Rada legt Abstimmungstermin für Selenskyjs neues Gesetz fest

25.07.2025 14:43

Der ukrainische Präsident Selenskyj beugt sich dem massiven Druck und
stellt die Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden wieder her.
Künftig will er für Staatsdiener dafür Lügendetektortests.

Kiew (dpa) - Nach scharfer Kritik soll das ukrainische Parlament am
kommenden Donnerstag über den von Präsident Wolodymyr Selenskyj
eingereichten Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit
der Anti-Korruptionsbehörden abstimmen. Die Novelle solle sofort in
Eilform angenommen werden, schrieb Parlamentspräsident Ruslan
Stefantschuk am Mittag bei Facebook. Selenskyj will dafür künftig
vermehrt Lügendetektortests für bestimmte Staatsdiener.

Stefantschuk schrieb weiter, er befürworte zudem eine unverzügliche
Unterzeichnung des Gesetzes. Zum Einlenken Selenskyjs im Umgang mit
den Anti-Korruptionsbehörden hieß es von der EU-Kommission, man
begrüße «die Tatsache, dass die ukrainische Regierung Maßnahmen
ergreift». Man arbeite mit Kiew zusammen, um sicherzustellen, dass
die Bedenken der Kommission berücksichtigt würden.

Lügendetektortests für Staatsdiener

Kurz nach dem Einreichen des neuen Gesetzentwurfs zur Arbeit der
Anti-Korruptionsbehörden in das Parlament am Donnerstag erklärte
Selenskyj, künftig sollten alle Mitarbeiter mit Zugang zu
Staatsgeheimnissen Lügendetektortests unterzogen werden. Das sei
notwendig, um einen russischen Einfluss in den staatlichen Stellen
auszuschließen. Selenskyj sprach von «regelmäßigen Kontrollen».

Der Präsident hatte in den vergangenen Tagen den
Anti-Korruptionsbehörden «russischen Einfluss» vorgeworfen. Razzien
mit Festnahmen ihrer Mitarbeiter sowie die am Mittwoch von ihm
unterschriebene Unterstellung der Behörden unter die
Generalstaatsanwaltschaft hatte er unter anderem damit begründet.

«Jeder, der Zugang zu Staatsgeheimnissen hat - und das gilt nicht nur
für das NABU und die SAP, sondern auch für das Staatliche Büro für

Ermittlungen, unsere nationale Polizei - muss sich einem
Lügendetektortest unterziehen», hieß es von Selenskyj.

Schon bisher gab es solche Tests, aber nicht in der nun geplanten
Dichte. Das NABU teilte am Donnerstagabend mit, dass laut dem
Gesetzentwurf nicht der Geheimdienst SBU die Tests führe, sondern
eine verwaltungsinterne Kontrollstelle. Der auf der Rada-Seite
veröffentlichte Text spricht aber bei der ersten Kontrolle nach
Inkrafttreten des Gesetzes explizit vom SBU. Alle nachfolgenden
Kontrollen sollen mindestens alle zwei Jahre durch interne
Kontrollorgane erfolgen.

Zuverlässigkeit von Lügendetektoren umstritten

Lügendetektoren, auch Polygraphen genannt, beruhen auf der Annahme,
unbewusste körperliche Reaktionen wie Puls, Blutdruck, Atemfrequenz
oder Hautleitfähigkeit könnten Aufschluss darüber geben, ob eine
Person die Wahrheit sagt. Über Elektroden wird etwa der Schweiß an
den Händen registriert. Bei sachverständiger Bedienung durch
Psychologen mit spezieller Ausbildung sollen die Messdaten anzeigen,
ob eine Person bei bestimmten Fragen angespannt ist - was als Indiz
für eine Lüge gewertet werden kann.

Die Zuverlässigkeit der Tests ist aber umstritten. So gibt es etwa
eine Vielzahl von Ursachen für Stressreaktionen - etwa auch Angst und
Aufregung. Zudem gelten die Lügendetektortests als anfällig für
Manipulationen.

In Deutschland lehnt der Bundesgerichtshof den Einsatz solcher Tests
in Strafverfahren als Beweismittel grundsätzlich ab. Dennoch erkennen
auch hierzulande Gerichte die polygraphischen Untersuchungen als
Beweismethode an. In den USA und weiteren Ländern nutzen Behörden den
Apparat bei der Strafverfolgung, ebenso Firmen bei
Bewerbungsgesprächen.

Demonstrationen am dritten Tag infolge

In der Ukraine hatten mit Donnerstag drei Tage in Folge Menschen in
mehreren Städten gegen die Unterstellung der Anti-Korruptionsbehörden
unter die Generalstaatsanwaltschaft protestiert.

Die Behörden selbst zeigten sich mit Blick auf die nun anstehende
neue Regelung zufrieden. «Der Gesetzentwurf stellt alle prozessualen
Vollmachten wieder her und garantiert die Unabhängigkeit vom
Nationalen Antikorruptionsbüro (NABU) und der Spezialisierten
Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP)», schrieben die beiden Organe
nach Bekanntwerden von Selenskyjs neuem Gesetzestext auf Telegram.
NABU und SAP waren demnach an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs
beteiligt.

Kommentatoren: herbe politische Niederlage für Selenskyj

Auch in der EU hatte Selenskyjs Vorgehen Unverständnis hervorgerufen.
Der NABU und SAP waren 2015 mit westlicher Hilfe gegründet worden, um
die notorische Korruption vor allem bei hochrangigen Politikern und
in der Verwaltung zu bekämpfen. Das in die EU strebende Land gilt der
Nichtregierungsorganisation Transparency International nach trotz
aller Reformen als eines der korruptesten Länder Europas.

Kritiker warfen Selenskyj autoritäre Tendenzen vor, indem er sich die
lange Zeit unabhängigen Behörden unterwerfen wollte. Dass er nun
scheiterte, bezeichneten Kommentatoren als eine herbe politische
Niederlage, die den Präsidenten angeschlagen zurücklasse.

Selenskyj setzt auf Unterstützung von Kanzler Merz

Selenskyj informierte nach eigenen Angaben auch Kanzler Friedrich
Merz (CDU) über die jetzigen Änderungen. Er habe «Deutschland
eingeladen, sich an der Begutachtung des Gesetzentwurfs durch
Experten zu beteiligen. Friedrich hat mir seine Bereitschaft zur
Unterstützung zugesichert.» Geplant sei auch eine Einbeziehung
anderer europäischer Partner wie Großbritannien und die EU.

Der ukrainische Präsident verurteilte in seiner Abendbotschaft vom
Donnerstag einmal mehr die andauernden russischen Angriffe -
ungeachtet der direkten Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau am
Mittwoch in Istanbul. Russland zeige mit den Attacken - wie auf den
Markt in Odessa und auf die Stadt Charkiw, wo es mehr als 40
Verletzte gab -, dass es kein Interesse an einem Frieden habe. Auch
viele andere Städte waren einmal mehr Ziele russischer Drohnen- und
Bombenangriffe, es gab Tote und Verletzte.