Gentechnik-Debatte: Landwirte kämpfen mit Klimaschäden auf Feldern Daniel Josling, dpa
06.06.2025 04:30
Angesichts der Klimakrise wächst bei einigen Landwirten die Hoffnung
auf gentechnisch veränderte Pflanzen - doch Kritiker warnen vor
Risiken. Die EU steht vor einer richtungsweisenden Entscheidung.
Gatersleben (dpa/sa) - Kaum Regen, trockene Böden und Schädlinge, die
mit gefährlichen Erregern ganze Ernten bedrohen: Die Klimakrise
trifft die Landwirtschaft auch in Sachsen-Anhalt mit voller Wucht.
Landwirte und Wissenschaftler suchen deshalb gemeinsam nach
Antworten. Unterstützung kommt etwa vom Leibniz-Institut für
Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben im
Salzlandkreis, wo unter anderem mit biotechnologischen Methoden wie
der Genomeditierung experimentiert wird. Zwischen Labor,
Landwirtschaft und Politik entwickelt sich eine kontroverse Debatte
über Chancen und Risiken.
Auf den Feldern Sachsen-Anhalts sind die Folgen der Erderhitzung
längst sichtbar. «Wenn wir die letzten fünf, sechs Monate betrachten,
dann fehlen rund 100 Liter Wasser pro Quadratmeter», sagt der
Landwirt und Vorsitzende des Fachausschusses Pflanzenproduktion im
Bauernverband Sachsen-Anhalt, Sven Borchert. Besonders problematisch
sei, dass extreme Trockenphasen inzwischen regelmäßig auftreten -
häufig gefolgt von Starkregen, der kaum noch versickere.
Hinzu kommen neue Schädlinge und Pflanzenkrankheiten, mit denen
Landwirte bislang kaum Erfahrung haben. Eine der größten aktuellen
Sorgen: die Schilf-Glasflügelzikade. Das Insekt greift Kulturpflanzen
wie Kartoffeln, Zuckerrüben und Gemüse an - mit teils drastischen
Folgen. «Wir wissen sehr wenig über diese Zikade, aber sie macht uns
unheimlich das Leben schwer», sagt Borchert. Besonders betroffen
seien die Zuckerrüben: «Nicht nur der Ertrag sinkt, sondern auch der
Zuckergehalt.»
Pflanzenzucht im Wettlauf mit dem Klima
Angesichts dieser wachsenden Belastungen richtet sich der Blick
zunehmend auf neue Pflanzensorten - etwa solche, die Trockenheit
besser überstehen oder Nährstoffe effizienter verwerten. Doch die
klassische Pflanzenzucht hält laut Borchert mit dem Tempo der
klimatischen Veränderungen kaum Schritt. «Eine neue Sorte zu züchten
dauert 10 bis 15 Jahre - wir brauchen andere Wege.»
Eine der großen Hoffnungen ruht auf der Genomeditierung. Das
Verfahren Crispr/Cas wurde vor rund einem Jahrzehnt von den
Forscherinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier entwickelt -
sie wurden dafür 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Auch am IPK in Gatersleben wird seit einigen Jahren intensiv damit
geforscht.
Dort haben der Biotechnologe Robert Hoffie und sein Team ein
Viren-anfälliges Gen in Wintergerste mit Hilfe der Crispr-Technologie
gezielt ausgeschaltet. Dieses Gen dient bestimmten Viren als
Eintrittsstelle, über die sie sich in der Pflanze vermehren können -
ein empfindlicher Punkt im Erbgut. Dabei wird der DNA-Strang an einer
ganz bestimmten Stelle durchtrennt - ähnlich wie mit einer präzisen
Schere. «So lässt sich das Virus-Einfallstor im Erbgut gezielt
ausschalten», erklärt Hoffie. Auf diese Weise gelang es, eine
Resistenz gegen bestimmte Viren zu erzeugen.
