Kiew und Moskau starten Treffen - Wut auf Korruptionsgesetz
23.07.2025 06:00
Ein Durchbruch für eine Waffenruhe ist bei den Gesprächen von Moskau
und Kiew nicht zu erwarten. Derweil fürchten in der Ukraine
Demonstranten um die Unabhängigkeit der Korruptionsermittler.
Istanbul (dpa) - Knapp dreieinhalb Jahre nach der russischen Invasion
in die Ukraine wollen Vertreter beider Länder heute in Istanbul ihre
zuletzt stockenden direkten Gespräche fortsetzen. Der ukrainische
Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Erwartungen an die neue
Verhandlungsrunde allerdings bereits gedämpft. Seinen Angaben nach
wird es auch diesmal nicht um eine Waffenruhe gehen, sondern unter
anderem um einen Gefangenenaustausch. Derweil gingen in der Ukraine
am Abend Hunderte Menschen auf die Straße, die um die Unabhängigkeit
der Korruptionsermittler im Land fürchten.
Am Abend hatte Selenskyj ein Gesetz unterzeichnet, das Befugnisse der
beiden Antikorruptionsbehörden NABU und SAP beschneidet - und ihnen
nach Einschätzung der Opposition Unabhängigkeit nimmt. Der Chef des
Nationalen Antikorruptionsbüros, Semen Krywonos, warnte, das zuvor
vom Parlament verabschiedete Gesetz gefährde den angestrebten
Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union.
Ein Sprecher der EU-Kommission zeigte sich besorgt über die
Entwicklungen. Am Abend demonstrierten Medien zufolge Tausende
Menschen in Kiew, Lwiw (Lemberg), Odessa und Dnipro. Laut der
Nichtregierungsorganisation Transparency International zählt die
Ukraine zu einem der korruptesten Länder Europas.
Selenskyj will Gefangenenaustausch vorantreiben
Zu den Gesprächen in Istanbul sagte Selenskyj, vorrangig für Kiew sei
die Ausweitung des Gefangenenaustausches und die Rückholung von
Kindern, die Russland aus den besetzten Gebieten verschleppt habe.
Außerdem solle das Treffen der Vorbereitung eines Gipfels zwischen
ihm und Kremlchef Wladimir Putin dienen. Nur auf Ebene der
Staatschefs könne eine Waffenruhe ausgehandelt werden. Der Kreml
hatte ein solches Treffen nicht ausgeschlossen, fordert allerdings
vorab eine Einigung auf einen Friedensplan.
In seiner Videobotschaft, die er erst in der Nacht auf der Plattform
X veröffentlichte, sagte Selenskyj: «Die Aufgabe ist es, auf einen
Waffenstillstand hinzuarbeiten. Das ist es, worauf die ganze Welt
Russland drängt. Ein Treffen auf Ebene der Staatschefs würde auch
einen Frieden näherbringen.»
Die russische Delegation wird erneut von Präsidentenberater und
Ex-Kulturminister Wladimir Medinski angeführt. Chefunterhändler auf
ukrainischer Seite bleibt auch nach seinem Rücktritt als
Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Selenskyj hatte ihn zum
Sekretär des nationalen Sicherheitsrats ernannt und mit der
Aufstellung der neuen Delegation beauftragt.
Bisher Gefangenenaustausche und Rückgaben toter Soldaten
Es ist bereits die dritte Runde direkter Gespräche zwischen den
Kriegsparteien seit Mai. Zuvor hatte es seit 2022 keine Verhandlungen
zwischen Moskau und Kiew gegeben. Bei den bisherigen Treffen im Mai
und Juni haben die Unterhändler einen großen Austausch von
Kriegsgefangenen vereinbart. Freigekommen sind dabei zuletzt junge
Soldaten im Alter unter 25 Jahren und schwer verwundete Kämpfer.
Daneben einigten sich Moskau und Kiew auf die Rücküberstellung
Gefallener. Russland hat eigenen Angaben nach in dem Zusammenhang
bislang 7.000 tote ukrainische Soldaten an Kiew übergeben - und
selbst auch einige Leichen erhalten. Über die Zahl der ausgetauschten
Gefangenen gibt es keine Angaben.
