So war Merz' erster EU-Gipfel Von Michael Fischer, Katharina Redanz und Ansgar Haase, dpa

27.06.2025 16:07

16 Stunden in Räumen ohne Fenster und trotzdem kein bisschen
Langeweile. Kanzler Merz meldet sich zurück auf der europäischen
Bühne - und fühlt sich in Brüssel gleich wieder wie zu Hause.

Brüssel (dpa) - Russland-Sanktionen, Gaza-Krieg, Zollstreit mit den
USA: Ziemlich genau 16 Stunden lang hat Bundeskanzler Friedrich Merz
bei seiner EU-Gipfelpremiere mit den Chefs der 26 anderen
Mitgliedstaaten in fensterlosen Räumen verhandelt. Am Ende konnte er
trotzdem sagen: «Ich habe mich hier ausgesprochen wohl gefühlt.» Es
sei eine «fruchtbare, sehr konstruktive und auch sehr kollegiale
Atmosphäre» gewesen, in der es ihm «zu keinem Zeitpunkt irgendwo
heute langweilig geworden» sei. 

Für Merz bedeutete der Gipfel die Rückkehr an den Ort, an dem er
seine politische Karriere von 1989 bis 1994 als Mitglied des
Europäischen Parlaments begonnen hatte. Nun will er Deutschland
wieder in eine echte Führungsrolle in der EU bringen. Er wolle seinen
«persönlichen Beitrag dazu leisten, dass Europa erfolgreich in die
nächsten Jahre geht», sagte er.

Bei seinem ersten Gipfel hielten sich die Erfolge aber noch in sehr
engen Grenzen.

Keine Einigung bei Zusammenarbeit mit Israel

Keine Einigung konnten Merz und die anderen Staats- und
Regierungschefs mit Blick auf die weitere Zusammenarbeit mit Israel
erzielen. In der Abschlusserklärung zu dem Thema wurde lediglich ein
interner Prüfbericht der EU zur Kenntnis genommen, demzufolge Israel
mit seinem Vorgehen im Gazastreifen gegen festgelegte Grundsätze für
eine enge Zusammenarbeit mit der EU verstößt. Man wolle die
Beratungen «über geeignete Folgemaßnahmen im Juli 2025 unter
Berücksichtigung der Entwicklung der Lage vor Ort» fortsetzen, heißt

es in dem Papier.

Mehrere EU-Regierungen hatten zuvor wegen des Prüfbericht-Ergebnisses
ein härteres Vorgehen gegen Israel gefordert. Spanien etwa will das
seit 2000 gültige Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Israel
aussetzen. Dafür bräuchte es jedoch Einstimmigkeit. Auch
wirtschaftliche Sanktionen oder eine Blockade von Israels Zugang zum
EU-Forschungsförderungsprogramm Horizon stehen im Raum.

Bundeskanzler Merz lehnt die von Spanien und anderen Ländern
geforderten Konsequenzen jedoch strikt ab. «Ein Außerkraftsetzen oder
gar eine Kündigung dieses Abkommens kommt mit der Bundesregierung
nicht infrage», sagte er zuletzt.

Slowakei blockiert Pläne für neue Russland-Sanktionen

Eine Enttäuschung gab es beim Gipfel auch beim Thema
Russland-Sanktionen. Kanzler Merz und zahlreiche andere Staats- und
Regierungschefs hatten gehofft, dass sie eine politische
Grundsatzeinigung auf ein neues Paket erzielen können.
Ministerpräsident Robert Fico verhinderte dies allerdings mit einem
Veto - und eine für diesen Freitag angesetzte formelle Abstimmung
musste auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

Fico will mit dem Vorgehen erzwingen, dass sein Land kompensiert
wird, wenn ein Plan der EU-Kommission für einen Importstopp
russischen Gases zu wirtschaftlichen Schäden in der Slowakei führen
sollte. Diesen Plan kann Fico nicht blockieren, weil er im Gegensatz
zu dem Sanktionspaket auch per Mehrheitsentscheidung gegen den Willen
der Slowakei entschieden werden kann.

