In Bundesregierung bahnt sich Streit um EU-Atom-Kurs an
23.05.2025 16:39
Wie verhält sich die Bundesregierung zu Frankreichs Pro-Atom-Kurs auf
europäischer Ebene? Das klingt ganz unterschiedlich je nachdem, wer
antwortet. Die neue Koalition ist uneins.
Berlin (dpa) - Die Bundesregierung ringt um eine gemeinsame Haltung
in der Frage, ob Atomkraft auf EU-Ebene als nachhaltig eingestuft
werden soll. «Dazu laufen Gespräche auf europäischer Ebene mit
unseren europäischen Partnern, mit der Europäischen Kommission und
auch innerhalb der Bundesregierung», sagte der stellvertretende
Regierungssprecher Sebastian Hille in Berlin.
Zuvor hatte Bundesumweltminister Carsten Schneider erklärt,
Deutschland lehne diese Einstufung weiterhin ab. «Äußerungen von
einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, es gäbe hier eine neue
Offenheit, sind Privatmeinungen», sagte der SPD-Politiker der
Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Eine Positionierung der
Bundesregierung gibt es nicht und wird es mit der SPD auch künftig
nicht geben.»
Deutsch-französisches Papier wäre Kurswechsel
In einem zum Antrittsbesuch des frisch gewählten Kanzlers Friedrich
Merz (CDU) in Paris am 7. Mai veröffentlichten gemeinsamen Papier der
Regierungen in Paris und Berlin heißt es, man werde einen
deutsch-französischen Neustart in der Energiepolitik durchführen,
«der auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität
beruht».
Das bedeute etwa, die Gleichbehandlung auf EU-Ebene aller
emissionsarmer Energien sicherzustellen. Auch Kernenergie, die in
Frankreich eine wichtige Rolle spielt, gilt als emissionsarm.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hatte dazu am
Donnerstag in Brüssel gesagt, man müsse technologieoffen sein.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stellte es beim gemeinsamen
Auftritt mit Merz Anfang des Monats so dar: «Um unsere
Energiesouveränität unter Wahrung der nationalen Entscheidungen zu
gewährleisten, rufen wir dazu auf, auf europäischer Ebene alle
Diskriminierungen von kohlenstoffarmen Energien, sowohl nuklearen als
auch erneuerbaren, zu beenden.»
Schneider: Atomkraft birgt unkalkulierbare Risiken
Schneider sagte hingegen, Deutschland habe sich aus guten Gründen für
ein Energiesystem ohne Atomkraft entschieden. «Die Atomkraft ist
deutlich teurer als die erneuerbaren Alternativen, bei deren Ausbau
Deutschland bereits weit vorangekommen ist und die auch
wirtschaftlich ein erfolgreicher Standortfaktor sind. Atomkraft
bringt unkalkulierbare Risiken mit sich - mit Blick auf Unfälle und
die Verbreitung radioaktiven Materials. Ich kann eine solche
Technologie nicht ernsthaft als nachhaltig bezeichnen.»
Die Finanzierung von Atomanlagen aus EU-Mitteln lehne Deutschland ab,
sagte Schneider. «Das gilt auch für Versuche, Atomstrom mit
nachhaltiger Stromerzeugung aus erneuerbaren Energie gleichzusetzen.»
Man respektiere aber die Entscheidung anderer EU-Staaten, Atomenergie
zu nutzen, solange von diesen Anlagen keine Gefährdungen für die
deutsche Bevölkerung ausgingen.
Grüne warnen vor Risiken
Grünen-Chef Felix Banaszak sagte der dpa, Reiche wolle «die teure und
gefährliche Atomkraft als klimafreundlich» verkaufen. «Atomkraft als
nachhaltige Investitionen zu bezeichnen, ist ökologisch, finanziell
und sozial unverantwortlich, schädigt die Energiewende und untergräbt
die europäischen Klimaziele.» In Europa müssten erneuerbare Energien
nach vorn gestellt werden.