Gefangen im Transit: Düsterer Alltag der Migranten in Tunis Von Tarek Guizani, dpa
04.08.2025 08:01
Auf den langen Wegen afrikanischer Migranten ist Tunesien ein
Knotenpunkt. Einige warten Monate auf einen Versuch, das Mittelmeer
zu überqueren - unter Anfeindungen vor Ort und Schikanen der
Behörden.
Tunis (dpa) - Der Schlauch hat Löcher und die Spritzdüse ist kaputt,
aber Ahmed Barry versucht trotzdem, den Kleinwagen irgendwie zu
waschen. Der 24-Jährige aus Guinea arbeitet seit ein paar Wochen in
der Waschanlage im Westen von Tunis - die einzige, die in der Gegend
im Zuge von Wasserknappheit noch geöffnet hat. Das Geschäft läuft
schleppend und die Geräte sind alt.
«Die Lage ist schwierig, aber wir müssen arbeiten, um Essen zu kaufen
und Miete zu zahlen», sagt Barry, der Wasser aus seinem nassen
T-Shirt zu wringen versucht. «Ich weiß nicht, wie lange wir bleiben
werden oder was morgen sein wird. Aber ich hoffe, dass wir es eines
Tages nach Europa schaffen.» Neben Barry steht Ali Moriba, ebenfalls
aus Guinea, und rührt Seifenwasser in einem alten Eimer.
Die beiden haben gerade von ihrem Chef erfahren, dass sie erst dann
weiter Autos waschen sollen, wenn er die defekte Wasserpistole
repariert hat. Gelingt ihm das nicht, werden sie vorzeitig nach Hause
gehen und nur für einen halben Tag bezahlt - jeder erhält dann
umgerechnet etwa 4,20 Euro. Ihre Zweizimmerwohnung teilen sie sich
mit fünf anderen Migranten aus Westafrika.
Wunsch auf ein neues, besseres Leben in Europa
Für Zehntausende Migranten, die ihre Heimatländer südlich der Sahara
wegen Gewalt und Armut verlassen, ist Tunesien ein Knotenpunkt. Jedes
Jahr kommen neue dazu, und jedes Jahr besteht unter ihnen der Wunsch
weiter, in Europa ein neues, besseres Leben zu beginnen.
Die meisten afrikanischen Migranten würden nicht lang bei ihm
arbeiten, sagt der Betreiber der Waschanlage, ein Mann um die 50.
«Entweder wandern sie aus oder sie werden festgenommen. Das Leben ist
hart in Tunesien, und sie halten nicht lange durch.»
Noch härter ist das Leben geworden, seit Tunesien vor zwei Jahren mit
der Europäischen Union ein Abkommen schloss, um Migrationsströme
einzudämmen. Behörden gehen seitdem hart gegen den Zustrom von
Migranten in tunesischen Städten vor, etwa in der Region Sfax am
Mittelmeer. Viele entschlossen sich deshalb für ein Leben auf dem
Land oder in ärmeren Gegenden, um den Sicherheitskräften zu entgehen.
Anfeindungen, Schikane, Zusammenstöße
Präsident Kais Saied, der das Land zunehmend autoritär regiert,
heizte die Lage an. Er warf Migranten vor, «Gewalt, Verbrechen und
inakzeptables Verhalten» ins Land zu bringen. Die Betroffenen wurden
immer häufiger angefeindet und schikaniert. Zwischen Migranten und
Anwohnern kam es zu Zusammenstößen. Einige endeten tödlich.
Auch die provisorischen Lager gerieten ins Visier der Behörden. Das
größte von ihnen in Tunis, in deren Nähe auch Büros
des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und der Internationalen
Organisation für Migration (IOM) liegen, wurde abgebaut und
aufgelöst. Es soll Tausenden nicht registrierten Migranten als
Schlaf- und Aufenthaltsort gedient haben. Im Raum Sfax wurden dieses
Jahr weitere Lager aufgelöst.
Frauen betteln auf der Straße oder verkaufen Taschentücher
Mit solchen Maßnahmen wird der Alltag für die Betroffenen noch
härter. Die Suche nach zumindest vorübergehenden Jobs und einer
Unterkunft sind ein täglicher Kampf während der Monate oder sogar
Jahre, die viele darauf warten, das Mittelmeer nach Europa zu
überqueren. Viele Frauen haben keine andere Wahl, als auf der Straße
betteln zu gehen oder etwa Taschentücher zu verkaufen.
Außerhalb von Tunis gehen die Behörden lockerer mit den Migranten um.
Der Vorort Marsa etwa ist zu einem Zufluchtsort geworden. Karim sucht
dort jeden Tag nach Plastikflaschen im Müll, um sie an der örtlichen
Müllhalde zu verkaufen, von wo die Flaschen wiederum an
Recyclinganlagen verkauft werden. Pro Kilogramm Plastik verdient er
umgerechnet etwa 30 Cent.
«Es läuft nach Plan», sagt der junge Mann aus Kamerun, der seinen
echten Namen zum Schutz seiner eigenen Sicherheit nicht nennen will.
«Ich versuche, Geld zu sparen, weil wir als Transit-Migranten hier
sind. Ich habe einmal versucht, das Mittelmeer zu überqueren, aber
die Küstenwache hat mich erwischt und mich weg von der Hauptstadt
geschickt in die Wüste.»
Verstärkte Patrouillen der Küstenwache
Zwei Wochen später sei Karim nach Tunis zurückgekehrt, erzählt er.
«Ich arbeite hier, jetzt muss ich Geld sparen und mein Glück noch
einmal versuchen.» Leicht wird es nicht, denn die Küstenwache hat
ihre Patrouillen verstärkt und überwacht die Gewässer noch
gründlicher - auch mit Hilfe europäischer Ausrüstung und mit noch
härteren Strafen für Schleuser.
Das EU-Abkommen, in dessen Rahmen Tunesien auch mehr als 100
Millionen Euro für einen verstärkten Grenzschutz zugesagt wurden,
scheint bereits Wirkung zu zeigen. Vergangenes Jahr nahm der Zustrom
nach Italien aus Tunesien im Vergleich zum Vorjahr um fast 80 Prozent
ab, wie aus offiziellen Zahlen aus Italien hervorgeht. Im ersten
Viertel dieses Jahres setzte sich der Rückgang im selben Tempo fort.
Einige kommen zum Entschluss, nicht länger in Tunesien auf ihr
Schicksal warten zu wollen. Sie kehren zurück. Ein Sprecher der
Nationalgarde sagte der dpa, dass allein dieses Jahr bis Mai rund
3.500 irregulär eingereiste Migranten in ihre Heimatländer
zurückgekehrt seien - freiwillig. Die kostenlosen Flüge dafür
organisiert die IOM zweimal wöchentlich zusammen mit Tunesiens
Behörden und Geberländern.
Einer derjenigen, die an Bord gehen, sitzt am Flughafen von Tunis und
wartet, zusammen mit seiner Frau und einem Baby. Er wolle nach Guinea
zurückkehren, sagt der Mann. Während seiner drei Jahre in Tunesien
konnte er keinen Job finden.