Keine Fortschritte für die Ukraine

Wegen Ungarn konnte der EU-Gipfel zum dritten Mal in Folge keine
gemeinsamen Beschlüsse zur Unterstützung der Ukraine fassen. Für das

von Russland angegriffene Land bedeutet dies vor allem, dass es
weiter nicht auf schnelle Fortschritte im EU-Beitrittsprozess hoffen
kann. Nur ein schwacher Trost dürfe für die Ukraine sein, dass alle
anderen Gipfelteilnehmer ihr Tempo bei beitrittsbezogenen Reformen
würdigten und die bereits erzielten als erheblich bezeichneten. 

Ungarn lehnt einen EU-Beitritt der Ukraine unter anderem deswegen ab,
weil es befürchtet, dass die EU dadurch auch in einen Krieg mit
Russland geraten könnte. Immerhin sicherte Ungarn aber zu, der im
Juli anstehenden Verlängerung der bereits bestehenden
Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht im Wege zu stehen.

Mercosur-Abkommen bald in trockenen Tüchern?

Für Merz dürfte neben einer guten Eingliederung in die gesamte Truppe
der EU-Spitzen vor allem der Draht zum französischen Präsidenten
Emmanuel Macron wichtig sein. Nachdem sein Vorgänger Olaf Scholz
diesen nie fand, will Merz einen «Neustart» in den
deutsch-französischen Beziehungen. 

Ganz der gleichen Meinung scheinen die beiden aber noch nicht immer
zu sein. Während der deutsche Kanzler mit einem schnellen Abschluss
des Handelsabkommens zwischen der EU und den südamerikanischen
Mercosur-Staaten rechnet, sagte der französische Präsident im
Anschluss an das Gipfeltreffen deutlich, Frankreich könne es in
seiner jetzigen Form nicht mittragen.

Gibt es bald einen Deal im Zollstreit mit den USA?

Während des EU-Gipfels ging in Brüssel ein neues US-Angebot für eine

Einigung im Zollstreit ein. Ist es annehmbar? Die für die
Verhandlungen zuständige EU-Kommission wollte sich zum Inhalt und zur
Bewertung des Textes öffentlich nicht äußern. Merz machte nach den
Beratungen allerdings deutlich, dass er den Sack am liebsten schnell
zumachen würde. 

«Lieber jetzt schnell und einfach, als langsam und hoch kompliziert»,
sagte er in einer Pressekonferenz. Die von US-Präsident Donald Trump
eingeführten Zölle gefährdeten deutsche Unternehmen. Besonders für

die Automobilindustrie, die chemische Industrie, die pharmazeutische
Industrie, den Maschinenbau und die Stahl- und Aluminiumbranche
brauche es eine Lösung.

Merz äußerte sich vor dem Hintergrund, dass US-Präsident Donald Trump

ab dem 9. Juli noch mehr Zölle in Kraft treten lassen will, wenn die
EU den USA in Handelsfragen nicht entgegenkommt. Der Republikaner
begründet seinen Kurs vor allem damit, dass er angebliche
Handelsungleichgewichte korrigieren will.

Euro für Bulgarien

Einig waren sich die Staats- und Regierungschefs immerhin, dass die
Menschen in Bulgarien bald mit dem Euro zahlen sollen: Sie stellten
sich hinter den Vorschlag der EU-Kommission, der die Einführung der
Gemeinschaftswährung in dem Balkanland zum 1. Januar 2026 erlaubt.
Zuvor hatten dies bereits die EU-Finanzminister getan, die nun noch
einmal formell zustimmen müssen. Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der
Europäischen Union und wäre das 21. Land mit der
Gemeinschaftswährung. Es gehört zu den ärmeren EU-Ländern.