Wie Brüssel und London wieder zueinanderfinden wollen Von Christoph Meyer und Marek Majewsky, dpa
19.05.2025 15:39
Der Liebesentzug der Amerikaner und die Bedrohung aus Russland
zwingen Europa und Großbritannien zum Überdenken ihrer Beziehung. Nun
gibt es einen Deal.
London/Brüssel (dpa) - Beim ersten Gipfel zwischen Großbritannien und
der EU seit dem Brexit sind sich beide Seiten wieder ein gutes Stück
nähergekommen. Die Weltlage mit Krieg in der Ukraine und der Abkehr
der US-Regierung unter Donald Trump ließ ihnen kaum eine Wahl.
Nach dem bitteren Rosenkrieg der Brexit-Jahre spielt auch die
Symbolik eine große Rolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen und EU-Ratspräsident António Costa wurden zur Unterzeichnung
des Deals im prunkvollen Lancaster House in London empfangen. Von der
Leyen schwärmte von einer «historischen» Vereinbarung. Starmer sprach
von «einer neuen Ära» - trotzdem gibt die Vereinbarung in erster
Linie den Rahmen für weitere Verhandlungen vor.
Ist das der erste Schritt für eine Rückkehr der Briten?
Nein. Zwar spricht sich laut Umfragen inzwischen eine Mehrheit der
Briten für einen Wiedereintritt in die EU aus, doch die politischen
Parteien in Großbritannien fassen das Thema Brexit noch immer mit
spitzen Fingern an.
Zu groß ist die Angst vor dem Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage. Der
hatte kürzlich bei Kommunalwahlen in England einen Achtungserfolg
erzielt. In Umfragen liegt Reform in der Wählergunst sogar vor den
regierenden Sozialdemokraten von Labour und den Konservativen.
Gibt es einen Verteidigungspakt?
Ja. London und Brüssel wollen künftig vor allem in Sachen Sicherheit
und Verteidigung enger zusammenarbeiten. Ein neues
Partnerschaftsabkommen soll hier unter anderem den regelmäßigen
Austausch, einfachere Verlegung von Material und Truppen sowie eine
Beteiligung britischer Unternehmen an dem 150 Milliarden schweren
geplanten Aufrüstungsprogramm der EU ermöglichen. Auch bei der
Unterstützung für die Ukraine wollen beide Seiten noch enger als
bisher kooperieren.
Dürfen EU-Bürger auf Visa-Erleichterungen hoffen?
Hier gibt es noch keinen weißen Rauch. Die Bundesregierung pocht
schon lange auf ein Programm für junge Menschen zwischen 18 und 30
Jahren, um in Großbritannien zumindest für begrenzte Zeit studieren
und arbeiten zu können.
Den Vorstoß der EU-Kommission für ein Youth Mobility Scheme lehnte
die inzwischen regierende Labour-Partei noch im April vergangenen
Jahres brüsk ab. Man werde nicht zur Personenfreizügigkeit
zurückkehren, durch die sich EU-Bürger ohne weiteres in
Großbritannien niederlassen konnten, hieß es damals.
Auch jetzt scheint das Thema weiter schwierig zu sein. Immerhin
einigten sich beide Seiten darauf, weiter darüber zu sprechen. Auch
eine Rückkehr der Briten in das Erasmus-Austauschprogramm für
Studierende wird in Aussicht gestellt.
How much is the fish?
Fischerei war schon während des Brexit-Referendums ein großes Thema -
obwohl die Branche nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung
ausmacht. «Wir haben unseren Fisch zurück. Es sind jetzt britische
Fische und dafür umso bessere und glücklichere Fische», jubilierte
der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, nachdem die Quoten für
EU-Fischer in den fischreichen britischen Gewässern durch den
endgültigen EU-Austritt Anfang 2021 deutlich sinken sollten.
Die derzeit gültige Verteilung sollte im kommenden Jahr auslaufen.
Nun will man sich bis Mitte 2038 vollen gegenseitigen Zugang zu
Fischereigewässern gewähren.
Wo ziehen beide Seiten eine rote Linie?
Die britische Regierung legt weiterhin viel Wert darauf, möglichst
wenig Angriffsfläche für Farage und seine Partei Reform UK zu bieten.
Eine Rückkehr in den Binnenmarkt oder die Zollunion gibt es vorerst
nicht - obwohl das den größten Schub für die Wirtschaft brächte.
Aufseiten Brüssels gibt es weiterhin die Sorge, Großbritannien könne
durch «Rosinenpicken» Begehrlichkeiten bei anderen Partnern wecken,
sich Privilegien zu verschaffen, ohne dafür Verpflichtungen
einzugehen. Ohne Beiträge zum EU-Haushalt und
Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfen sich die Briten kaum Hoffnungen auf
weitreichende Erleichterungen beim Marktzugang zur EU machen.
Welche No-Gos sind gefallen?
Ein paar heilige Kühe der Brexit-Puristen werden geschlachtet, etwa
das Nein zur dynamischen Angleichung an EU-Regeln für
Lebensmittelstandards und die Ablehnung des Europäischen Gerichtshofs
als Schiedsrichter bei gemeinsamen Vereinbarungen. Das soll den
Handel mit Lebensmitteln über den Ärmelkanal und auch zwischen
Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs wieder
erleichtern.
Wo wird die Zusammenarbeit sonst noch enger?
Grundsätzlich beschwören London und Brüssel mit dem Abkommen auch ihr
Bekenntnis zum freien Welthandel und den Regeln der
Welthandelsorganisation WTO - und positionieren sich damit gegen die
Linie von US-Präsident Donald Trump.
Ebenfalls Annäherungen soll es bei den Themen Energie und
Emissionshandel sowie im Kampf gegen irreguläre Migration geben. Auch
hier ist die Vereinbarung aber nur die Grundlage für weitere
Verhandlungen.