Neue Ukraine-Initiativen: Rückt der Frieden nun näher? André Ballin, Michael Fischer, Katharina Redanz, dpa

11.05.2025 16:06

Die Europäer starten ihre erste größere diplomatische Initiative zur

Beendigung des Ukraine Kriegs. Putin spielt den Ball zurück. Die
Europäer lassen ihn abprallen. Wie geht es nun weiter?

Kiew/Moskau/Berlin/Paris/Brüssel (dpa) - Für Bundeskanzler Friedrich
Merz ist es die «größte diplomatische Initiative der letzten Monate
»,
die da in Kiew in Gang gesetzt wurde. Von einem «historischen» Moment
war die Rede, als er am Samstag im Garten des Marienpalastes
gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron,
Großbritanniens Premierminister Keir Starmer sowie dem polnischen
Regierungschef Donald Tusk und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr
Selenskyj eine Art Fahrplan zur Beendigung des seit mehr als drei
Jahren tobenden russischen Angriffskriegs präsentierte: erst eine
Waffenruhe, dann Verhandlungen und am Ende hoffentlich irgendeine
eine Lösung.

Doch schon Stunden später, kurz nach der Rückkehr des Kanzlers nach
Berlin in der Nacht zu Sonntag, wich die anfängliche Euphorie der
Ernüchterung. Putin ging in einer ersten Reaktion nicht auf den
ultimativ formulierten Vorschlag einer Waffenruhe ein, sondern machte
stattdessen einen eigenen Vorschlag. Der wiederum ist für die
Europäer nicht akzeptabel. Was nun? 

Was schlagen die Europäer vor?

Sie wollen, dass zunächst eine bedingungslose Waffenruhe in Kraft
tritt - mit Beginn an diesem Montag und zunächst für 30 Tage. Das
Zeitfenster soll genutzt werden, um zu ernsthaften Verhandlungen
zwischen der Ukraine und Russland über eine Beendigung des Krieges zu
kommen.

Wer steckt hinter dem Vorschlag der Europäer?

Die Initiative kommt von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und
Polen. In einer Videoschalte wurde die «Koalition der Willigen»
mitgenommen, in der sich die Unterstützer der Ukraine vernetzt haben.
Daran nahmen mehr als 20 weitere Staats- und Regierungschefs teil.
Anschließend rief Macron um kurz nach 6 Uhr amerikanischer Zeit
US-Präsident Donald Trump auf dem Handy an. Er stellte sein Telefon
laut, und versuchte ihn zusammen mit den anderen ins Boot zu holen.
Es gibt ein Foto davon, wie die fünf während des Telefonats zusammen
vor Macrons Handy auf einem Sofa sitzen.

Trump gab nach Angaben von europäischer Seite Rückendeckung für den
Vorstoß - wie schon am Donnerstag in einem Telefonat mit Merz. «Wir
wissen, dass uns die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen»,
sagte Selenskyj. 

Wie wollen die Europäer ihren Vorschlag durchsetzen?

Mit der Androhung von Sanktionen - vor allem im Energie und
Finanzsektor. Die Einzelheiten sind noch offen. Auch zusätzliche
Waffenlieferungen ziehen die Europäer in Erwägung, um Druck auf
Moskau auszuüben.

Wie hat Putin reagiert?

Er trommelte mitten in der Nacht zu Sonntag Journalisten zusammen und
machte ein Gegenangebot. Der Kremlchef will direkte Verhandlungen
zwischen Moskau und Kiew in Istanbul. Die Gespräche sollten noch an
diesem Donnerstag (15.5.) ohne Vorbedingungen beginnen, schlug Putin
vor. Später erklärte sein außenpolitischer Berater Juri Uschakow
allerdings, dass Russland durchaus ein Grundgerüst an Forderungen
habe. So sollen einerseits die Ergebnisse der vorherigen
Verhandlungsrunde aus dem Jahr 2022 - ebenfalls in Istanbul -
berücksichtigt werden, andererseits die Entwicklungen an der Front
seither. 

Was wurde 2022 in Istanbul ausgehandelt?

Im Entwurf eines Abkommens damals musste die Ukraine auf den
Nato-Beitritt verzichten. Die Unterzeichnung scheiterte schließlich
auch daran, dass Russland zwar Garantiemacht für die Sicherheit der
Ukraine sein wollte, selbst aber ein Vetorecht gegen das Eingreifen
anderer Staaten wie der USA oder Großbritanniens forderte. Damit wäre
die Ukraine in völlige Abhängigkeit vom guten Willen im Kreml
geraten.

