EU-Staaten: Geld erst nach vier Stunden Flugverspätung Von Marek Majewsky, dpa
05.06.2025 20:20
Nach intensiven Verhandlungen steht am Abend eine Einigung: Künftig
soll es nach dem Willen der EU-Staaten erst später Geld für
Flugverspätungen geben als bislang. Deutschland wurde überstimmt.
Luxemburg (dpa) - Gegen großen Widerstand aus Deutschland sollen
Fluggäste nach dem Willen der EU-Staaten künftig erst nach vier
Stunden Verspätung entschädigt werden - und nicht wie bisher nach
drei Stunden. Eine ausreichende Mehrheit der EU-Verkehrsminister
stimmte bei einem Treffen in Luxemburg einer entsprechenden Änderung
der europäischen Fluggastrechte zu, wie die polnische
EU-Ratspräsidentschaft bekanntgab. Der Gesetzgebungsprozess ist
jedoch noch nicht abgeschlossen, das Europaparlament hat noch ein
Wort mitzureden.
Bis zu 500 Euro Entschädigung
Die Vier-Stunden-Regel soll dem Willen der Minister zufolge für
Distanzen bis 3.500 Kilometer gelten. Für längere Flugreisen ist eine
Frist von sechs Stunden vorgesehen. Dafür soll es dem Kompromiss der
EU-Staaten zufolge künftig 300 beziehungsweise 500 Euro Entschädigung
geben.
Bislang besteht für Fluggäste pauschal ab drei Stunden Verspätung
Anspruch auf Entschädigung, sofern die Airline diese verschuldet.
Konkret gibt es 250 Euro für Flüge bis 1.500 km; 400 Euro für Flüge
bis 3.500 km und 600 Euro für Langstreckenflüge mit mehr als 3.500
km.
Deutschland wurde überstimmt
Die Bundesregierung hatte sich vehement dafür eingesetzt, dass
Passagiere wie bisher ab drei Stunden Verspätung entschädigt werden
und dafür pauschal eine Entschädigung von 300 Euro bekommen. Dadurch
wären Verbraucherrechte gewahrt, aber auch Fluggesellschaften auf
Langstreckenflügen entlastet worden, sagte Bundesverkehrsminister
Patrick Schnieder (CDU) vor dem Treffen.
Entsprechend stimmte Deutschland der Änderung bei der Sitzung in
Luxemburg nicht zu. «Wir haben den Verbraucherschutz in den
Mittelpunkt gestellt», sagte Schnieder nach der Abstimmung. Er hoffe,
dass in bevorstehenden Gesprächen mit dem Europäischen Parlament die
Möglichkeit bestehe, den Verbraucherschutz zu stärken.
Airlines argumentieren mit schnelleren Ersatzflügen
Der deutsche Lobbyverband BDL hatte beim Institut Yougov eine Umfrage
unter Passagieren in Auftrag gegeben. Unter der Vorgabe, dass sie
noch am selben Tag ihr Ziel erreichen, waren demnach 73 Prozent der
befragten Passagiere bereit, erst nach fünf Stunden Verspätung einen
Entschädigungsanspruch zu erhalten.
Nur 21 Prozent fanden die Entschädigungszahlung bereits nach drei
Stunden wichtiger. Dafür nähmen sie in Kauf, ihr Ziel gegebenenfalls
erst ein oder zwei Tage später zu erreichen.
Die Airlines und ihre Verbände argumentieren, dass sie an vielen
Zielen in Europa technisch nicht in der Lage seien, innerhalb von
drei Stunden ein Ersatzflugzeug samt Crew zu stellen. Im Zweifel
werde dann auf einen zusätzlichen Flug verzichtet, weil die hohen
Entschädigungszahlungen ohnehin bereits angefallen seien. Fünf
Stunden sei die bessere Frist. Wie viel mehr Ersatzflüge genau durch
eine Fünf-Stunden-Regel noch am selben Tag stattfinden würden, ist
unklar.
Verbraucherschützer sehen Großteil der Entschädigungen in Gefahr
Die europäische Verbraucherschutzorganisation Beuc spricht von einer
erheblichen Einschränkung wichtiger Rechte. Die neuen Schwellenwerte
würden die Mehrheit der Fluggäste ihrer Rechte berauben, da die
meisten Verspätungen zwischen zwei und vier Stunden lägen.
Der Rechtsdienstleister Flightright sieht das ähnlich: «Wenn die
vorgeschlagene Revisionsfassung tatsächlich gesetzlich umgesetzt
wird, fallen bis zu 60 Prozent der heutigen Entschädigungsfälle
ersatzlos weg.» Hinzu kämen weitere Einschränkungen etwa durch die
Ausweitung außergewöhnlicher Umstände. Wenn das Parlament diese
Version der Fluggastrechte nicht stoppe, bleibe kaum etwas über.
Widerstand im Europaparlament
Grundsätzlich haben die Parlamentarier bei dem Vorhaben noch ein Wort
mitzureden. Dabei formiert sich unter deutschen Abgeordneten bereits
Widerstand gegen das Vorhaben der EU-Staaten. Der FDP-Politiker
Jan-Christoph Oetjen sagte, das Vorhaben sei in dieser Form «völlig
inakzeptabel». Er kündigte an, dass Fluggastrechte mit einer breiten
Mehrheit verteidigt würden.
Ähnliche Töne kommen auch aus anderen Parteien: Der
CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke betonte: «Als Parlament werden wir
keine Verschlechterung des Status quo akzeptieren.» Sein
CSU-Amtskollege Markus Ferber teilte mit, die drei Stunden hätten
sich als Richtwert etabliert und seien ein guter Mittelweg. Die
SPD-Abgeordnete Vivien Costanzo stellte vor der Abstimmung klar, dass
es aus ihrer Sicht keinesfalls Abstriche beim Verbraucherschutz geben
dürfe.
EU-Ratspräsidentschaft sieht Stärkung der Verbraucherrechte
Polens Verkehrsminister Dariusz Klimczak erklärte nach dem Treffen,
der Kompromiss bringe klarere und einfachere Vorschriften. Polen hat
derzeit den halbjährlich wechselnden Vorsitz unter den EU-Staaten
inne und bereitet unter anderem die Treffen der Ministerinnen und
Minister vor. Die überarbeiteten Vorschriften würden Fluggästen mehr
als 30 neue Rechte einräumen, die vom Kauf des Flugscheins bis zur
Ankunft am Zielort und in einigen Fällen auch darüber hinaus gelten
würden.
In einer Mitteilung der EU-Staaten heißt es, Fluggesellschaften
müssten den Fluggästen zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine
anderweitige Beförderung anbieten, einschließlich der Möglichkeit,
auf Flüge anderer Fluggesellschaften oder auf alternative
Verkehrsmittel umzusteigen.
Wenn eine Fluggesellschaft nicht innerhalb von drei Stunden eine
angemessene anderweitige Beförderung anbiete, könnten Fluggäste auf
eigene Faust eine Alternative organisieren und dafür eine Erstattung
von bis zu 400 Prozent des ursprünglichen Flugpreises verlangen.