EU beschließt Ende der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien Von Ansgar Haase, Niklar Graeber und Amira Rajab, dpa
20.05.2025 18:37
Die jüngsten Gewaltexzesse in Syrien sorgen international für Sorgen.
Die EU will dem Land und der neuen Regierung allerdings dennoch eine
Chance geben - und trifft eine weitreichende Entscheidung.
Brüssel (dpa) - Rund ein halbes Jahr nach dem Sturz von
Langzeitherrscher Baschar al-Assad haben die Außenminister der
EU-Staaten die vollständige Aufhebung von Wirtschaftssanktionen gegen
Syrien beschlossen. Das teilte EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas in
Brüssel mit.
Der deutsche Außenminister Johann Wadephul sagte, man gebe der neuen
syrischen Führung eine Chance, erwarte aber eine Politik, die alle
Bevölkerungsgruppen und Religionsgruppen einbeziehe. Wichtig sei,
dass es ein geeintes Syrien gebe, das seine Zukunft in die eigene
Hand nehmen könne.
Waffenembargo bleibt
Beibehalten werden sollen nach dem vereinbarten Vorgehen nur
Sanktionen gegen Personen und Organisationen, die Verbindungen zum
Assad-Regime oder Verantwortung für die gewaltsame Unterdrückung des
syrischen Volkes haben, sowie für Menschenrechtsverletzungen. Zudem
bleiben auch Ausfuhrbeschränkungen für Waffen sowie Güter und
Technologien, die zur internen Repression verwendet werden, vorerst
in Kraft. Dazu gehören zum Beispiel auch Abhör- und
Überwachungssoftware.
EU hofft auf weniger Flüchtlinge
Die EU-Staaten hatten bereits im Februar eine schrittweise Lockerung
von Sanktionen vereinbart, um eine rasche wirtschaftliche Erholung
sowie den Wiederaufbau und die Stabilisierung des Landes zu
unterstützen. Maßnahmen im Energie-, Transport- und Bankensektor
wurden zunächst bis Juni ausgesetzt. Unter anderem weitreichende
Einschränkungen für die Zentralbank blieben zunächst aber bestehen.
Die EU schließt sich mit dem Vorgehen dem Kurs des neuen
US-Präsidenten Donald Trump an. Dieser hatte bereits in der
vergangenen Woche die Aufhebung aller US-Sanktionen angekündigt. Die
EU hat auch die Hoffnung, dass nach einer Stabilisierung des Landes
Hunderttausende syrische Flüchtlinge in der EU eines Tages in ihre
Heimat zurückkehren können. Syrer hatten viele Jahre lang einen
großen Teil der in der EU ankommenden Flüchtlinge ausgemacht.
Gewaltexzesse überschatten Hoffnungen
Dass die Aufhebung der Sanktionen ungeachtet der jüngsten
Gewaltausbrüche zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in
Syrien erfolgt, erklärte die EU mit mangelnden Alternativen. Zwar
gebe es weiter Zweifel, ob sich die Regierung in die richtige
Richtung bewege, sagte die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas. Aus ihrer
Sicht habe man aber keine Wahl. Man müsse es dem Land ermöglichen,
sich zu stabilisieren, um eine Entwicklung wie in Afghanistan zu
vermeiden.
Zuletzt war es in Syrien zu heftigen Kämpfen zwischen Angehörigen der
drusischen Minderheit und sunnitischen Milizen gekommen. Bereits im
März gab es in der westlichen Küstenregion Syriens blutige
konfessionelle Kämpfe zwischen Regierungstruppen der neuen Machthaber
und Assad-treuen Milizen.
Experten sehen Sanktionserleichterungen aus westlichen Staaten auch
als Prävention gegen den Einfluss Dritter. Andauernde Sanktionen
würden das Land weiter abhängig von ehemaligen Assad-Verbündeten wie
dem Iran und Russland machen. «Dies würde erneutem Extremismus,
regionaler Instabilität und dem Wiederaufleben des Islamischen Staats
Tür und Tor öffnen», analysiert etwa die US-Denkfabrik Atlantic
Council.