Für einen Frieden ist Russland bislang von seinen Maximalforderungen
nicht abgerückt, dazu zählen der Verzicht der Ukraine auf den
Nato-Beitritt und der vollständige Rückzug Kiewer Truppen aus den von
Moskau annektierten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und
Cherson. Bereits 2014 hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim
annektiert. Das Land führt seit mehr als drei Jahren einen
zerstörerischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Moskau knüpft Waffenstillstand an Bedingungen
Der Kreml erwartet nach eigener Darstellung von dem Treffen der
Delegationen in Istanbul eine Annäherung der bislang gegensätzlichen
Positionen Moskaus und Kiews zu den Bedingungen für eine Waffenruhe.
Dazu sei aber «große diplomatische Arbeit» nötig, sagte Peskow. Auf
einen «Durchbruch aus der Reihe Wunder» rechne er nicht.
Eine bedingungslose Waffenruhe, wie von US-Präsident Donald Trump
bereits im März vorgeschlagen, hat Putin - im Gegensatz zu Selenskyj
- abgelehnt. Er begründete dies mit Sorgen über eine Wiederaufrüstung
und Neuaufstellung der ukrainischen Truppen. Stattdessen plant
Russland, seinen Vormarsch fortzusetzen, bis es eine endgültige
Friedenslösung gibt.
Die russische Führung beharrt darauf, dass die Positionspapiere über
mögliche Wege zu einem Frieden, die sich die Kriegsparteien übergeben
hatten, bei der dritten Verhandlungsrunde besprochen werden sollten.
Die Vorstellungen auf beiden Seiten liegen weit auseinander.
Proteste in Kiew und anderen Städten gegen Gesetz
Derweil warnte in der Ukraine der Chef des Nationalen
Antikorruptionsbüros, Krywonos, vor dem Verlust der Unabhängigkeit
von Organen zur Korruptionsbekämpfung. «Wir sind kategorisch
dagegen», sagte er örtlichen Medien zufolge in Kiew mit Blick auf die
Verabschiedung des neuen Gesetzes.
Kritiker werfen Selenskyj seit längerem zunehmend autoritäre
Tendenzen vor.
Ein Sprecher der EU-Kommission sagte in Brüssel, die EU sei besorgt
über die jüngsten Maßnahmen der Ukraine. NABU und SAP seien für die
Reformagenda der Ukraine von entscheidender Bedeutung und müssten
unabhängig arbeiten, um die Korruption zu bekämpfen.
Selenskyj sagte in seiner Videobotschaft, «die Infrastruktur zur
Korruptionsbekämpfung wird funktionieren. Nur ohne russischen
Einfluss, davon muss sie befreit werden». Seit Jahren lebten Beamte,
die aus der Ukraine geflohen seien, aus irgendwelchen Gründen im
Ausland - «in sehr schönen Ländern und ohne rechtliche Konsequenzen -
und das ist nicht normal».
Nach dem prowestlichen Umsturz von 2014 ist in der Ukraine vor allem
mit Hilfe von der EU und den USA ein System von Behörden zur
Korruptionsbekämpfung geschaffen worden. Dieses sollte dabei helfen,
die notorische Bestechlichkeit in Verwaltung und Politik zu
bekämpfen.
Ukraine meldet Verlust von französischem Kampfjet
Derweil meldete die Ukraine den Verlust eines ihrer französischen
Mirage-Kampfjets wegen eines technischen Defekts - und damit einen
weiteren Rückschlag bei ihrer Luftverteidigung. Die «sehr effektive
Maschine» sei aber nicht von Russland abgeschossen worden, sagte der
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am frühen Morgen in seiner
Videobotschaft - ohne weitere Details zum Absturz mitzuteilen. Der
Pilot habe es geschafft, sich selbst zu retten.
Die Kampfjets sollen es der Ukraine ermöglichen, ihren Boden und
ihren Luftraum zu schützen. Die Luftwaffe teilte mit, die Maschine
sei am Dienstagabend wegen eines Fehlers «des
Luftverkehrs-Equipments» abgestürzt. Es habe keine Verletzten oder
Tote geben.
Im Februar hatte die Ukraine die ersten Mirage-Kampfjets von
Frankreich erhalten. Sie sollen von ukrainischen Piloten geflogen
werden, die in Frankreich ausgebildet wurden. Französische Medien
berichteten, dass Frankreich 6 von 26 Mirage 2000-5, über die die
Luftwaffe verfüge, abgeben wolle.