Rechte scheitern mit Misstrauensantrag gegen von der Leyen Von Ansgar Haase und Valeria Nickel, dpa
10.07.2025 14:52
Ursula von der Leyen und ihre EU-Kommission müssen sich erstmals
einem Misstrauensvotum stellen. Das Ergebnis ist eindeutig.
Allerdings stimmen nicht nur rechte Abgeordnete aus Deutschland gegen
sie.
Straßburg (dpa) - Der Misstrauensantrag gegen die EU-Kommission von
Ursula von der Leyen ist gescheitert. Bei der Abstimmung
im Europaparlament in Straßburg votierten lediglich 175 Abgeordnete
für den Vorstoß aus dem rechten Lager. 360 lehnten ihn ab, 18
enthielten sich.
Insgesamt stimmten 553 der derzeit 719 Parlamentarier ab. Für ein
erfolgreiches Misstrauensvotum wären zwei Drittel der abgegebenen
Stimmen - ohne Enthaltungen - nötig gewesen, mindestens aber 360.
Mit dem Ergebnis konnte von der Leyen beim Misstrauensvotum
verhältnismäßig mehr Abgeordnete hinter sich und ihrer Kommission
versammeln als bei der Bestätigung der neuen EU-Kommission im
vergangenen Jahr. Damals stimmten insgesamt 688 Abgeordnete ab - 370
für von der Leyen und ihr Team und 282 dagegen. 36 enthielten sich.
Von der Leyen: «Vielen Dank»
Von der Leyen schrieb nach der Abstimmung in sozialen Netzwerken:
«Vielen Dank und es lebe Europa.» In einer Zeit globaler Volatilität
und Unvorhersehbarkeit brauche die EU Stärke, Vision und
Handlungsfähigkeit. Während der Abstimmung an diesem Donnerstag war
von der Leyen nicht im Parlament. Sie nahm stattdessen an der
Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in Rom teil.
Eingereicht hatten den Misstrauensantrag 77 Parlamentarier, darunter
die 15 deutschen AfD-Abgeordneten sowie Politiker der Partei
Rassemblement National (RN) von Frankreichs Rechtspopulistin Marine
Le Pen. Sie werfen von der Leyen und ihrem Team Intransparenz und
Missmanagement vor - insbesondere mit Blick auf die Corona-Politik.
Wäre der Misstrauensantrag angenommen worden, hätte die EU-Kommission
geschlossen zurücktreten müssen.
Bei einer Aussprache am Montagabend hatte von der Leyen ihren rechten
Kritikern vorgehalten, Verschwörungen anzuheizen und selbst keine
Antworten auf politische Probleme zu haben. Es gebe reichlich
Beweise, dass viele der extremen Kräfte von Feinden unterstützt
würden, ob die Strippenzieher nun in Russland säßen oder anderswo,
sagte sie.
Fraktionen stimmen nicht bedingungslos
Nach Darstellung des deutschen SPD-Politikers René Repasi machte von
der Leyen vor dem Votum Zugeständnisse an die Fraktionen und sicherte
unter anderem zu, dass auch im nächsten langfristigen EU-Haushalt
Geld für den sogenannten Europäischen Sozialfonds (ESF) eingeplant
wird. Der ESF ist ein Instrument zur Beschäftigungsförderung und soll
unter anderem Ausbildung und Qualifizierung unterstützen.
Geschlossen gegen den Antrag stimmten neben der EVP die Grünen. Die
deutsche Co-Vorsitzenden Terry Reintke sagte allerdings, die
Unterstützung der Kommissionspräsidentin gebe es nicht zum Nulltarif.
Die Rückabwicklung des Klimaschutzpakets «Green Deal» durch
Bürokratieabbau müsse aufhören. Die Abgeordneten des Bündnisses Sah
ra
Wagenknecht votierten hingegen geschlossen für den Misstrauensantrag.
Belastungsprobe für von der Leyen
Für die deutsche CDU-Politikerin, die der europäischen
Parteienfamilie EVP angehört, war der Vorstoß aus dem rechten Lager
trotz geringer Erfolgsaussichten eine Belastungsprobe. Grund ist,
dass die 66-Jährige mit manchen Initiativen zuletzt auch bei ihr
eigentlich wohlgesonnenen Abgeordneten für Unmut sorgte.
So war die Aussprache im Plenum am Montagabend auch von den
Sozialdemokraten und Liberalen für Anschuldigungen gegen von der
Leyen und das Mitte-Rechts-Bündnis EVP genutzt worden. Sie
kritisierten, dass die EVP zuletzt mehrfach in Kauf genommen hatte,
dass politische Projekte mit Stimmen aus dem Rechtsaußen-Lager
vorangebracht wurden.
Partner-Parteien üben Kritik
Die S&D-Fraktionsvorsitzende Iratxe García fragte an die EVP
gerichtet: «Mit wem wollen Sie regieren? Mit wem wollen Sie Europa
zerstören oder mit wem kämpfen wir jeden Tag, um es aufzubauen?» Die
liberale Fraktionsvorsitzende Valérie Hayer (Renew) sagte: «Heute,
Frau Präsidentin, sehen Sie die Sackgasse, in die Sie und Ihre
politische Familie geraten sind, weil Sie zugelassen haben, dass die
EVP Zweckbündnisse mit der extremen Rechten eingeht.»
Brisant waren die deutlichen Äußerungen, weil die EVP eigentlich eine
Art informelle Koalition mit den europäischen Sozialdemokraten und
Liberalen hat. Sie ist auf die Stimmen dieser Parteien angewiesen
ist, wenn sie politische Projekte ohne Stimmen von Rechtsaußen
durchbringen will.
Letzter Misstrauensantrag wurde 2014 gestellt
Misstrauensanträge gegen die Kommission sind äußerst selten. Zuletzt
waren Rechtspopulisten 2014 mit einem Misstrauensantrag gegen die
damalige EU-Kommission um Jean-Claude Juncker gescheitert. Bei der
Abstimmung damals votierten lediglich 101 Abgeordnete für den Vorstoß
aus dem EU-kritischen Lager. 461 lehnten ihn ab, 88 enthielten sich.
Hintergrund des Misstrauensantrags waren damals Enthüllungen über
Steuervorteile für international tätige Großkonzerne in Luxemburg.
Juncker war knapp 19 Jahre lang Regierungschef des Großherzogtums
gewesen. Kritiker warfen ihm deswegen «Beihilfe zur
Steuerhinterziehung» von Unternehmen vor.
Zum Rücktritt einer EU-Kommission führte lediglich ein drohender
erfolgreicher Misstrauensantrag im Jahr 1999. Damals stellte eine von
dem Luxemburger Jacques Santer geführte Kommission ihre Posten
vorsorglich zur Verfügung, nachdem
ein Bericht über Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft
vorgelegt worden war.