internationale Unternehmensverantwortung ersetzt
werden soll, «das die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD)
bürokratiearm und vollzugsfreundlich umsetzt».

EU-Schulden? Merz sieht schwierige Diskussion voraus

Vor den anstehenden Verhandlungen über den nächsten langfristigen
EU-Haushaltsplan betonte Merz in Brüssel, dass gemeinsame europäische
Schulden die Ausnahme bleiben müssten. Eine dauerhafte gemeinsame
Aufnahme etwa zum Aufbau der Verteidigungsindustrie schloss er aus.
Gleichzeitig räumte er ein, dass das eine schwierige Diskussion
werden dürfte. Etliche Staaten wie beispielsweise Frankreich sind
angesichts der Bedrohungen durch Russland offen für die Aufnahme
neuer gemeinsamer Schulden. Insbesondere Deutschland, die Niederlande
und Österreich lehnten dies aber bislang ab.

Wünsche an den neuen deutschen Kanzler

Und was sind die Erwartungen an Merz? EU-Ratspräsident Costa sagte,
er setze darauf, dass Merz Deutschland in den Mittelpunkt des
europäischen Entscheidungsprozesses stelle. Ein neuer Kopf bedeute
immer neue Ideen und neue Impulse. Costa äußerte sich zuversichtlich,
dass Merz' Energie und Wille die Europäische Union nach vorn bringen
werden.