Verbraucher suchen Alternativen zu US-Tech-Produkten Von Anne-Beatrice Clasmann dpa
31.08.2025 00:17
An Paypal, Google, ChatGPT und WhatsApp führt für viele Menschen kein
Weg vorbei. Doch manche Verbraucher suchen inzwischen bewusst nach
europäischen Alternativen - auch aus politischen Gründen.
Berlin (dpa) - Wer die Restaurantrechnung per Revolut-App teilt und
auf seinem Rechner den Vivaldi-Browser nutzt, mag in manchen Kreisen
als spleeniger Außenseiter gelten. Doch einige Entwicklungen der
vergangenen Monate haben dazu geführt, dass sich mittlerweile auch
Menschen, die bisher auf digitale Produkte und Dienstleistungen von
Marktführern wie Google, Paypal, Amazon oder Meta setzen, mehr
Gedanken machen über Datenschutz und Abhängigkeiten.
Bequemlichkeit geht oft vor
Das Bewusstsein für diese Problematik sei bei Verbrauchern zwar
insgesamt nicht so groß wie bei Unternehmen und Behörden, sagt
Florian Glatzner von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Er
habe jedoch den Eindruck, dass viele Nutzer inzwischen «ein
schlechtes Gefühl in der Magengegend» hätten, nicht nur bei Soft- und
Hardware aus China, sondern auch bei Produkten aus den USA. Da es
meist einfacher sei, Apps und andere Produkte zu nutzen, die weit
verbreitet, benutzerfreundlich und häufig sogar schon auf den Geräten
voreingestellt seien, führe dieses Unwohlsein aber in den meisten
Fällen nicht zu einer Änderung des Verhaltens - oder zumindest nicht
sofort. Psychologen nennen so etwas kognitive Dissonanz.
Ärger über Aus für Windows 10
Dabei geht es gar nicht unbedingt immer um die Sorge, ein US-Konzern
könnte auf Grundlage politischer Vorgaben ohne Vorwarnung den Zugang
zu den eigenen Daten sperren. Auch andere, banalere Zwänge sorgen
dafür, dass Nutzerinnen und Nutzer ins Nachdenken kommen. Zu den
Fällen, die in jüngster Zeit für einigen Ärger bei Verbrauchern
gesorgt haben, zählt Glatzner die schon länger angekündigte
Entscheidung von Microsoft, dass der kostenlose Support für Windows
10 am 14. Oktober endgültig endet. Mit eventuellen Sicherheitslücken
bleiben die Nutzer des Betriebssystems dann allein. Für Privatkunden
gibt es - Stand jetzt - dann nur noch die Möglichkeit gegen Gebühr
für ein Jahr Sicherheitsupdates zu erhalten.
Gleichzeitig sind die Mindestanforderungen, die ein Gerät erfüllen
muss, damit darauf Windows 11 installiert werden kann, so hoch, dass
viele ansonsten noch voll funktionsfähige Hardware ersetzt werden
muss - falls die Betroffenen nicht auf ein anderes Betriebssystem
umsteigen wollen. Das verursache unnötige Kosten und große Mengen von
Elektroschrott, so die Kritik einiger Nutzer.
Online-Bezahldienst «made in Europe»
Bei Paypal waren vor knapp einer Woche Sicherheitssysteme
ausgefallen, die betrügerische Lastschriften herausfiltern sollen.
Daraufhin hatten etliche Banken in Deutschland von der Paypal-Bank in
Luxemburg weitergereichte Lastschriften gestoppt. Dabei ging es um
Lastschriften, bei denen Paypal das Geld vom Bankkonto der Kunden
einzieht, nachdem diese etwa Waren im Internet gekauft haben. Nicht
erst seit dieser großen Panne bemühen sich europäische Wettbewerber
wie die Neobank Revolut oder Wero, der Dienstleister der European
Payments Initiative (EPI), mit dem Argument «Made in Europe» dem
Online-Zahlungsdienstleister aus den USA Konkurrenz zu machen.
