EU-Reform könnte Fluggastrechte deutlich schwächen Von Magdalena Henkel und Marek Majewsky, dpa

24.05.2025 05:00

Wenn ein gebuchter Flug mehr als drei Stunden Verspätung hat, haben
Passagiere Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Möglicherweise
gibt es in Zukunft für Betroffene jedoch deutlich seltener Geld.

Brüssel (dpa) - Von Verspätungen betroffene Fluggäste haben in
Zukunft möglicherweise deutlich seltener Anspruch auf Entschädigung.
Die EU-Staaten beraten derzeit über eine Reform der
Fluggastrechteverordnung. Angesichts der möglichen Neuerungen
schlagen Verbraucherschützer Alarm - sie fürchten, dass künftig ein
Großteil der betroffenen Fluggäste keinen Anspruch mehr auf
Entschädigung haben könnte. Auch aus der Bundesregierung kommt
Gegenwind.

Was plant die EU?

Der Ursprung der Reform reicht Jahre zurück: 2013 machte die
Europäische Kommission den Vorschlag, die wichtigste
Fluggastrechteverordnung aus dem Jahr 2004 (EG 261) zu reformieren.
Darin enthalten sind Änderungen bezüglich der Entschädigungsansprüc
he
im Falle von verspäteten Flügen. Ein Jahr später veröffentlichte da
s
Europäische Parlament seinen Bericht dazu. Doch jahrelang kam es zu
keiner Einigung. Jetzt gibt es wieder Bewegung bei dem Thema: Das
Vorhaben wird derzeit unter den EU-Staaten diskutiert.

Welche Entschädigungen stehen Fluggästen aktuell zu?

Laut geltender Fluggastrechteverordnung besteht für Fluggäste
pauschal ab drei Stunden Verspätung Anspruch auf Entschädigung,
sofern die Airline diese verschuldet:

* 250 Euro für Flüge bis 1.500 km
* 400 Euro für Flüge bis 3.500 km
* 600 Euro für Langstreckenflüge mit mehr als 3.500 km

Was würde sich ändern?

Der Reformvorschlag der Kommission sieht unter anderem vor, die
Entschädigungshöhe an verschiedenen Zeiten und Strecken festzumachen:

* 250 Euro erst ab fünf Stunden Verspätung (bis 3.500 km)
* 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 3.500 km
innerhalb der EU)
* 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 6.000 km bei
Flügen außerhalb der EU)
* 600 Euro ab zwölf Stunden Verspätung (mit mehr als 6.000 km)

Welche Konsequenzen hätte die Reform für Reisende und Airlines?

Nach Erhebungen von Flugdaten-Analysten würde im Falle der Reform,
wie sie die Kommission vorschlägt, der Großteil der betroffenen
Passagiere nicht mehr entschädigt werden. Verbraucherschützer
sprechen von rund 80 Prozent. 

Die Entschädigungspflicht sei ein zentraler Anreiz für
Fluggesellschaften, planmäßig und pünktlich zu operieren, sagte
Tomasz Pawliszyn, CEO des Fluggastrechteportals AirHelp. «Sollte die
Änderung angenommen werden, werden deutlich mehr und wesentlich
längere Verspätungen zur neuen Normalität im europäischen Luftverke
hr
werden». 

Diese Anpassung wäre ein gravierender Rückschritt, sagte auch die
Co-Leiterin des Europäischen Verbraucherzentrums Deutschland (EVZ),
Karolina Wojtal. Die meisten Verspätungen im Luftverkehr lägen
zwischen zwei und vier Stunden, die Fluggesellschaften würden daher
viel Geld sparen. «Airlines könnten dazu verleitet werden, Flüge
gezielt zu verspäten, anstatt sie zu annullieren, um Entschädigungen
zu umgehen.»

Um die Pünktlichkeit ist es hierzulande ohnehin nicht gut bestellt:
Nach Erhebungen von AirHelp war Deutschland im vergangenen Jahr eines
der Länder in Europa mit den meisten Beeinträchtigungen im
Flugverkehr. Mehr Störungen gab es demnach nur in Portugal und
Griechenland.

Wie steht Deutschland zu dem Reformvorschlag?

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig hat sich deutlich gegen die
diskutierte Änderung der Entschädigungsvorschriften ausgesprochen.
«Stundenlange Flugverspätungen sind ein echtes Ärgernis», sagte die

SPD-Politikerin, die in der Bundesregierung für den Verbraucherschutz
verantwortlich ist. 

Solche Verspätungen könnten wichtige Pläne durcheinanderbringen oder

den Start in den verdienten Urlaub vermiesen. Das koste wertvolle
Lebenszeit, sagte die Ministerin. Sie werde sich deshalb dafür
einsetzen, dass Flugreisende auch weiterhin ab einer Verspätung von
drei Stunden entschädigt werden. 

Wie schätzen Verbraucherschützer die potenzielle Reform ein?

Auch Verbraucherschützer kritisieren die geplante Reform: Zwar
könnten Ansprüche künftig leichter geltend gemacht werden - etwa
durch digitalere Prozesse, sagte Wojtal. «Doch gehen die wesentlichen
geplanten Änderungen zu Lasten der Verbraucher.» Eine Reform dürfe
nicht die aktuellen Ansprüche der Verbraucher beschneiden.

Die Airlines wiederum nützten die Gunst der Stunde und das
wirtschaftlich herausfordernde Umfeld, um all ihre
Lobby-Anstrengungen dahingehend auszurichten, dass die Reform ihre
Pflichten und finanziellen Belastungen möglichst reduziert, führte
Wojtal aus.

Was sagen Airline-Vertreter?

Die europäische Lobbyorganisation «Airlines for Europe» (A4E)
befürwortet eine Reform mit verlängerten Zeitschwellen. «Wenn etwas
schiefgeht, braucht es Zeit, um ein Ersatzflugzeug oder eine
Ersatzcrew zu finden», schreibt A4E auf der eigenen Website. Durch
die Verlängerung der Schwellenwerte hätten die Airlines gute Chancen,
eine Lösung zu finden, die den Flugplan wiederherstelle und
Passagiere ans Ziel bringe. Es käme zu weniger Flugausfällen, teilte
A4E mit. 

Wie geht es weiter?

Die Reform ist bisher nicht beschlossen. Noch steht nicht fest, ob es
unter den EU-Staaten eine Mehrheit für die Änderungen gibt. Das Thema
steht vermutlich bei einem Treffen der EU-Verkehrsminister in zwei
Wochen auf der Tagesordnung. Zudem muss auch das EU-Parlament
zustimmen.