Ukraine: Parlament beschränkt Unabhängigkeit von Korruptionsermittlern

22.07.2025 22:26

Für einen EU-Beitritt muss die Ukraine sich EU-Standards anpassen und
die Korruption bekämpfen. Ein neues Gesetz beschränkt jetzt die
Unabhängigkeit von Ermittlungsorganen. Kritiker schlagen Alarm.

Kiew (dpa) - In der Ukraine hat der Chef des Nationalen
Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, vor dem Verlust der
Unabhängigkeit von Organen zur Korruptionsbekämpfung gewarnt.
Hintergrund ist die Verabschiedung eines neuen Gesetzes. «Faktisch
wurden zwei Institute - das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und
die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) - in die
Abhängigkeit überführt. Wir sind kategorisch dagegen», sagte Krywon
os
örtlichen Medien zufolge Journalisten in Kiew.

Er bat Präsident Wolodymyr Selenskyj darum, das Gesetz nicht zu
unterzeichnen. Der Staatschef unterzeichnete dennoch am Abend. Das
Gesetz gefährde den angestrebten Beitritt der Ukraine zur
Europäischen Union, meinte Krywonos. Am Abend versammelten sich
mehrere Hundert vor allem junge Menschen in Sichtweite des
Präsidentensitzes in Kiew, um gegen das Gesetz zu protestieren. 

In Sprechchören riefen sie «Schande, Schande», wie ein Reporter der
Nachrichtenagentur dpa von dem Ort berichtete. Sie forderten ein Veto
des Präsidenten gegen das Gesetz. Auch in Lwiw (Lemberg), Odessa und
Dnipro gab es Proteste. Kritiker werfen Selenskyj seit längerem,
zunehmend autoritäre Tendenzen vor.

Kritik aus der EU

Zuvor hatte mit 263 Abgeordneten eine deutliche Mehrheit im Parlament
für ein Gesetz gestimmt, das nach Ansicht von Kritikern der
Generalstaatsanwaltschaft erlaubt, Ermittlungen gegen hochrangige
Staatsangestellte einzustellen. Zudem könne die Staatsanwaltschaft
dem NABU Ermittlungsverfahren abnehmen und anderen Organen übergeben.
NABU und SAP müssen demnach ihr Vorgehen mit der Staatsanwaltschaft
abstimmen.

Ein Sprecher der EU-Kommission sagte in Brüssel, die EU sei besorgt
über die jüngsten Maßnahmen der Ukraine. NABU und SAP seien für die

Reformagenda der Ukraine von entscheidender Bedeutung und müssten
unabhängig arbeiten, um die Korruption zu bekämpfen.

Er erinnerte auch daran, dass die EU der Ukraine viel Geld zur
Verfügung stellt, «das von Fortschritten in den Bereichen
Transparenz, Justizreform und demokratische Staatsführung abhängig
gemacht wird». EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos betonte, dass
Rechtsstaatlichkeit im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen
stehe.

Ukrainischer Geheimdienst geht gegen Antikorruptionsbüro vor

Erst am Montag war der Selenskyj unterstehende Geheimdienst SBU unter
anderem mit Vorwürfen der Zusammenarbeit mit Russland gegen
Mitarbeiter des NABU vorgegangen. EU und G7-Botschafter reagierten
darauf zurückhaltend.

Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko begrüßte die Verabschiedung

des neuen Gesetzes. «Das ist für mich ein strahlender Tag in diesem
Parlament. Denn das erste Mal haben wir uns davon überzeugt, dass die
Kolonisierung der Ukraine kein Allheilmittel für all unsere Probleme
ist», sagte Timoschenko von der Parlamentstribüne, wie die
Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine meldete. Kritiker hatten den
Organen zur Korruptionsbekämpfung immer unterstellt, ein westliches
Einflussmittel auf die ukrainische Politik zu sein.

Nach dem prowestlichen Umsturz von 2014 ist in der Ukraine vor allem
mit Hilfe von EU und USA ein System von Behörden zur
Korruptionsbekämpfung geschaffen worden. Dieses sollte dabei helfen,
die notorische Bestechlichkeit in Verwaltung und Politik zu
bekämpfen. Dennoch ist das osteuropäische Land der
Nichtregierungsorganisation Transparency International zufolge weiter
eines der korruptesten Länder Europas.