Wer kennt schon Wero?
Wer die mobile Wallet Wero nutzt, braucht im Unterschied zu einer
herkömmlichen Überweisung nicht die Kontonummer des Empfängers,
sondern kann Geld in Echtzeit an eine Handynummer oder E-Mail-Adresse
senden. Der bislang allerdings nur in Deutschland, Frankreich und
Belgien nutzbare Service war zunächst nur ein Angebot für die
Kundschaft von Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken, die ihn
über die Apps ihrer jeweiligen Institute zur Verfügung stellten.
Inzwischen gibt es eine eigenständige Wero-App. Die Direktbank ING
hat Wero eingeführt und auch Revolut hat Wero mittlerweile in seine
App integriert.
Und wenn etwas schiefgeht?
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) rät bei
der Auswahl jedweder Produkte, zu schauen «was passiert mit den
eigenen Daten oder den Daten der Angehörigen?». Eine Sprecherin der
Behörde sagt: «Das BSI empfiehlt Verbraucherinnen und Verbrauchern,
sich bei der Entscheidung für ein Produkt oder eine Dienstleistung
grundsätzlich nicht nur die Frage zu stellen, ob die
Grundfunktionalität hilfreich ist, sondern darauf zu achten, welche
Informationen der Anbieter mit Blick auf Sicherheitsvorfälle
bereitstellt, etwa entsprechende Maßnahmen und
Kontaktmöglichkeiten.»
Mehrheit beklagt Abhängigkeit von USA und China bei KI
Ähnlich wie bei den Zahlungsdienstleistern, wo US-Konzerne wie
Paypal, Visa und Mastercard in puncto Marktanteil in Deutschland nach
wie vor weit vor der europäischen Konkurrenz liegen, sieht es auf dem
rasant wachsenden Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) aus. Im
Frühjahr veröffentlichte der Branchenverband Bitkom die Ergebnisse
einer repräsentativen Umfrage. Damals sagten 68 Prozent der
Befragten, dass Deutschland im Bereich KI von den USA und China zu
stark abhängig sei. 60 Prozent wollten, dass Deutschland unabhängiger
von US-amerikanischen KI-Unternehmen wird.
Le Chat kommt aus Frankreich
Der Studie zufolge nutzten zwei Drittel (67 Prozent) der Menschen in
Deutschland ab 16 Jahren zumindest gelegentlich generative KI. Im
vergangenen Sommer waren es 40 Prozent. Dabei beschränkt sich die
Nutzung fast ausschließlich auf die drei führenden Anbieter OpenAI
(ChatGPT), Microsoft (Copilot) und Google (Gemini). Das KI-Start-up
Mistral AI (Le Chat) aus Frankreich, das vor allem
Open-Source-Sprachmodelle entwickelt und besonders auf Privatsphäre
achtet, ist hierzulande dagegen noch weitgehend unbekannt. Das
deutsche Pendant Aleph Alpha fokussiert sich eher auf konkrete
KI-Lösungen für Firmenkunden und öffentliche Auftraggeber, die hohe
datenschutzrechtliche Anforderungen erfüllen müssen.
Datenschutzfragen und Strategien zur Reduzierung von Abhängigkeiten
beschäftigen nicht nur Verbraucher und Unternehmen, sondern werden
auch politisch kontrovers diskutiert. Das BSI setzt bei digitaler
Souveränität auf eine Doppelstrategie: Der EU-Markt und die eigene
Digitalindustrie sollen gestärkt werden. Internationale Produkte
sollen technisch so abgesichert werden, dass ein souveräner Einsatz
möglich wird.
Gipfel am 18. November in Berlin
Frankreich und Deutschland wollen am 18. November gemeinsam mit der
EU-Kommission in Berlin einen Gipfel zum Thema digitale Souveränität
ausrichten. Der Bundesregierung geht es hier auch darum, Risiken zu
minimieren. Oder, wie es Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am
Freitag bei einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten
Emmanuel Macron ausgedrückt hat: «Das ist wichtig für die
Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften.»