Schatzkammer der Pflanzenvielfalt als Ausgangspunkt
Die Grundlage dafür stammt aus der eigenen Genbank. Hier lagern mehr
als 150.000 Muster von insgesamt knapp 3.000 Pflanzenarten - darunter
auch Gerstenlinien aus Südostasien, die sich als besonders resistent
gegen bestimmte Viruserkrankungen erwiesen haben. Ihre genetischen
Besonderheiten wurden entschlüsselt und anschließend gezielt
nachgebaut - nicht durch Übertragung fremder Gene, sondern durch
punktgenaue Veränderung des pflanzeneigenen Erbguts.
«Die Genbank liefert uns das Rohmaterial - aber die Kunst ist, aus
der Vielfalt gezielt das Richtige herauszuholen und nutzbar zu
machen», sagt Hoffie. Mit modernen Methoden wie der Genomeditierung
lasse sich dieser Prozess heute erheblich beschleunigen: «Was früher
15 bis 20 Jahre gedauert hat, können wir heute in zwei bis drei
Jahren schaffen.»
Der Transfer in die Praxis ist jedoch komplex. Bevor eine neue Sorte
tatsächlich auf dem Acker landet, vergeht viel Zeit.
Züchtungsunternehmen führen eigene Prüfungen durch, und die Sorten
müssen vom Bundessortenamt zugelassen werden. Noch ist der Anbau
solcher genomeditierter Pflanzen in der EU nicht erlaubt - doch das
könnte sich bald ändern.
Verhandlungen über Gentechnik in Brüssel
Im Sommer 2023 legte die EU-Kommission einen Vorschlag vor, bestimmte
durch neue genomische Techniken (NGT) erzeugte Pflanzen von den
bisherigen Gentechnikregeln auszunehmen - sofern sie auch durch
klassische Züchtungsmethoden hätten entstehen können. Derzeit laufen
in Brüssel die Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat und
Kommission über die genaue Ausgestaltung. Für einige Landwirte wie
Sven Borchert wäre dies ein wichtiger Schritt, um sich künftig besser
gegen Missernten zu wappnen.
Doch nicht alle sehen diese Entwicklung positiv. Die
Gentechnik-Expertin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND), Daniel Wannemacher, warnt: «Mit Gentechnik soll eine Pflanze
so verändert, dass sie in einem bestimmten Kontext, beispielsweise
auf Trockenheit, möglichst auf eine bestimmte Art und Weise
reagiert.»
Die Erhöhung der Toleranz gegen Hitze und Trockenheit sei aber
komplex, da diese Eigenschaften in der Regel auf vielen Genen
beziehungsweise Wechselwirkungen im Genom beruhen. Wannemacher glaubt
daher nicht, dass solche «NGT-Pflanzen» schnell verfügbar sein
werden.
Kritiker befürchten zudem geringere Transparenz und wenig
Möglichkeiten für Verbraucher, eine bewusste Kaufentscheidung zu
treffen. Die Kennzeichnung von Produkten, bei denen Gentechnikeinsatz
auf den Verpackungen angegeben wird, hatte Konsumenten bislang
abgeschreckt.
Forderungen nach Vielfalt statt technischer Lösungen
Um mit der Klimakrise und die sich immer schwerer vorhersehbaren
Wetterbedingungen besser umzugehen, benötigt es laut Wannemacher
«eine Wende hin zu nachhaltigen Anbausystemen, die lokal angepasst
werden können». «Agrarsysteme müssen ökologischer und diverser
werden, beispielsweise durch den Einsatz vielfältiger Sorten und
besserem Bodenschutz.» Statt Genom-Techniken zu fördern, sollte dem
BUND zufolge vielmehr die konventionelle sowie ökologische Züchtung
gestärkt werden.
Wie schnell und unter welchen Bedingungen neue Technologien
tatsächlich helfen können, bleibt offen. Ob die Genschere aus
Gatersleben am Ende zur Retterin der Landwirtschaft wird, dürfte
nicht nur eine Frage der Technik sein - sondern auch eine der
Akzeptanz.