Kritik aus der SPD an Merz' Waffen-Wende im Ukraine-Krieg
27.05.2025 08:11
Merz zieht aus den erfolglosen Bemühungen um ein Ende des
Ukraine-Kriegs Konsequenzen. Seine Kehrtwende bei den Einsatzregeln
für deutsche Waffen ist ein riskantes Manöver für den
Koalitionsfrieden.
Berlin (dpa) - Die von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU)
angekündigte Aufhebung der Beschränkungen für den Einsatz deutscher
Waffen gegen russisches Territorium im Ukraine-Krieg sorgt für Kritik
in der SPD. Der sozialdemokratische Außenpolitiker Ralf Stegner
nannte den Schritt «nicht hilfreich». Alles, was den Krieg ausweite,
sei falsch, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). «Ich
finde es vielmehr richtig, die diplomatischen Bemühungen zu
verstärken.»
Distanziert äußerte sich auch der frühere SPD-Fraktionschef Rolf
Mützenich. Er sei sehr unsicher, was der Vorstoß von Merz auf dem
Kriegsgebiet bedeute, sagte Mützenich im Deutschlandfunk. Er habe da
noch viele Fragen an den Kanzler. Es sei richtig gewesen, eine
Reichweitenbegrenzung vorzunehmen. «Ich würde die Bundesregierung
bitten, sich lieber an den diplomatischen Bemühungen zurzeit zu
beteiligen», sagte Mützenich. Es sei ganz offensichtlich, dass
Russlands Präsident Wladimir Putin eskaliere, es müsse daher alles
getan werden, den Prozess von Verhandlungen durch weitere
diplomatische Initiativen zu untermauern.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka
Brugger, begrüßte die Ankündigung des Kanzlers dagegen. «Wladimir
Putin bombt mit neuer Grausamkeit gerade jegliche Friedensbemühungen
und Gesprächsangebote in Grund und Boden. Es wäre ein Fehler, dies
tatenlos hinzunehmen», sagte sie.
Merz: «Keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr»
Merz hatte am Montag beim WDR-Europaforum in Berlin erklärt, dass für
die von Deutschland an die Ukraine gelieferten Waffen keine
Beschränkungen mehr gelten, was die Reichweite und damit den Einsatz
gegen russisches Territorium angeht. «Es gibt keinerlei
Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine
geliefert worden sind, weder von den Briten noch von den Franzosen,
noch von uns, von den Amerikanern auch nicht», sagte er. Das heiße,
die Ukraine könne sich jetzt «auch verteidigen, indem sie zum
Beispiel militärische Stellungen in Russland angreift. Das konnte sie
bis vor einiger Zeit nicht.»
Die Äußerung bedeutet einen Kurswechsel gegenüber seinem Vorgänger
Olaf Scholz (SPD). Der hatte zwar im vergangenen Jahr den Einsatz
deutscher Waffen wie den Mehrfachraketenwerfer Mars II gegen
Stellungen auf russischem Territorium für die Region um die umkämpfte
Großstadt Charkiw erlaubt. Er hatte sich in der Folge aber anders als
wichtige Bündnispartner wie Großbritannien und Frankreich gegen eine
darüber hinausgehenden Aufhebung der Einsatzbeschränkungen
ausgesprochen.
Klingbeil: «Da gibt es keine neue Verabredung»
Merz setzt sich nun erstmals an einer Stelle dezidiert von der
Ukraine-Politik seines Vorgängers ab. Auslöser dafür waren
offensichtlich die erfolglosen Bemühungen um eine Waffenruhe im
Ukraine-Krieg und die massiven russischen Luftangriffe auf die
Ukraine am Wochenende. Putin verstehe offensichtlich
Gesprächsangebote als Schwäche, sagte Merz. «Den Vorwurf, nicht alle
diplomatischen Mittel ausgeschöpft zu haben, die es gibt, den kann
uns nun niemand ernsthaft mehr machen.»
Inwieweit Merz seine Äußerungen mit dem Koalitionspartner abgestimmt
hat, blieb zunächst offen. Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD)
widersprach jedenfalls dem Eindruck, dass es einen Kurswechsel gebe.
«Was die Reichweite angeht, will ich noch sagen, da gibt es keine
neue Verabredung, die über das hinausgeht, was die bisherige
Regierung gemacht hat», sagte er auf Nachfrage bei einer
Pressekonferenz in Berlin.
Kreml-Sprecher: «Ziemlich gefährliche Entscheidungen»
Auch der Kreml reagierte auf die Merz-Äußerung. Dies seien «ziemlich
gefährliche Entscheidungen, wenn es sie gegeben hat», sagte
Kremlsprecher Dmitri Peskow.
Außenminister Johann Wadephul wies die Kritik aus Moskau umgehend
zurück. «Es hat jetzt mehrere Aufforderungen und Gelegenheiten
gegeben, an den Verhandlungstisch zu kommen für den russischen
Präsidenten und er hat sie ausgeschlagen», sagte der CDU-Politiker
bei einem Besuch in Lissabon. «Wir haben immer klar angekündigt, dass
dieses Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben wird.»
Deutsche Waffen reichen nicht weiter als 85 Kilometer
Operativ wird die Ankündigung von Merz zunächst kaum Auswirkungen
haben, da Deutschland kaum Waffen geliefert hat, mit denen die
ukrainischen Streitkräfte russische Stellungen und Nachschublinien
weit hinter der Frontlinie treffen können. Der Raketenwerfer Mars II
mit einer Reichweite von etwa 85 Kilometern und die Panzerhaubitze
2000 mit einer Reichweite von etwa 35 Kilometern sind die einzigen
beiden Waffensysteme.
Den Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern,
mit dem selbst Moskau erreicht werden könnte, hat Berlin bisher nicht
geliefert. Die USA, Frankreich und Großbritannien haben den
ukrainischen Streitkräften dagegen Raketen mit einer Reichweite von
teilweise mehr als 250 Kilometern zur Verfügung gestellt, die
Medienberichten zufolge schon gegen russisches Territorium eingesetzt
worden sein sollen.