Asylverfahren auslagern? Italiens «Albanien-Modell» vor EuGH Von Valeria Nickel, Sabina Crisan und Stella Venohr, dpa

01.08.2025 03:45

Italiens Regierung will Asylzentren im Ausland. Bisher liegt die Idee
wegen Gerichtsverfahren auf Eis. Nun äußert sich erstmals das oberste
EU-Gericht zu einem Teilaspekt des Modells.

Luxemburg/Brüssel/Rom (dpa) - Der Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) äußert sich an diesem Freitag (10.00 Uhr) zum ersten Mal zu
einem Aspekt des italienischen «Albanien-Modells». Das
Prestigeprojekt der Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia
Meloni, das beschleunigte Asylverfahren im Ausland ermöglichen will,
ist umstritten. Welche Bedeutung hat die anstehende Entscheidung des
höchsten europäischen Gerichts? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Worüber entscheidet das Gericht?

In dem Prozess geht es darum, unter welchen Voraussetzungen
EU-Mitgliedstaaten Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer
einstufen dürfen. Im konkreten Fall bestimmte Italien unter anderem
Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat. Das höchste europäische
Gericht soll nun klären, unter welchen Voraussetzungen die
Mitgliedstaaten nach EU-Recht eine solche Einstufung selbst treffen
können. Dabei geht es etwa um die Frage, ob nach EU-Recht ein Land
insgesamt als sicher eingestuft werden kann, auch wenn es für
bestimmte Gruppen - wie etwa homosexuelle Menschen - nicht sicher
ist.

Was bedeutet das Urteil für Deutschland?

Auch die Bundesrepublik hat eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Sie
umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie
Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. «Das Urteil ist auch für
Deutschland wegweisend, denn die europäischen Vorgaben zur Einstufung
sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier», sagt
Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira.

Was haben die Länder-Listen mit dem «Albanien-Modell» zu tun?

Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine
Grundvoraussetzung für die Umsetzung des «Albanien-Modells».
Hintergrund ist, dass die EU-Mitgliedstaaten den Schutzstatus bei
Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, in
einem Schnellverfahren prüfen können. Solche Verfahren will Italien
außerhalb der EU durchführen, konkret in Albanien. Der EuGH klärt
also eine Teilfrage des Modells und steckt Rahmenbedingungen für die
Prüfung von Asylanträgen von Mittelmeer-Flüchtlingen außerhalb der
EU
ab.

Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell»
weitergehen kann, ist laut Rechtsexpertin Endres de Oliveira unklar.
«Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim
«Italien-Albanien-Modell» im Raum stehen», erklärt die Professorin

der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante
Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer
Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach
internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert
werden - und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund.

Wie funktioniert das italienische Modell genau?

Italien hat mit Albanien eine Vereinbarung geschlossen über die
Prüfung von Asylanträgen auf albanischem Territorium, aber nach
italienischem Recht. Dafür wurden zwei Lager in Albanien gebaut, in
denen italienische Beamte über Asylanträge von Migranten entscheiden
sollen, die auf dem Weg nach Europa auf dem Mittelmeer gestoppt
wurden. Das betrifft aber nur Migranten, die aus sogenannten sicheren
Herkunftsstaaten kommen und die volljährig und männlich sind - Frauen
und Minderjährige sind ausgeschlossen. Während der Antragsprüfung
sollen die Bewerber die Lager in Albanien nicht verlassen. Nur wenn
ihr Asylantrag erfolgreich ist, dürfen sie nach Italien.

Das Modell funktionierte bislang nicht: Die italienische Justiz
stoppte die Pläne der rechten Regierungskoalition.

Was passiert aktuell mit den Lagern in Albanien?

Nach den Niederlagen vor italienischen Gerichten verabschiedete
Melonis Koalition im März einen neuen Erlass, wonach abgelehnte
Asylbewerber in Albanien untergebracht werden können, während sie auf
die Abschiebung warten. Damit erweiterte sie die Nutzungsmöglichkeit
der Lager. Im April wurden erstmals abgelehnte Asylbewerber in die
Einrichtung im nordalbanischen Gjader überstellt.

Davor standen die Einrichtungen meist leer und wurden vor allem von
Beamten genutzt. Seit der Einführung der neuen Nutzungsoption
passierten laut der Zeitschrift «Altreconomia», die sich auf Daten
des italienischen Innenministeriums beruft, bis Ende Juni rund 110
Menschen die Zentren. Das Innenministerium antwortete bisher nicht
auf die Anfrage dazu, wie viele Menschen sich derzeit in den
Einrichtungen aufhalten.

Wie steht die EU zu dem Modell?

Das italienische Abkommen mit Albanien wurde in mehreren EU-Staaten
aufmerksam verfolgt - nicht zuletzt, weil sich einige Regierungen
ähnliche Modelle vorstellen könnten. Dänemark etwa zeigte früh
Interesse an Asylverfahren in Drittstaaten.

Die große EU-Asylreform steht dem nicht entgegen. Sie legt Kriterien
für sichere Staaten fest und trifft Bestimmungen zu Asylverfahren in
Drittstaaten, will die Verfahren rechtlich aber etwas anders
handhaben als das «Albanien-Modell».

Zusätzlich schlug die Europäische Kommission im April eine EU-Liste
sicherer Herkunftsländer vor. Bei Antragstellern aus dem Kosovo,
Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien sollen
demnach Asylverfahren schneller werden. Dem Vorschlag müssen noch das
Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zustimmen.

Was sagt die deutsche Regierung?

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zeigte sich grundsätzlich offen
für entsprechende Modelle. Man werde die Auslagerung von
Asylverfahren trotz der Erfahrungen in Italien prüfen, sagte er im
Mai bei einem Besuch in Rom. Nach einem Bericht, den das
Bundesinnenministerium in diesem Jahr noch unter der damaligen
Ministerin Nancy Faeser (SPD) vorstellte, wäre eine Auslagerung von
Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU aber praktisch nicht so
einfach umzusetzen.

Das schwarz-rote Kabinett brachte vor kurzem zudem eine Reform auf
den Weg, um sichere Herkunftsstaaten per Verordnung festlegen zu
können - ohne Beteiligung des Parlaments und Bundesrats.

Welchen Unterschied gibt es zu Rückführungszentren?

Mehrere EU-Staaten sprechen aktuell über die Idee, bereits endgültig
abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten außerhalb Europas
unterzubringen - in sogenannten Rückführungszentren. Deutschlands
Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigte zuletzt dieses
Ziel. Die EU-Kommission hat dazu ein Gesetz vorgeschlagen, die
EU-Staaten und das Parlament müssen noch verhandeln. Nach dem
ursprünglichen «Albanien-Modell» soll aber schon die Antragsprüfung

im Ausland stattfinden.