Wie steht Putin zur vorgeschlagenen Waffenruhe?

Putins Verhandlungsangebot kann zwar als Antwort auf die Forderung
nach einer bedingungslosen Waffenruhe verstanden werden, er ging
darauf aber nicht explizit ein. Die Sprecherin des russischen
Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte später, es müsse erst übe
r
die Ursachen des Konflikts gesprochen werden, dann über eine
Waffenruhe. Die Verweigerung einer vorherigen Feuerpause dürfte zwei
Gründe haben: Erstens will Putin Stärke demonstrieren und daher kein
Ultimatum annehmen. Zweitens sieht sich Moskau auf dem Schlachtfeld
in der Oberhand. 

Durch die Weiterführung der Kämpfe will der Kreml den Druck auf Kiew
während der Verhandlungen hoch halten, um möglichst viele seiner
Forderungen durchzusetzen. Zugleich ist es für Putin auch deutlich
einfacher, die Verhandlungen als ergebnislos abzubrechen, solange
seine Truppen noch kämpfen. Diese Einheiten nach einer längeren
Waffenruhe wieder in Bewegung zu setzen, macht Putin nicht nur in der
internationalen Wahrnehmung zum Aggressor, sondern ist auch
innenpolitisch schwieriger, da auch in Russland nach drei Jahren
Krieg Hoffnung auf Frieden besteht.

Wie reagieren Kiew und die Europäer auf Putins Angebot?

Sie werten das Angebot Putins offiziell als positives Zeichen, wollen
aber nicht von ihrem Plan abrücken: «Erst müssen die Waffen
schweigen, dann können Gespräche beginnen», sagte Merz. Ähnlich
äußerten sich Selenskyj und Macron. Die Verbindung, die Putin zu den
2022 gescheiterten Gesprächen zieht, kommt bei den Europäern gar
nicht gut an. Verhandlungen über einen Frieden, während die
gegenseitigen Angriffe weiterlaufen, kommen für sie nicht in Frage.

Was sagt Trump?

Er äußert sich zuversichtlich, aber in der Sache wie so oft unklar.
«Ein möglicherweise großer Tag für Russland und die Ukraine», sch
rieb
er auf seinem Online-Sprachrohr Truth Social. Er werde weiter mit
beiden Seiten arbeiten, um das endlose «Blutbad» zu beenden. «Eine
große Woche steht bevor!» Den Zweckoptimismus kennt man von Trump,
gerade in der Ukraine-Frage. Ob etwas dahintersteckt, bleibt offen. 

Wie geht es jetzt weiter?

Die Woche beginnt mit dem Auslaufen des Ultimatums der Europäer an
Putin. Sollte Russland seine Waffen bis zum Ende des Tages nicht
schweigen lassen, wollen sie nach jetzigem Stand ihre Drohung wahr
machen und mit Sanktionen reagieren. Die Vorbereitungen dafür laufen.
Noch im Laufe der Woche könnte es Beschlüsse geben. Es sei denn, es
gibt vorher noch Bewegung auf russischer Seite. 

Welche EU-Sanktionen gegen Russland wären noch möglich?

Seit Beginn des Angriffskriegs Moskaus gegen die Ukraine hat die EU
16 Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht. Sie umfassen
etwa Reisebeschränkungen, das Einfrieren von Vermögenswerten sowie
eine Reihe von Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen etwa für russische
Energieträger wie Kohle und Öl. 

Derzeit wird ein 17. Sanktionspaket vorbereitet. Vorschläge der
Europäischen Kommission sehen eine weitere Verschärfung des Vorgehens
gegen die sogenannte russische Schattenflotte für den Transport von
Öl und Ölprodukten vor. Zudem ist geplant, Dutzende weitere
Unternehmen ins Visier zu nehmen, die an der Umgehung von bestehenden
Sanktionen beteiligt sind oder die russische Rüstungsindustrie
unterstützen.

Die neuen Sanktionen sollen aber deutlich über diese bisher bekannten
Pläne hinausgehen. Details nannten die Staats- und Regierungschefs am
Freitag bewusst noch nicht. Die Verhandlungen innerhalb der EU
darüber dürften schwierig werden, weil die Mitgliedstaaten in vielen
Sektoren nationale Interessen haben, gerade was den Energiebereich
angeht. Als unwahrscheinlich gilt, dass die EU an das eingefrorene
russische Vermögen in den Mitgliedstaaten gehen wird.