Rückt Frieden näher? Die Knackpunkte nach dem Ukraine-Gipfel Von Ulf Mauder, Anna Ringle, Andrej Sokolow und Andreas Hoenig, dpa

19.08.2025 05:14

Der Angriffsbefehl kam aus dem Kreml. Dennoch empfängt der
US-Präsident zuerst Russlands Staatschef in Alaska - und erst dann
den ukrainischen Präsidenten. Was hat der Gipfel in Washington
gebracht?

Washington (dpa) - Es ist zwar noch kein Frieden in Sicht. Aber zum
ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine
vor fast dreieinhalb Jahren zeichnet sich ein umfassender
Verhandlungsprozess mit allen Beteiligten ab. Bereits am Freitag
sprachen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin in
Alaska direkt miteinander. Nun folgte ein Treffen Trumps mit dem
ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und europäischen
Spitzenpolitikern in Washington. Was hat dieser Gipfel konkret
gebracht - und was ist noch offen?

Kommt es zu einem Treffen von Putin und Selenskyj?

Danach sieht es aus. Der US-Präsident verkündete, er habe damit
begonnen, ein Zweiertreffen der beiden Präsidenten vorzubereiten. Ort
und Zeit sind bislang unbekannt. Die Begegnung soll aber nach Angaben
von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) innerhalb der nächsten beiden
Wochen stattfinden. Danach - so Trumps Plan - soll ein Dreiertreffen
mit ihm selbst folgen. 

Offensichtlich ist dieser Plan aber noch nicht fix. Nach einem
Telefonat Trumps mit Putin sprach der Kreml zunächst nicht von einem
Treffen auf Präsidentenebene. Zwar hat Putin bereits mehrfach
erklärt, dass er bereit sei zu einem Treffen mit Selenskyj,
allerdings nannte er dabei stets als Bedingung, dass grundlegende
Fragen vorab geklärt sein müssten. Selenskyj sagte dagegen im Weißen

Haus erneut, dass er Putin treffen und auch Trump gern dabeihaben
wolle.

Wie können Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen?

Mit sogenannten Sicherheitsgarantien können Staaten oder
internationale Organisationen einem Land verbindliche Zusagen geben,
um dessen Schutz zu gewährleisten und es vor externen Bedrohungen zu
schützen. Im Fall der Ukraine bergen vor allem zwei Varianten
Konfliktpotenzial:

* Zusicherungen nach dem Vorbild des Artikels 5 des Nato-Vertrages:
Dieser Artikel besagt, dass Bündnispartner im Fall eines Angriffs auf
die Unterstützung der Alliierten zählen können und eine Attacke auf
ein Mitglied als ein Angriff auf alle gewertet wird.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte betonte in Washington, dass es zwar
nicht um eine volle Mitgliedschaft der Ukraine in der Allianz gehe,
aber Artikel-5-ähnliche Zusicherungen weiterhin auf dem Tisch seien.
Was sie umfassen sollen, werde nun im Detail besprochen.
* Friedenstruppen für die Ukraine: Rutte, Merz und auch Trump
ließen offen, wie genau eine solche Truppe aussehen könnte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von
«Rückversicherungstruppen auf dem Meer, in der Luft und am Boden»,
die von den Verbündeten der Ukraine zur Verfügung gestellt werden
könnten.

Für Macron gehört auch eine robuste ukrainische Armee, die jedem
Angriff standhalten könne, zu den notwendigen Sicherheitsgarantien.
Ähnlich klang es auch bei Selenskyj. Rutte unterstrich im US-Sender
Fox News, dass Russland nach einem Friedensabkommen nie wieder
versuchen dürfe, auch nur eine Quadratmeile ukrainischen Bodens zu
ergattern.

Was sagt Moskau dazu?

Putin hatte nach seinem Treffen mit Trump in Alaska zwar auch von
Sicherheitsgarantien für die Ukraine gesprochen, diesen Punkt aber
nicht näher ausgeführt. Das russische Außenministerium bekräftigte
am
Tag der Gespräche in Washington, dass Russland keine Truppen aus
Nato-Staaten zur Friedenssicherung nach einem Waffenstillstand in der
Ukraine akzeptieren werde. Bei solch einem Szenario drohe eine
Eskalation und der Konflikt zu einer globalen Konfrontation zu
werden, hieß es aus Moskau.

Gibt es eine Waffenruhe oder nicht?

