) EU-Urteil zieht Grenzen für Listen sicherer Herkunftsländer Von Valeria Nickel und Ansgar Haase, dpa
01.08.2025 16:24
Listen sicherer Herkunftsstaaten ermöglichen schnellere
Asylverfahren. Italien nutzt sie bei seinem umstrittenen
«Albanien-Modell». Nun macht das höchste EU-Gericht dafür Vorgaben.
Luxemburg (dpa) - Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)
erhöht mit einem Urteil die Hürden für die Festlegung sicherer
Herkunftsstaaten für beschleunigte Asylverfahren. Die EU-Länder
dürfen solche Listen nur selbst erstellen, wenn sie die Quellen für
ihre Einschätzung offenlegen. Zudem gilt derzeit, dass die gesamte
Bevölkerung in dem Land sicher sein muss, entschieden die
Richterinnen und Richter in Luxemburg.
In dem Verfahren ging es um Italiens umstrittenes «Albanien-Modell»
für schnelle Asylverfahren im Ausland. Die Bestimmung von sicheren
Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen
zu können.
EuGH: Einstufung von Staaten muss gerichtlich überprüfbar sein
Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt und in der EU
einen Asylantrag stellt, kann schneller abgelehnt werden. EU-Länder
können selbst bestimmen, welche Staaten sie als sicher ansehen. Der
EuGH legt in seinem Urteil nun fest, dass diese Einschätzung aber
überprüfbar sein muss.
Außerdem dürfen dem Urteil nach Mitgliedstaaten - zumindest bis zum
Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung - einen Drittstaat nicht
als «sicheren» Herkunftsstaat bestimmen, wenn bestimmte
Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.
Im vergangenen Jahr urteilte der Gerichtshof in einem anderen Fall,
dass ein Staat bis auf weiteres nur als sicher eingestuft werden
darf, wenn damit sein gesamtes Hoheitsgebiet gemeint ist.
Eine neue Regelung in der EU sieht allerdings vor, dass künftig
Staaten auch unter Ausnahmen von Personengruppen sowie bestimmter
Regionen insgesamt als sicheres Herkunftsland eingestuft werden
dürfen. Die Regelung ist Teil der großen EU-Asylrechtsreform, die ab
Juni 2026 gilt. Es stehe der EU frei, den Zeitpunkt für das
Inkrafttreten der Bestimmung vorzuverlegen, merkte das Gericht in
Luxemburg an. Einen solchen Vorschlag machte die EU-Kommission im
April. Demnach sollen Mitgliedstaaten sichere Herkunftsländer mit den
genannten Ausnahmen benennen können. Noch müssen dem Vorschlag das
Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zustimmen.
Bis dahin gilt altes EU-Recht - und die Auslegung des Gerichts.
Hintergrund ist Italiens «Albanien-Modell»
Im konkreten Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, klagten zwei
Menschen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil
ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie
gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in Lager nach
Albanien gebracht wurden.
Grundidee des «Albanien-Modells» ist es, Asylanträge von männlichen
erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten
kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in
Schnellverfahren im Ausland zu prüfen. Dazu schloss Italien ein
Abkommen mit Albanien zum Aufbau von zwei Lagern auf albanischem
Territorium.
Es ist das Prestigeprojekt von Italiens rechter Regierungskoalition
unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, liegt aber wegen
Widerstands in der italienischen Justiz derzeit auf Eis. Laut einem
Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität
Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb -
und das bei sehr hohen Kosten.
Pläne der italienischen Regierung durchkreuzt?
Das Urteil stieß in Italien auf scharfe Kritik. Die Entscheidung sei
überraschend und schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum
der Regierungen weiter ein, sagte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.
«Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.» Die Justiz -
diesmal die europäische - beanspruche Zuständigkeiten, «die ihr nicht
zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt», teilte
die Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d'Italia (Brüder
Italiens) mit.
Der Anwalt der Kläger aus Bangladesch sagte gegenüber der
italienischen Nachrichtenagentur Ansa, dass durch das Urteil «die
Position der italienischen Regierung abgelehnt» worden sei. Er
bewertete die Entscheidung demnach als Sieg für den Vorrang des
Unionsrechts vor den Ansprüchen einzelner Nationalstaaten.
Klage von zwei Geflüchteten aus Bangladesch
Die zwei Geflüchteten aus Bangladesch kamen später nach Italien und
zogen dort vor Gericht. Weil das italienische Gericht nicht sicher
war, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen
Regierung mit EU-Recht vereinbar ist, wandte es sich an den EuGH.
Das Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist auch für
Deutschland wegweisend, bestätigt Migrationsrechts-Expertin Pauline
Endres de Oliveira. Denn auch Deutschland hat eine Liste sicherer
Länder festgelegt. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die
Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. «Die
europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten
auch hier», so Endres de Oliveira.
Das für das Thema zuständige Bundesinnenministerium sagte zunächst
nichts zu konkreten Auswirkungen des Urteils für Deutschland. Man
werde die Entscheidung des EuGH auswerten, teilte ein Sprecher mit.
Er verwies darauf, dass man bereits die Gründe für eine Einstufung
eines Herkunftsstaates als sicher offenlege und Deutschland
grundsätzlich Staaten nur dann als sicher einstufe, wenn dort die
Bevölkerung als sicher gelte.
Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell»
weitergehen kann, ist laut der Rechtsexpertin unklar. «Es gibt noch
zahlreiche Rechtsfragen, die beim «Italien-Albanien-Modell» im Raum
stehen», erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum
Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen
Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre
problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne
rechtlichen Grund inhaftiert werden - und eine Asylantragstellung sei
kein Haftgrund.