Krise in Paris: Wird Frankreich zum Risiko für die Eurozone? Von Alexander Sturm und Jörn Bender, dpa
09.09.2025 11:49
Im hoch verschuldeten Frankreich ist die Regierung im Streit über
Sparmaßnahmen zerbrochen. Wirtschaftsreformen erscheinen
unwahrscheinlicher denn je. Das kann für Europa gefährlich werden.
Paris/Frankfurt (dpa) - Die Regierung zerbrochen, die Haushaltskrise
bleibt: Frankreichs Mitte-Rechts-Regierung ist nach nur knapp neun
Monaten gescheitert, Premier François Bayrou bei der Vertrauensfrage
im Parlament gescheitert. Die Hängepartie in Frankreich hat
schwerwiegende Folgen nicht nur für Deutschlands Nachbarland. Sie
könnte für die gesamte Eurozone zur Belastung werden.
Was sind die wirtschaftlichen Folgen der Krise in Paris?
Die Entscheidung könne das Land - die zweitgrößte Volkswirtschaft i
n
der Eurozone - an den Rand einer ernsthaften Krise der Staatsfinanzen
bringen, meint Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts.
«Der Zusammenbruch der Regierung und damit verbunden eine
Zurückweisung der Pläne von Bayrou zur Stabilisierung der
Staatsfinanzen erhöht die Unsicherheit über den weiteren
finanzpolitischen Kurs Frankreichs», sagte er dem Nachrichtenmagazin
«Politico». «Da Frankreich für die EU und die Eurozone eine wichtig
e
Rolle spielt, wäre die ohnehin schwache Wirtschaftsentwicklung in
Europa weiter beeinträchtigt.»
Warum ist die Lage in Frankreich so prekär?
Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat Frankreich mit 114 Prozent
die dritthöchste Schuldenquote in der EU nach Griechenland und
Italien. In absoluten Zahlen lastet auf dem Land mit rund 3.300
Milliarden Euro der höchste Schuldenberg in der Eurozone. Auch die
Staatsausgaben gehören zu den höchsten in Europa. Das
Haushaltsdefizit lag zuletzt bei 5,8 Prozent. Die EU hat bereits im
Juli 2024 ein Defizitverfahren gegen Frankreich eröffnet.
Drohen in Frankreich italienische Verhältnisse?
Dazu kommt, dass neue Schulden für Frankreich angesichts politischer
Dauerkrisen und fehlender Sparanstrengungen zunehmend teuer werden.
Das Land muss Investoren für neue Staatsanleihen immer höhere Zinsen
bieten.
«Die Anleger sind besorgt über die hohe und weiter steigende
Staatsverschuldung Frankreichs. Die Anleihenrenditen sind bereits
deutlich stärker gestiegen in Frankreich als beispielsweise in
Italien und mittlerweile liegt die Rendite zehnjähriger französischer
Staatsanleihen kaum noch unter der italienischer», sagt
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Mittlerweile liegt die Rendite zehnjähriger französischer Anleihen
sogar über der entsprechender Papiere aus Griechenland. Immerhin: Am
Dienstag reagierten die Finanzmärkte gelassen - sie hatten die
schlechten Nachrichten aus Frankreich erwartet.
Reformen dringend nötig - nur wer setzt sie durch?
Nach Einschätzung der Investmentbank Goldman Sachs wird die größte
wirtschaftliche Herausforderung für Frankreich sein, die
Staatsverschuldung zu stabilisieren. Zudem müsse das Land unbedingt
wieder Reformen angehen, um das Wachstum anzukurbeln.
Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der
Dekabank, glaubt aber nicht daran: «Die gescheiterte Vertrauensfrage
stellt den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung dar, welche die
Reformunfähigkeit von Frankreich bestätigt und zeigt, dass selbst
kleinste Sparmaßnahmen nicht mehrheitsfähig sind.»
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der Liechtensteiner VP Bank meint,
wegen der zersplitterten politischen Landschaft werde eine
Budgetkonsolidierung in Frankreich bis zu den nächsten
Präsidentschaftswahlen 2027 nicht gelingen. «Ohne Konsolidierung wird
die Schuldenquote weiter deutlich zulegen».
Wird Frankreich zur Gefahr für die Eurozone?
«Frankreich wird weiter unter genauer Beobachtung der Märkte
bleiben», sagt Deka-Kapitalmarktstratege Schallmayer. «Die Gefahr
eines abrupten Anstiegs der Risikoprämien muss eng beobachtet werden,
die verlorene Vertrauensabstimmung wird aber nicht der Auslöser dafür
sein, auch nicht für eine erneute Euro-Krisendebatte.»
Ähnlich sieht das Ökonom Gitzel: «Die Finanzmärkte werten bislang
Frankreich als Einzelrisiko und nicht als systemisches Risiko für die
gesamte Eurozone.» Das dürfte auch daran liegen, dass die Europäische
Zentralbank einen umfangreichen Instrumentenkasten für Krisen habe.
Wie kann die EZB notfalls eingreifen?
Sollten die Risikoaufschläge französischer Staatsanleihen weiter
deutlich steigen, könnte die EZB Stützungskäufe tätigen, glaubt
Gitzel. So verfügt die Notenbank über das «Transmission Protection
Instrument» (TPI), in dessen Rahmen die EZB im Krisenfall Anleihen
einzelner Eurostaaten in unbegrenztem Umfang kaufen könnte.
Allerdings gibt es dafür Hürden: Das Programm diene dazu, «Länder z
u
schützen, die ungerechtfertigten Marktangriffen ausgesetzt sind, und
nicht solche, die schlechte finanzpolitische Entscheidungen treffen»,
sagt Berenberg-Ökonom Felix Schmidt.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde äußerte sich kürzlich relativ
allgemein zur Krise in Frankreich. «Jeder drohende Regierungssturz in
einem Land der Eurozone ist besorgniserregend», sagte sie dem Sender
Radio Classique. Das französische Bankensystem sei aber besser
aufgestellt als während der letzten Finanzkrise und sie erwarte
nicht, dass Frankreich zur Sanierung seiner Finanzen Hilfe vom
Internationalen Währungsfonds anfragen werde.
Fragen zu Frankreich wird sich Lagarde auch nach dem Zinsentscheid
der EZB an diesem Donnerstag stellen müssen. Gut möglich, dass die
Lage in Paris die Zentralbank noch stärker beschäftigten wird.