Von der Leyen muss sich Misstrauensvotum stellen Von Ansgar Haase und Marek Majewsky, dpa

02.07.2025 20:33

Wenige Monate nach dem Beginn ihrer zweiten Amtszeit als Chefin der
EU-Kommission sieht sich Ursula von der Leyen mit einem
Misstrauensantrag konfrontiert. Ist er so harmlos, wie ihre Partei
sagt?

Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen muss sich
kommende Woche im Europäischen Parlament der Abstimmung über einen
Misstrauensantrag stellen. Nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur unterrichtete Parlamentspräsidentin Roberta Metsola
darüber die Fraktionsvorsitzenden.

Zuvor war geprüft worden, ob der von einem rechten rumänischen
Abgeordneten initiierte Misstrauensantrag wie in den Regeln
vorgesehen von mindestens einem Zehntel der 720 Abgeordneten
unterstützt wird. In dem zweiseitigen Text werden von der Leyen und
ihrem Team unter anderem mit Blick auf die Corona-Politik
Intransparenz und Missmanagement vorgeworfen. Dass der Antrag gegen
die gesamte Kommission und nicht nur gegen von der Leyen persönlich
gerichtet ist, hat damit zu tun, dass Misstrauensanträge nur gegen
das gesamte Gremium gestellt werden können.

Ist ein Scheitern programmiert?

Die Unterstützung des Antrags durch mindestens 72 Abgeordnete
bedeutet, dass über ihn während der Tagung des Parlaments in der
kommenden Woche debattiert und abgestimmt werden muss. Die Aussprache
soll nach derzeitigem Planungsstand am Montagabend stattfinden, das
Votum dann am Donnerstag.

Sollte der Misstrauensantrag angenommen werden, müsste die
EU-Kommission geschlossen zurücktreten. Ein solches Szenario gilt
allerdings als unwahrscheinlich, da es dafür die Mehrheit von zwei
Dritteln der abgegebenen Stimmen und gleichzeitig die Mehrheit der
Mitglieder des Parlaments brauchen würde. Das wären mindestens 361,
wenn alle Abgeordneten anwesend sind und ihre Stimmen abgeben, sogar
480 Stimmen. Bei der Wahl im vergangenen November hatte die
Kommission von Ursula von der Leyen 370 von 688 abgegebenen Stimmen
bekommen.

Für die deutsche CDU-Politikerin, die der europäischen
Parteienfamilie EVP angehört, ist der Vorstoß aus dem rechten Lager
trotz der geringen Aussichten auf Erfolg eine Belastungsprobe. Grund
ist, dass die 66-Jährige mit manchen politischen Initiativen zuletzt
auch bei ihr eigentlich wohlgesonnenen Abgeordneten für Unmut sorgte
und etwa ein milliardenschweres Kreditprogramm für
Verteidigungsinvestitionen als Notfallmaßnahme ohne
Parlamentsbeteiligung plante. Letzterer Punkt wird auch in dem
Misstrauensantrag kritisiert. Zudem hat sie bei Sozialdemokraten,
Liberalen und Grünen Unmut erregt, indem ihre Behörde ankündigte, ein

Gesetz gegen Greenwashing zurückziehen zu wollen. Mit dem Begriff
wird der Versuch von Unternehmen bezeichnet, Menschen nur
vorzugaukeln, dass sie viel für den Umweltschutz tun. 

Vorwürfe zur Corona-Politik

Konkret werfen der Rumäne Gheorghe Piperea und die Antragsteller aus
dem rechten Lager der EU-Kommission zudem zum Beispiel vor, bis heute
Informationen zu in der Corona-Krise ausgetauschten Textnachrichten
zwischen von der Leyen und dem Chef des US-Pharma-Konzerns Pfizer zu
verweigern. In diesem Fall urteilte jüngst auch das Gericht der EU,
dass dies bislang ohne ausreichende rechtliche Begründung geschehe. 

Darüber hinaus wird etwa kritisiert, dass Corona-Impfstoffe im Wert
von rund vier Milliarden Euro an Impfdosen ungenutzt blieben und die
Kommission angeblich über eine verzerrte Anwendung des Gesetzes über
digitale Dienste auf Wahlen in Mitgliedstaaten wie Rumänien und
Deutschland Einfluss nahm. 

EVP-Chef Manfred Weber bezeichnete den Antrag in einer ersten
Reaktion als ein parteitaktisches Spielchen, das auch nicht im Ansatz
eine Mehrheit im Parlament finden werde. «Europa hat vor einem Jahr
gewählt und Ursula von der Leyen führt die EU in turbulenten Zeiten
mit einem starken Mandat», sagt der CSU-Politiker. In Zeiten von
wirtschaftlicher Unsicherheit und globalem Umbruch sei es vollkommen
unverantwortlich, solche Öffentlichkeitsstunts durchzuziehen. Die
Antragsteller verfolgten das Ziel eines instabilen und schwachen
Europas.

Wie andere Fraktionen wie die SPD und die Linken abstimmen werden,
ist noch nicht entschieden. Linken-Fraktionschef Martin Schirdewan
sagte am Abend, er wolle über die Frage am Montag mit den anderen
Abgeordneten beraten. Grundsätzlich sei man sich einig, dass es einen
sozialen Politikwechsel und damit wahrscheinlich auch neues Personal
brauche. Gleichzeitig gelte, dass man prinzipiell nicht mit
Rechten abstimme.

Der Leiter der SPD-Delegation im Europaparlament, René Repasi, sieht
in dem Misstrauensvotum einen Beleg dafür, dass sich von der Leyen
und die EVP nicht auf die Unterstützung von Rechten verlassen können.
Die Sozialdemokraten hatten der EVP zuletzt immer wieder vorgeworfen,
bei Abstimmungen auch auf Stimmen rechts der Mitte zu setzen.

Letzter Misstrauensantrag wurde 2014 gestellt

Misstrauensanträge gegen die Kommission sind äußerst selten. Zuletzt

waren Rechtspopulisten im Jahr 2014 mit einem Misstrauensantrag gegen
die damalige EU-Kommission um Jean-Claude Juncker gescheitert. Bei
der Abstimmung damals votierten lediglich 101 Abgeordnete für den
Vorstoß aus dem EU-kritischen Lager. 461 lehnten ihn ab, 88
enthielten sich.

Hintergrund des Misstrauensantrags waren damals Enthüllungen über
Steuervorteile für international tätige Großkonzerne in Luxemburg.
Juncker war knapp 19 Jahre lang Regierungschef des Großherzogtums
gewesen. Kritiker warfen ihm deswegen «Beihilfe zur
Steuerhinterziehung» von Unternehmen vor.

Zum Rücktritt einer EU-Kommission führte lediglich ein drohender
erfolgreicher Misstrauensantrag im Jahr 1999. Damals stellte eine von
Jacques Santer geführte Kommission ihre Posten vorsorglich zur
Verfügung, nachdem ein Bericht über Betrug, Missmanagement un
d
Vetternwirtschaft vorgelegt worden war.