Migrationstreffen: Warum Dobrindt auf die Zugspitze einlädt Von Martina Herzog und Stella Venohr, dpa
18.07.2025 04:30
In der Richtung sind sich etliche EU-Länder einig: Es sollen weniger
irreguläre Migranten nach Europa kommen. Bundesinnenminister
Alexander Dobrindt (CSU) sucht den Schulterschluss.
Grainau (dpa) - Gemeinsam mit fünf Amtskollegen aus anderen
EU-Ländern will Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) für
einen härteren Asylkurs in Europa eintreten. Ort des
Schulterschlusses soll die Zugspitze, Deutschlands höchster Berg,
sein. Worum es geht:
Schutz der EU-Außengrenzen
Die verschärften deutschen Grenzkontrollen lösen in einigen
Nachbarländern Irritationen aus. Einig ist man sich allerdings beim
besseren Schutz der EU-Außengrenzen. Die wichtigsten Routen für
irreguläre Migranten führen über das östliche und zentrale Mittelme
er
sowie von Westafrika nach Europa. Dafür sollte die
EU-Grenzschutzagentur Frontex nach Dobrindts Vorstellungen «massiv
ausgebaut» werden, wie er dem «Focus» sagte. Die EU-Kommission plant
bereits eine deutliche Stärkung von Frontex, um deren operative
Fähigkeiten bei Grenzmanagement und Rückführungen erheblich zu
verbessern.
Abschiebungen in Länder ohne Bezug zum Betroffenen
Dobrindt würde gern das sogenannte Verbindungselement abschaffen.
Bislang sieht die im vergangenen Jahr verabschiedete EU-Asylreform
vor, dass Asylbewerber nicht in Drittstaaten abgeschoben werden
können, zu denen sie keinen konkreten Bezug haben.
Die Forderung nach einem Wegfall dieses Verbindungselements findet
sich auch in einem Vorschlag der EU-Kommission zur Reform der
Rückführungsrichtlinie. Den hatte EU-Migrationskommissar Magnus
Brunner bereits im Frühjahr vorgelegt.
Bislang dürfen Asylsuchende nur dann in einen Drittstaat abgeschoben
werden, wenn sie dort eine enge persönliche Verbindung haben, etwa
durch Familie oder einen längeren Aufenthalt. Dieses Element soll
nach dem Kommissionsvorschlag deutlich eingeschränkt werden. Ziel der
Reform ist es, Rückführungen von Personen ohne Schutzstatus zu
forcieren.
Migranten in außereuropäische Länder schicken
Dobrindt will zwar Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien wieder
möglich machen beziehungsweise ausweiten. Doch so ein Vorgehen werde
nicht mit jedem Land klappen, meinte der CSU-Politiker, es brauche
Drittländer, die bereit seien Migranten zu übernehmen, die objektiv
nicht in ihre Heimatländer zurückgeführt werden könnten, hatte er
jüngst der «Welt am Sonntag» gesagt.
Im Gespräch mit der «Augsburger Allgemeinen» vor dem Gipfel schloss
Dobrindt Rückführungen nach Pakistan nicht aus, wenn abgelehnte
Asylbewerber nicht in ihre Heimat Afghanistan zurückkehren könnten.
«Auch wenn es um diesen konkreten Fall nicht geht - das Prinzip ist,
Menschen in Nachbarregionen ihrer Herkunftsländer unterzubringen, in
denen sich oft schon Angehörige dieser Bevölkerungsgruppen befinden»,
erklärte er.
Solche Drittstaatenlösungen sind aus Sicht Dobrindts ein zentraler
Baustein, um kriminellen Schleuserbanden das Handwerk zu legen.
Infrage kämen dafür Staaten, «die als Transitländer etabliert oder
als fluchtnahe Staaten erkennbar sind», sagte er dem «Focus».
Auf EU-Ebene wird an solchen Strukturen bereits gearbeitet. Teil des
Kommissionsvorschlags zur Reform der Rückführungsrichtlinie sind auch
sogenannte Rückführungszentren. Dabei handelt es sich um
Einrichtungen, in denen nationale Behörden gemeinsam mit EU-Agenturen
wie Frontex Rückführungen koordinieren und vorbereiten sollen.
Die Rückführungsrichtlinie ist rechtlich nicht Teil des Gemeinsamen
Europäischen Asylsystems (GEAS), steht aber politisch in engem
Zusammenhang mit dessen Reform. Während GEAS vor allem Asylverfahren
und Zuständigkeiten regelt, betrifft die Rückführungsrichtlinie
Personen ohne Bleiberecht. Der Vorschlag wird derzeit noch von den
EU-Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament beraten. Eine
Einigung steht noch aus.
Asylanträge gehen insgesamt zurück
Die Zahl der Asylanträge in der Europäischen Union sowie in Norwegen
und der Schweiz ist gesunken - insbesondere in Deutschland. Zwar
suchen weiterhin viele Menschen Schutz in Europa, doch im Mai 2025
wurden laut der EU-Asylagentur mit Sitz auf Malta im Mai 2025 rund
63.700 Asylanträge gestellt. Das sind deutlich weniger als im
Vorjahresmonat mit etwa 85.600.