Das ist völlig unklar. Die Aussagen der verschiedenen Akteure sind
unterschiedlich. Trump hatte ursprünglich eine sofortige Waffenruhe
für die Ukraine verlangt. Nach seinem Treffen mit Putin, der in
diesem Punkt kein erkennbares Einlenken signalisierte, war davon
keine Rede. 

Kanzler Merz sagte nun in Washington: «Ich kann mir nicht vorstellen,
dass das nächste Treffen ohne eine Feuerpause stattfindet.»
Allerdings kassierte Selenskyj seine schon länger bestehende
Forderung nach einer Waffenruhe ein, die es vor einem Treffen mit
Putin geben müsse. «Ich finde, dass wir uns ohne irgendwelche
Vorbedingungen treffen und darüber nachdenken müssen, wie dieser Weg
zur Beendigung des Krieges weitergehen könnte», sagte er nach den
Gesprächen im Weißen Haus.

Was ist mit Gebietsabtretungen an Russland?

Russland forderte stets, dass die Ukraine für einen Waffenstillstand
den Verlust eigener Gebiete anerkennen solle. Die annektierten
ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson
werden seit 2022 in der russischen Verfassung als neue Regionen
aufgeführt.

In einem Memorandum machte Moskau den Vorschlag, dass die
ukrainischen Streitkräfte komplett aus den noch nicht ganz von
russischen Truppen kontrollierte Gebieten Luhansk und Donezk
abziehen, zur Bedingung für einen Waffenstillstand. Im Gebiet Donezk
liegen die strategisch wichtigen Städte Kramatorsk und Slowjansk, die
Kiew noch hält und nicht aufgeben will.

Spekuliert wird, dass Russland besetzte Teile der ukrainischen
Gebiete Sumy, Charkiw, Dnipropetrowsk und Mykolajiw aufgeben und
dafür die volle Kontrolle in Donezk und Luhansk erhalten könnte.
Offen ist auch die Zukunft der Gebiete Saporischschja und Cherson.
Sie sind jeweils zu mehr als 50 Prozent unter russischer Kontrolle,
jedoch hat Kiew in den Gebietshauptstädten weiter das Sagen. 

Selenskyj betonte immer wieder, die ukrainische Verfassung lasse
keinen Verzicht auf Gebiete oder den Tausch von Land zu. Er sagte
auch, dass er über territoriale Fragen direkt mit Putin verhandeln
wolle. Die europäischen Verbündeten betonten, dass die Ukraine eine
Entscheidung über einen von Russland geforderten Verzicht auf Gebiete
selbst treffen müsse.

Was ist die Rolle Deutschlands?

Deutschland steht weiterhin eng an der Seite der Ukraine. Kanzler
Merz hat eine führende Rolle unter den europäischen Verbündeten. Er
sagte in Washington, das geplante Treffen zwischen Putin und
Selenskyj müsse gut vorbereitet werden. «Das werden wir auch mit
Präsident Selenskyj tun.»

Innenpolitisch zeichnen sich schwierige Diskussionen darüber ab, wie
genau sich Deutschland im Falle eines Friedensabkommens an
Sicherheitsgarantien für die Ukraine beteiligen sollte. Zentrale
Frage: Soll Deutschland 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Bundeswehr-Truppen in die Ukraine schicken?

Merz sagte, der Umfang der Sicherheitsgarantien müsse in Europa und
in der Koalition in Berlin besprochen werden - «bis hin zu der Frage,
ob wir hier möglicherweise mandatspflichtige Beschlüsse zu fassen
haben». Noch sei es zu früh, um darauf eine endgültige Antwort zu
geben. Mandatspflichtige Beschlüsse bedeutet: Der Bundestag müsste
darüber entscheiden, Bundeswehrsoldaten in die Ukraine zu schicken.

Wie optimistisch sind die Europäer?

Nach dem Gipfel war Erleichterung herauszuhören. So sagte Merz zum
Beispiel: «Meine Erwartungen sind eigentlich nicht nur getroffen,
sondern übertroffen worden.» Er wolle nicht verhehlen, dass er
unsicher gewesen sei, ob das Treffen so ausgehen werde. «Das hätte
auch anders verlaufen können.»

Es gab aber auch andere Zwischentöne. Der finnische Präsident
Alexander Stubb sagte dem US-Sender CNN nach dem Treffen, die
grundlegenden strategischen Ziele Putins hätten sich nicht geändert.
Der Kremlchef wolle Russland als Supermacht sehen. «Er möchte den
Westen spalten.» Und er wolle der Ukraine die Souveränität nehmen,
ergänzte der Finne, dessen Land direkt an Russland grenzt.