Impfstoff-Deal per SMS? Von der Leyen unterliegt vor Gericht Jan Christoph Freybott, dpa

14.05.2025 19:08

Milliardenschwere Geschäfte übers Handy? Im Prozess um die Herausgabe
von Ursula von der Leyens Nachrichten gibt es ein klares Urteil gegen
die Kommission. Es könnte über den Einzelfall hinaus wirken.

Luxemburg (dpa) - Die «New York Times» hat im Rechtsstreit um die
Herausgabe von SMS von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
einen deutlichen Sieg errungen. Die Zeitung und ihre Journalistin
hätten relevante Anhaltspunkte für die Existenz von Nachrichten
zwischen von der Leyen und dem Pfizer-Chef Albert Bourla dargelegt,
urteilten die Richterinnen und Richter am EU-Gericht in Luxemburg.
Die Kommission hingegen halte an ihrem Standpunkt fest, es lägen
keine relevanten Nachrichten vor, die herausgegeben werden könnten -
ohne das hinreichend zu begründen.

Die Kommission muss nun auf ein Neues über die Bitte um Offenlegung
der «New York Times» befinden. Zudem kann sie das Urteil noch am
Europäischen Gerichtshof anfechten.

Textnachrichten zu milliardenschweren Impfstoff-Deals?

Im Fokus steht ein Deal zwischen der Kommission und dem
Impfstoff-Hersteller Biontech/Pfizer aus dem Frühjahr 2021. Die
Parteien einigten sich auf die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden
Dosen Corona-Impfstoff, das Vertragsvolumen wurde damals auf 35
Milliarden Euro geschätzt. Wie die «New York Times» berichtete, war
der persönliche Kontakt zwischen von der Leyen und Pfizer-Chef Bourla
für den Abschluss entscheidend. Dabei sollen sie auch per SMS
kommuniziert haben.

Eine Journalistin der «New York Times» beantragte daraufhin zusammen
mit ihrer Zeitung den Zugang zu sämtlichen Textnachrichten, die von
der Leyen und Bourla zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 11. Mai 2022
ausgetauscht hatten. Die Kommission wiegelte mit der Begründung ab,
in ihrem Besitz befänden sich keine solchen Dokumente.

Gericht kanzelt Begründung der Kommission ab

Die Richterinnen und Richter machten deutlich, die Antworten der
Kommission zu der Anfrage basierten «entweder auf Hypothesen oder auf
wechselnden oder ungenauen Informationen». Sie habe nicht erklären
können, warum die Textnachrichten nicht in ihrem Besitz seien.
Sollten sie gelöscht worden sein, müsse auch das hinreichend erklärt

werden.

«Die Entscheidung ist ein Sieg für Transparenz und
Rechenschaftspflicht in der Europäischen Union und sendet die
deutliche Botschaft, dass flüchtige Kommunikation nicht außerhalb der
öffentlichen Kontrolle liegt», sagte eine Sprecherin der «New York
Times». Von der Kommission hieß es, sie werde das Urteil genau prüfen

und eine neue Entscheidung erlassen, die eine ausführlichere
Erklärung enthält.

Das Urteil könnte über den Einzelfall hinaus wirken

«Das Gericht hat klargestellt, dass Behörden nicht einfach so
behaupten können, sie haben bestimmte Dokumente nicht», sagte
Christoph Brill, Referent im Justiziariat des Deutschen
Journalisten-Verbandes. «Wenn der Antragsteller darlegen kann, dass
die Dokumente vorhanden waren, muss die Behörde genauer begründen,
warum sie angefragte Informationen nicht mehr hat oder nicht finden
kann.» Das Urteil entwickele die Rechtsprechung im Sinne von
Transparenz und Pressefreiheit weiter.

Im Prozess mit der «New York Times» bestritt die Kommission nicht,
dass Bourla und von der Leyen per SMS im Austausch standen. Es seien
aber keine SMS gefunden worden, die wesentlich für die Verhandlungen
gewesen seien. Beschäftigte der Kommission müssten Chats und andere
Dokumente nur dann archivieren, wenn sie als wichtig klassifiziert
werden, heißt es aus der Behörde.

Grüne sprechen von «Versteckspiel» auf von der Leyens Handy

Während der Pandemie hatte die EU-Kommission im Namen der
Mitgliedstaaten Verträge über Hunderte Millionen Dosen Impfstoff
verhandelt und abgeschlossen. Das Vorgehen stand immer wieder in der
Kritik, weil die Verträge nur teilweise öffentlich gemacht wurden
oder weil es Verzögerungen bei der Lieferung des Impfstoffs gab. Die
milliardenschweren Käufe von Corona-Impfstoff gerieten auch in das
Visier der europäischen Staatsanwaltschaft.

«Das Versteckspiel auf von der Leyens Handy muss ein Ende haben»,
sagte Daniel Freund, der für die Grünen im Europaparlament sitzt.
«Dienstliche Nachrichten müssen systematisch gespeichert, archiviert
und gegebenenfalls offengelegt werden.»

Von der Leyens SMS nicht zum ersten Mal im Fokus

Für von der Leyen ist es nicht die erste Affäre um unauffindbare
Textnachrichten. In ihrer Zeit als deutsche Verteidigungsministerin
wurden die Daten auf einem ihrer Handys gelöscht. Das
Verteidigungsministerium begründete die Handy-Löschung 2019 mit einem
«Sicherheitsvorkommnis». Kritiker monierten, dass dadurch Beweise in
der Berateraffäre verloren gegangen seien, in der es um Vorwürfe von
unkorrekter Auftragsvergabe bis zu Vetternwirtschaft ging.