Asylverfahren auslagern? Gerichtshof verschärft Bedingungen Von Valeria Nickel, Sabina Crisan und Stella Venohr, dpa
01.08.2025 16:43
Italiens Regierung will Asylzentren im Ausland. Bisher liegt die Idee
wegen Gerichtsverfahren auf Eis. Das oberste EU-Gericht hat die
Hürden für einen Teilaspekt des italienischen Modells nun erhöht.
Luxemburg/Brüssel/Rom (dpa) - Der Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) hat Leitplanken für das italienische «Albanien-Modell» zu
beschleunigten Asylverfahren im Ausland aufgestellt. Das
Prestigeprojekt der Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia
Meloni ist umstritten. Welche Bedeutung hat die Entscheidung des
höchsten europäischen Gerichts? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was entschied das Gericht?
In dem Prozess ging es darum, unter welchen Voraussetzungen
EU-Mitgliedstaaten Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer
einstufen dürfen. Im konkreten Fall bestimmte Italien unter anderem
Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat. Das höchste europäische
Gericht hat nun geklärt: Mitgliedsstaaten können nach EU-Recht eine
solche Einstufung selbst treffen, sie müssen aber die Quellen für
ihre Einschätzung offenlegen - damit diese gerichtlich überprüfbar
ist.
Außerdem entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg, dass
- zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung - ein
Land kein «sicherer» Herkunftsstaat sei, wenn bestimmte
Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.
Was bedeutet das Urteil für Deutschland?
Auch die Bundesrepublik hat eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Sie
umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie
Georgien, Ghana, Moldau und den Senegal. «Das Urteil ist auch für
Deutschland wegweisend, denn die europäischen Vorgaben zur Einstufung
sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier», sagt
Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira.
Das für das Thema zuständige Bundesinnenministerium sagte zunächst
nichts zu konkreten Auswirkungen des Urteils für Deutschland. Man
werde die Entscheidung des EuGH auswerten, teilte ein Sprecher mit.
Er verwies darauf, dass man bereits die Gründe für eine Einstufung
eines Herkunftsstaates als sicher offenlege und Deutschland
grundsätzlich Staaten nur dann so einstufe, wenn dort die Bevölkerung
als sicher gelte.
Vor kurzem brachte das schwarz-rote Kabinett außerdem eine Reform auf
den Weg, um sichere Herkunftsstaaten per Verordnung festlegen zu
können - ohne Beteiligung des Parlaments und Bundesrats.
Was haben die Länder-Listen mit dem «Albanien-Modell» zu tun?
Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine
Grundvoraussetzung für die Umsetzung des «Albanien-Modells».
Hintergrund ist, dass die EU-Mitgliedstaaten den Schutzstatus bei
Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, in
einem Schnellverfahren prüfen können.
Solche Verfahren will Italien außerhalb der EU durchführen, konkret
in Albanien. Der EuGH klärte also nur eine Teilfrage des Modells und
steckte Rahmenbedingungen für die Prüfung von Asylanträgen von
Mittelmeer-Migranten außerhalb der EU ab.
Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell»
weitergehen kann, ist laut Rechtsexpertin Endres de Oliveira unklar.
«Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim
«Italien-Albanien-Modell» im Raum stehen», erklärt die Professorin
der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante
Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer
Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach
internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert
werden - und es sei kein Haftgrund, einen Asylantrag zu stellen.
Wie reagierte die italienische Regierung?
Das Urteil stieß in Italien auf scharfe Kritik. Die Entscheidung sei
überraschend und schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum
der Regierungen weiter ein, sagte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
«Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.» Die Justiz -
diesmal die europäische - beanspruche Zuständigkeiten, «die ihr nicht
zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt», teilte
die Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d'Italia (Brüder
Italiens) mit. Demnach gibt das Urteil Einschätzungen einzelner
nationaler Richter, die sich auch auf private Quellen stützen
könnten, Vorrang vor der Bewertung durch Fachministerien und
Parlament.