In Deutschland halbierte sich die Zahl nahezu, von rund 18.800 im Mai
2024 auf knapp 9.900 ein Jahr später. Auch in Spanien (Rückgang von
16.300 auf 12.800 Anträge) und Italien (von 15.500 auf 12.300) ging
die Zahl deutlich zurück. In Frankreich veränderte sich das Niveau
mit rund 12.500 Anträgen nur wenig - im Vorjahresmonat waren es noch
11.900.
Polen sieht sich in einer Notlage
Polen beansprucht eine Ausnahme von dem 2024 geschlossenen
EU-Asylpakt, es stimmt der Umverteilung von Migranten nicht zu.
Begründet wird dies mit einer doppelten Notlage: Polen habe etwa zwei
Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen, zudem verteidige es
sich an der Ostgrenze gegen einen durch Belarus gelenkten Zustrom von
Migranten.
Unmut herrscht dort über die verschärften deutschen Grenzkontrollen,
in konservativen Kreisen kursierte der Verdacht, Deutschland schiebe
Flüchtlinge nach Polen ab, die gar nicht von dort kommen.
Österreich will konsequente Abschiebungen
Ein strikter Anti-Migrations-Kurs ist in Österreich seit vielen
Jahren etabliert und in der Bevölkerung durchaus populär. Konkret
fordert die Alpenrepublik einen starken Schutz der EU-Außengrenzen
und konsequente Abschiebungen. Sie kontrolliert die Grenzen zu
mehreren Nachbarländern. Die aktuelle Zusammenarbeit mit Deutschland
bei der Zurückweisung von Migranten durch die Bundesrepublik klappt
nach Darstellung beider Seiten reibungslos.
Ansonsten setzt das Land auf europäische Lösungen und Änderungen bei
der Definition sicherer Drittstaaten, in die leichter abgeschoben
werden kann. Kanzler Christian Stocker (ÖVP) hat obendrein zuletzt
mehrfach betont, dass die Europäische Menschenrechtskonvention neu
ausgelegt werden müsse.
Frankreich für längere Abschiebehaft
Dem konservativen französischen Innenminister Bruno Retailleau ist
wie Dobrindt an einem deutlich härteren Kurs in der Migrationspolitik
gelegen. Er will Migranten länger in Abschiebehaft nehmen, den
illegalen Aufenthalt im Land zu einer Straftat erklären und notfalls
auch in Drittstaaten abschieben, wenn das Herkunftsland einen aus
Frankreich ausgewiesenen Migranten nicht zurücknehmen will.
Die Behörden im Land hat er bereits mehrfach zu einem strikteren Kurs
angewiesen. Er pocht auf eine restriktivere Vergabe von Visa sowie
von Aufenthaltspapieren für illegal Eingereiste, die Arbeit und
Einkommen haben. Die Grenzkontrollen, die Frankreich seit bereits
zehn Jahren im Kampf gegen Terrorismus wieder vornimmt, will er
verschärfen.
Tschechische Regierung für mehr Grenzschutz
Die liberalkonservative Regierung in Tschechien fordert seit Jahren
eine verschärfte Migrations- und Asylpolitik in Europa, vor allem
einen besseren Schutz der Außengrenzen sowie eine stärkere
Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Sie will selbst das Asylrecht
verschärfen.
Ministerpräsident Petr Fiala steht unter Druck von weiter rechts: Die
zunehmend rechtspopulistisch agierende Oppositionspartei ANO des
Milliardärs Andrej Babis liegt in Umfragen vor der Parlamentswahl
Anfang Oktober vorn. Die Grenzkontrollen sind der Regierung in Prag
ein Dorn im Auge, sie setzt hier aber auf Dialog mit Berlin.
Dänemark betrachtet Migration und Sicherheit zusammen
Dänemark gilt in der EU seit längerem als Hardliner in Sachen
Migrationspolitik. Ein Prestigeprojekt der Regierung der
sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, um
Asylbewerber ins ostafrikanische Ruanda zu schicken, wurde Anfang
2023 vorübergehend auf Eis gelegt - vom Tisch ist es aber noch nicht.
Vielmehr arbeitet Deutschlands nördlicher Nachbar seitdem daran, die
Idee anderen EU-Staaten schmackhaft zu machen.
Als aktuelles EU-Vorsitzland will Dänemark vor dem Hintergrund des
russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Hauptfokus auf die
Sicherheit in Europa legen - ein Thema, das aus dänischer Sicht auch
mit Migrationsfragen zusammenhängt. Ausländer- und
Integrationsminister Kaare Dybvad Bek ist sich nach Angaben der
dänischen Nachrichtenagentur Ritzau vorab sicher, dass das Treffen
der migrationskritischen Länder am Freitag einen «Wendepunkt in der
europäischen Flüchtlingspolitik» darstellen werde.
Was Kritiker sagen
«Wie viel härter soll es werden?», fragt Ruben Neugebauer von der
Flüchtlingsorganisation Leave No One Behind. «Schon jetzt ist das
Leid an Europas Außengrenzen unermesslich, Tausende Menschen
ertrinken, erfrieren oder ersticken auf der Suche nach Frieden und
Freiheit.» Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Marcel
Emmerich, meint: «Die Streichung des Verbindungselements ist ein
herzloser Angriff auf Schutzsuchende, Familien und Kinder, die in
Länder ohne jede persönliche Bindung abgeschoben werden sollen.»