EU-Urteil: Gerichte dürfen höhere Instanz ignorieren
04.09.2025 14:06
Die Reformen der Nationalkonservativen brachten Polen in eine
Justizkrise: Die EU sah jahrelang eine Gefahr für die
Rechtsstaatlichkeit. Nun spricht der Europäische Gerichtshof ein
weiteres Urteil.
Luxemburg (dpa) - Nationale Gerichte müssen dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) zufolge Urteile eines höheren Gerichts
ignorieren, wenn dieses Mindeststandards nicht erfüllt. Gerichte
dürften dazu überprüfen, ob Richterinnen und Richter übergeordneter
Gerichte ordnungsgemäß ernannt worden seien, teilten die Richterinnen
und Richter in Luxemburg mit. Voraussetzung sei, dass dies notwendig
sei, um den Vorrang des EU-Rechts zu wahren.
Im konkreten Fall ging es um eine Kammer des Obersten Gerichts in
Polen. Sie hatte ein Urteil von 2006 aufgehoben, mit dem untersagt
worden war, bestimmte Kreuzworträtsel-Zeitschriften wegen
Wettbewerbsrechtsverletzungen in den Verkehr zu bringen. Die Sache
wurde an ein Zivilgericht zurückverwiesen. Der nun damit befasste
polnische Richter hatte sich an den EuGH gewandt, weil er davon
ausgeht, dass die Kammer nicht ordnungsgemäß besetzt wurde und nicht
unabhängig sei. Nach polnischem Recht durfte er das höhere Gericht
jedoch nicht überprüfen.
Kompetenzen einzelner Richter gestärkt
Mit dem neuen Urteil des EuGH seien die Kompetenzen des einzelnen
nationalen Richters gestärkt worden, sagt Staats- und Europarechtler
Alexander Thiele. Das Urteil reihe sich in eine ganze Reihe von
Entscheidungen ein, die der Europäische Gerichtshof gefällt habe zur
Unabhängigkeit der Justiz in Polen. Hintergrund sind die
Justizreformen der ehemaligen nationalkonservativen PiS-Regierung,
die Polen von 2015 bis 2023 geführt hatte.
Der EuGH selbst hatte schon im Jahr 2023 festgestellt, dass die
Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche
Angelegenheiten kein Gericht nach EU-Regeln darstelle. Denn die
Kammer wurde auf Empfehlung des Landesjustizrats besetzt. Weil dieses
Organ «von der polnischen Exekutive und Legislative wesentlich
umgebildet wurde», gebe es an seiner Unabhängigkeit berechtigte
Zweifel, hieß es seitens EuGH.
Der Landesjustizrat in Polen ist das Gremium, das Richter für
freiwerdende Stellen nominiert. Es soll nach einem vom Parlament
verabschiedeten Gesetz umgebaut und die Nominierung von Richtern
wieder von der Politik entkoppelt werden. Die Neuordnung gestaltet
sich aber langsam, weil der damalige Präsident Andrzej Duda im August
2024 das neue Gesetz an das Verfassungsgericht weitergeleitet hatte.
Dieses soll überprüfen, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist.