Druck auf Israel wächst - Deutschland bremst bei Sanktionen

30.07.2025 05:06

Laut Experten zeichnet sich im Gazastreifen eine Hungersnot ab.
Deutschland will in Kürze Hilfsgüter über dem Kriegsgebiet abwerfen
lassen - EU-Sanktionen gegen Israel aber vorerst nicht zustimmen.

Tel Aviv/Gaza (dpa) - Israel sieht sich wegen der katastrophalen
Zustände im umkämpften Gazastreifen einem immer stärkeren
internationalen Druck zum Handeln ausgesetzt. Laut internationalen
Experten für Ernährungssicherheit zeichnet sich in dem Küstengebiet
«das schlimmste Szenario einer Hungersnot» ab. Sollte die israelische
Regierung nicht wesentliche Schritte unternehmen, diese entsetzliche
Situation zu beenden und sich zu einem langfristigen, nachhaltigen
Frieden bekennen, werde Großbritannien - so wie Frankreich - den
Staat Palästina anerkennen, warnte der britische Premier Keir
Starmer.

Israels Außenministerium kritisierte diesen Vorstoß mit scharfen
Worten. Die Anerkennung Palästinas als Staat wäre eine «Belohnung f
ür
die Hamas» und würde die Bemühungen um eine Waffenruhe im
Gazastreifen sowie die Freilassung der noch immer von der Hamas und
anderen Extremisten festgehaltenen Geiseln beeinträchtigen, hieß es
in einer Mitteilung.

Deutschland bremst bei EU-Israel-Sanktionen

Deutschland und mehrere andere EU-Staaten wollen einem Vorschlag zur
Sanktionierung Israels wegen der katastrophalen humanitären Lage in
Gaza vorerst nicht zustimmen. Bei Beratungen im Ausschuss der
ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten in Brüssel habe deswegen
keine schnelle Einleitung des Entscheidungsverfahrens vereinbart
werden können, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur von Diplomaten.
Konkret hatte die EU-Kommission am Montagabend empfohlen, die
Teilnahme Israels am Forschungsförderungsprogramm Horizon Europe
teilweise auszusetzen. 

US-Präsident Donald Trump verschärfte derweil den Ton gegenüber
Israel und forderte den Verbündeten mit Nachdruck auf, die hungernde
Bevölkerung in Gaza mit mehr Lebensmitteln zu versorgen. «Ob man nun
von Aushungern spricht oder nicht - das sind Kinder, die hungern»,
sagte er auf dem Rückflug aus Schottland. «Ich denke, jeder - es sei
denn, er ist ziemlich kaltherzig oder noch schlimmer: verrückt - kann
nichts anderes sagen, als dass es schrecklich ist, diese Kinder zu
sehen.» Man werde ihnen die nötige Nahrung bringen. 

Deutschland beteiligt sich an Hilfsgüter-Abwürfen

«Es müssen sofortige Maßnahmen ergriffen werden, um die
Feindseligkeiten zu beenden und ungehinderte, großangelegte,
lebensrettende humanitäre Hilfe zu ermöglichen», heißt in einer
Einschätzung der IPC-Initiative zur Analyse von Ernährungskrisen.
Dies sei der einzige Weg, um weitere Todesopfer und katastrophales
menschliches Leid zu verhindern, erklärten die Experten. 

Nach Angaben von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sind zwei
Bundeswehr-Maschinen aufgebrochen, um als Teil internationaler
Bemühungen die Bevölkerung im Gazastreifen aus der Luft zu versorgen.
Die Maschinen würden in Jordanien ausgerüstet und ihre Einsätze
möglicherweise schon heute, spätestens aber ab dem Wochenende
fliegen, kündigte Merz an. 

Helfer halten den Abwurf von Hilfsgütern wegen der relativ geringen
Mengen für ineffektiv und teuer, etwa im Vergleich zu
Lkw-Transporten. Die Paletten könnten Menschen am Boden verletzen
oder töten. Kritiker sprechen von einer symbolischen Geste, die mehr
dem eigenen Image diene als den Betroffenen.

Bundesregierung: Kurs israelischer Regierung «völlig falsch»

Die Bundesregierung forderte die israelische Regierung bei einer
UN-Konferenz zur Zweistaatenlösung in New York zu einer Kursänderung
auf. «Als Deutschland haben wir gesagt, dass wir einen
palästinensischen Staat eher am Ende solcher Verhandlungen anerkennen
würden. Das ist weiterhin unsere Position - aber wir sehen, dass die
derzeitige israelische Politik in die entgegengesetzte Richtung
weist», sagte Staatsminister Florian Hahn. Dies sei «völlig falsch»

und diene nicht den langfristigen Sicherheitsinteressen Israels. 

Mit Zweistaatenlösung ist die Schaffung eines unabhängigen
palästinensischen Staates gemeint, der friedlich Seite an Seite mit
Israel existieren soll. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte
kürzlich angekündigt, Ende September vor der UN-Generalversammlung in
New York Palästina als Staat anzuerkennen. Anders als Deutschland
droht nun auch Großbritannien damit.

Arabische Länder fordern Ende der Hamas-Herrschaft

Mehrere arabische Staaten, darunter die zwischen Israel und der Hamas
vermittelnden Länder Ägypten und Katar, forderten unterdessen bei der
UN-Konferenz zur Zweistaatenlösung ein Ende der Hamas-Herrschaft im
Gazastreifen. In einem siebenseitigen Dokument, das der Deutschen
Presse-Agentur vorliegt, verlangten insgesamt 17 Länder konkrete
Schritte für ein Ende des Konflikts.

«Der Krieg in Gaza muss jetzt enden», heißt es zu einer der
Voraussetzungen für das Ziel einer Zweistaatenlösung, zu der Israel
sich bekennen müsse. In dem Dokument wird auch das Massaker der Hamas
in Israel am 7. Oktober 2023 verurteilt, das den Krieg auslöste. Auch
der britische Premier Starmer sagte, dass die Forderungen an die
Hamas bestehen blieben: Sie müsse alle Geiseln freilassen, einer
Waffenruhe zustimmen, akzeptieren, dass sie keine Rolle beim Regieren
des Gazastreifens spielen werde und die Waffen niederlegen. 

Netanjahu: Hamas ist größtes Hindernis für Gaza-Abkommen

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht in der
Terrororganisation das größte Hindernis für das Zustandekommen eines

Waffenruhe-Abkommens. Seit dem Abzug des israelischen
Verhandlungsteams aus Katar habe er viele Beratungen zu dem Thema
geführt, sagte Netanjahu in einer Videobotschaft. «Aber es gibt ein
großes Hindernis, und jeder weiß, was das ist: die Hamas.» 

Netanjahu hatte nach dem Abzug der Delegation «alternative Optionen»
erwähnt, um die noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln zu
befreien. Laut israelischen Medien gehört dazu auch die mögliche
Annexion von Teilen des Gazastreifens. Netanjahu werde in den
nächsten zwei Tagen erneut Beratungen über das weitere Vorgehen
abhalten, schrieb die «Times of Israel».

«Die Vorstellung, dass militärischer Druck die Hamas an den
Verhandlungstisch bringen und ihre Forderungen abschwächen würde, ist
bisher gescheitert», zitierte die US-Zeitung «Wall Street Journal»
einen leitenden Mitarbeiter der in Jerusalem ansässigen Denkfabrik
Jewish People Policy Institute. «Israels Politik ist im Moment sehr
reaktiv und nicht proaktiv», sagte der Experte. 

Ofer Guterman vom Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel
Aviv sagte der Zeitung: «Israel befindet sich derzeit an einem
Scheideweg.» Israel müsse nun entscheiden, ob es den gesamten
Gazastreifen besetzen oder ein Abkommen unterzeichnen will, um den
Krieg zu beenden und die Geiseln herauszuholen.

Aktivisten melden erneut israelische Angriffe in Syrien 

Unterdessen griff Israel trotz einer vereinbarten Waffenruhe in
Syrien nach Angaben von Aktivisten Ziele in dem Nachbarland an. Dazu
gehörten bewaffnete Gruppen und Fahrzeuge von Beduinen-Clans sowie
regierungsnahen Milizen in der südlichen Provinz Suwaida, teilte die
Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Ein Sprecher der
israelischen Armee erklärte auf Anfrage, keine Kenntnis von Angriffen
zu haben.

Seit dem Ausbruch von Kämpfen in Syrien zwischen ethnischen und
religiösen Gruppen hat Israel mehrfach Ziele in Suwaida und der
Hauptstadt Damaskus bombardiert. Israel will damit nach eigener
Aussage die drusische Gemeinde in Syrien schützen, verfolgt damit
aber auch andere strategische Interessen.