Wie funktioniert das italienische Modell genau?
Italien hat mit Albanien eine Vereinbarung geschlossen über die
Prüfung von Asylanträgen auf albanischem Territorium, aber nach
italienischem Recht. Dafür wurden zwei Lager in Albanien gebaut, in
denen italienische Beamte über Asylanträge von Migranten entscheiden
sollen, die auf dem Weg nach Europa auf dem Mittelmeer gestoppt
wurden. Das betrifft aber nur Migranten, die aus sogenannten sicheren
Herkunftsstaaten kommen und die volljährig und männlich sind - Frauen
und Minderjährige sind ausgeschlossen. Während der Antragsprüfung
sollen die Bewerber die Lager in Albanien nicht verlassen. Nur wenn
ihr Asylantrag erfolgreich ist, dürfen sie nach Italien.
Das Modell funktionierte bislang nicht: Die italienische Justiz
stoppte die Pläne der rechten Regierungskoalition.
Was passiert aktuell mit den Lagern in Albanien?
Nach den Niederlagen vor italienischen Gerichten verabschiedete
Melonis Koalition im März einen neuen Erlass, wonach abgelehnte
Asylbewerber in Albanien untergebracht werden können, während sie auf
die Abschiebung warten. Damit erweiterte sie die Nutzungsmöglichkeit
der Lager. Im April wurden erstmals abgelehnte Asylbewerber in die
Einrichtung im nordalbanischen Gjader überstellt.
Davor standen die Einrichtungen meist leer und wurden vor allem von
Beamten genutzt. Seit der Einführung der neuen Nutzungsoption
passierten laut der Zeitschrift «Altreconomia», die sich auf Daten
des italienischen Innenministeriums beruft, bis Ende Juni rund 110
Menschen die Zentren. Das Innenministerium antwortete bisher nicht
auf die Anfrage dazu, wie viele Menschen sich derzeit in den
Einrichtungen aufhalten.
Wie steht die EU zu dem Modell?
Das italienische Abkommen mit Albanien wurde in mehreren EU-Staaten
aufmerksam verfolgt - nicht zuletzt, weil sich einige Regierungen
ähnliche Modelle vorstellen könnten. Dänemark etwa zeigte früh
Interesse an Asylverfahren in Drittstaaten.
Eine neue Regelung in der EU sieht vor, dass künftig Staaten auch
unter Ausnahmen von Personengruppen sowie bestimmter Regionen
insgesamt als sicheres Herkunftsland eingestuft werden dürfen. Die
Bestimmung ist Teil der großen EU-Asylrechtsreform, die ab Juni 2026
gilt. Es stehe der EU frei, den Zeitpunkt für das Inkrafttreten der
Bestimmung vorzuverlegen, merkte das Gericht in Luxemburg an. Einen
solchen Vorschlag machte die EU-Kommission im April. Demnach sollen
Mitgliedstaaten sichere Herkunftsländer mit den genannten Ausnahmen
benennen können. Noch müssen dem Vorschlag das Europäische Parlament
und der Rat der Europäischen Union zustimmen. Bis dahin gilt altes
EU-Recht - und die Auslegung des Gerichts.
Zusätzlich schlug die Europäische Kommission im April eine EU-Liste
sicherer Herkunftsländer vor. Bei Antragstellern aus dem Kosovo,
Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien sollen
demnach Asylverfahren schneller werden. Dem Vorschlag müssen noch das
Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zustimmen.
Welchen Unterschied gibt es zu Rückführungszentren?
Mehrere EU-Staaten sprechen aktuell über die Idee, bereits endgültig
abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten außerhalb Europas
unterzubringen - in sogenannten Rückführungszentren. Deutschlands
Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigte zuletzt dieses
Ziel. Die EU-Kommission hat dazu ein Gesetz vorgeschlagen, die
EU-Staaten und das Parlament müssen noch verhandeln. Nach dem
ursprünglichen «Albanien-Modell» soll aber schon die Antragsprüfung
im Ausland stattfinden.