Israelische Schüsse gegen Diplomaten sorgen für Empörung
21.05.2025 19:07
Die Lage im besetzten Westjordanland ist extrem angespannt. Das
bekommen ausländische Diplomaten zu spüren, die sich ein Bild machen
wollen: Israelische Soldaten schießen. Gibt es Konsequenzen?
Ramallah/Berlin/Brüssel (dpa) - Schüsse israelischer Streitkräfte in
Richtung einer angemeldeten Delegation ausländischer Diplomaten im
besetzten Westjordanland sorgen in der Europäischen Union für
Empörung. Die Bundesregierung verlangte von der israelischen
Regierung Aufklärung, wie es dazu kommen konnte: «Diesen
unprovozierten Beschuss verurteilt das Auswärtige Amt scharf. Wir
können von Glück reden, dass nichts Schlimmeres passiert ist», sagte
eine Sprecherin laut einer Mitteilung.
Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) hatte zuvor mitgeteilt,
dass bei dem Diplomatenbesuch die israelische Armee Schüsse in der
Nähe der Delegation abgefeuert hatte. Das Außenministerium der PA
verurteilte den Vorfall in der Stadt im Norden des Westjordanlands
aufs Schärfste. Es gab zunächst keine Berichte über Verletzte.
Israels Militär sprach nach dem Vorfall von Warnschüssen und kündigte
eine Untersuchung an.
Frankreich kündigt Einbestellung des Botschafters an
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas forderte Israel nachdrücklich
auf, den Vorfall zu untersuchen und die Verantwortlichen zur
Rechenschaft zu ziehen. «Jegliche Bedrohung des Lebens von Diplomaten
ist inakzeptabel», sagte sie.
Der französische Außenminister Jean-Noël Barrot bezeichnete das
Geschehen als «nicht hinnehmbar» und kündigte die Einbestellung des
israelischen Botschafters in Frankreich an. Ähnliche Reaktionen kamen
aus Ländern wie Italien, Spanien und Belgien.
Das Auswärtige Amt antwortete auf die Frage der dpa, ob wie in
anderen Ländern der israelische Botschafter einbestellt worden sei:
«Außenminister Wadephul hat heute direkt mit dem israelischen
Außenminister telefoniert.»
Extrem angespannte Lage im Westjordanland
Der Vorfall in Dschenin verdeutlicht, wie gefährlich die Lage im von
Israel besetzten Westjordanland ist. Angespannt ist sie seit langem -
seit dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 hat sie sich
noch verschärft. Seitdem wurden dort nach Angaben des
Gesundheitsministeriums bei israelischen Militäreinsätzen,
bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen von Extremisten mehr
als 900 Palästinenser getötet. Zugleich gibt es verstärkt Gewalt
radikaler israelischer Siedler gegen palästinensische Zivilisten.
Dschenin gilt als Hochburg militanter Palästinenser. Israel hatte
dort im Januar die größte Militäroffensive gegen bewaffnete
Gruppierungen seit langem im Westjordanland begonnen. UN-Angaben
zufolge mussten Zehntausende Menschen ihre Häuser in den betroffenen
Gebieten verlassen.
Belgien: Fahrzeuge der Delegation waren klar zu erkennen
In der Stadt gibt es auch ein Flüchtlingslager - nach Medienberichten
waren die ausländischen Diplomaten in Dschenin, um es zu besichtigen
und sich über die humanitäre Lage vor Ort zu informieren.
Auch ein deutscher Diplomat und ein Fahrer aus dem Vertretungsbüro
Ramallah seien Teil der Delegation gewesen, teilte das Auswärtige Amt
mit. Die Gruppe sei in Koordinierung mit der Palästinensischen
Autonomiebehörde und der israelischen Armee unterwegs gewesen.
Nach Angaben des belgischen Außenministers Maxime Prévot war die
Delegation aus rund 20 Diplomaten in einem Konvoi von etwa 20
deutlich erkennbaren Fahrzeugen unterwegs.
Israel: Diplomaten-Konvoi wich von Route ab
Israels Militär teilte mit, die Delegation sei von einer zuvor
genehmigten Route für den Besuch von Dschenin abgewichen und habe ein
Gebiet betreten, in dem sie sich nicht hätten aufhalten dürfen.
Israelische Soldaten hätten Warnschüsse abgegeben, um die
Menschengruppe auf Distanz zu halten, hieß es weiter.
Nachdem sich herausgestellt habe, dass es sich um die Diplomaten
handelte, habe die Armee eine Untersuchung eingeleitet. Es solle mit
Vertretern der von dem Vorfall betroffenen Länder gesprochen werden.
Sie sollen über die Ergebnisse der Untersuchung informiert werden.
Die Armee betonte in der Mitteilung, die «entstandenen
Unannehmlichkeiten» zu bedauern.
Auswärtiges Amt: Diplomaten als unabhängige Beobachter unverzichtbar
Das Außenministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)
bezeichnete den Vorfall als einen «eklatanten und schwerwiegenden
Verstoß gegen das Völkerrecht».
Die Sprecherin des Auswärtigen Amtes betonte: «Die unabhängige
Beobachterrolle der Diplomatinnen und Diplomaten vor Ort ist
unverzichtbar und stellt in keinster Weise eine Bedrohung für
israelische Sicherheitsinteressen dar.» Die israelische Regierung
müsse die Unverletzlichkeit von Diplomatinnen und Diplomaten
respektieren.