«Verbrenner-Aus muss weg» - Streit im Autoland

09.09.2025 15:39

Mehr als 480.000 Menschen arbeiten in Baden-Württemberg rund ums
Auto. Wie das geplante Verbrenner-Aus ab 2035 die Branche und die
Politik spaltet.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die Stimmen aus dem Autoland Baden-Württemberg,
die das geplante Verbrenner-Aus 2035 in der Europäischen Union
kritisch hinterfragen, nehmen zu. CDU-Landeschef Manuel Hagel warnte
mit deutlichen Worten und forderte einen radikalen Schritt: «Das
Verbrenner-Aus der EU muss weg. Es schadet der Innovation, schwächt
unsere Industrie, gefährdet tausende Arbeitsplätze - und bringt
unserem Klima nichts», sagte er der Deutschen Presse-Agentur nach
einem Gespräch der Unions-Fraktionschefs aus Bund, Ländern und
EU-Parlament mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Berlin. 

Bundeskanzler Friedrich Merz sagte anlässlich der IAA Mobility in
München: «Einseitige politische Festlegungen auf bestimmte
Technologien sind nicht nur für diese Branche grundsätzlich der
falsche wirtschaftspolitische Weg.» Ziel sei, «durch
Technologieoffenheit Wettbewerbsfähigkeit und effektiven Klimaschutz»
miteinander zu verbinden, betonte Merz. Grundsätzlich müsse
Deutschland «wieder ein wettbewerbsfähiger international anerkannter
Wirtschaftsstandort werden, auf den die Welt nicht mit Verwunderung,
sondern mit Bewunderung schaut».

Özdemir hält geringe Verschiebung von Verbrenner-Aus für denkbar

Im Südwesten regiert Grün-Schwarz. CDU-Politiker Hagel ist
Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im März 2026.
Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir zeigte sich prinzipiell offen für

eine geringfügige Verschiebung des Termins für das Verbot neuer Autos
mit Verbrennungsmotoren. «Gefordert ist jetzt ein Schulterschluss
zwischen Industrie und Politik, der die nötige Flexibilität beim
,Wann' ermöglicht und gleichzeitig beim 'Wohin' klar Kurs hält: Mit
einem Booster für eine flächendeckende europäische Ladeinfrastruktur,

vergünstigtem Ladestrom, Weitblick beim Netzausbau etwa mit
oberirdischer Trassenführung und einem Transformationsfonds für die
Zulieferer.»

Hagel forderte den Kanzler im Namen der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden
der Länder auf, nun mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen «Klartext» über das Verbrenner-Aus zu sprechen. «Es geht jetz
t
darum, deutsche Interessen zu vertreten. Dafür brauchen wir einen
Kurswechsel in der europäischen Automobilpolitik.» 

Knapp 500.000 Beschäftigte rund um das Thema Auto

In Baden-Württemberg arbeiten nach Angaben des
Wirtschaftsministeriums bei Automobilherstellern, Zulieferern und
Branchen, die für die Nutzung von Kraftfahrzeugen notwendig sind, wie
das Kfz-Gewerbe, Tankstellen und Raffinerien, insgesamt 480.100
Beschäftigte. Spitzenmanager aus der Autoindustrie und der großen
deutschen Zulieferer fordern schon seit längerer Zeit, das ab 2035
geplante EU-weite Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotoren zu
überprüfen. Mercedes-Chef Ola Källenius sagte den «Stuttgarter
Nachrichten» und der «Stuttgarter Zeitung»: «Die absolutistische
Vorgabe der EU, die den Herstellern ein fixes Ziel setzt und
drakonische Strafen bei Nichterreichen verhängt, ist bisher
offensichtlich nicht erfolgreich.» Deshalb müsse man jetzt offen
Bilanz ziehen und über Alternativen sprechen.

FDP-Landeschef Hans-Ulrich Rülke sagte, er sei Hagel sehr dankbar,
dass er an dieser Stelle die Interessen der baden-württembergischen
Automobil- und Zulieferindustrie gegen die unheilige Allianz aus von
der Leyen und Grünen auch im Sinne der FDP vertrete.

AfD-Landeschef Markus Frohnmaier warf Hagel taktisches Vorgehen mit
seiner Äußerung vor. «Herr Hagel betreibt klassisch das 'System
Merz': Erst treibt die Union in Brüssel das Verbrenner-Aus selbst mit
voran - und jetzt fordert er eine Überprüfung, obwohl er weder auf
Landesebene noch in seiner Partei die Macht hat, das rückgängig zu
machen. So gaukelt man Handlungsfähigkeit vor, ohne etwas zu
ändern.» 

CSU-Chef Markus Söder hatte am Wochenende seine Forderung erneuert,
das ab 2035 geplante EU-weite Verbot neuer Autos mit
Verbrennungsmotoren zu kippen, um die kriselnde deutsche
Autoindustrie zu stützen. Hagel sagte, es seien nun
«Technologieoffenheit, unternehmerische Freiheit und faire Regeln für
alle Antriebsformen» nötig. 

Südwest-Unternehmer: Politik muss für Ladeinfrastruktur sorgen

Der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg, Oliver
Barta, sagte, es gehe nicht darum, die langfristigen Klimaziele in
der EU und in Deutschland infrage zu stellen. «Wer aber Ziele setzt,
muss auch dafür sorgen, dass diese erreichbar sind. Die deutsche
Industrie habe ihre Hausaufgaben gemacht, hunderte Milliarden Euro in
die Elektromobilität investiert, alltagstaugliche Produkte auf den
Markt gebracht.» Es fehle jedoch weiterhin an einer ausreichenden
Ladeinfrastruktur etwa in Wohngebieten der Ballungsräume und in
ländlichen Regionen. Und dies vor allem auch in Teilen Europas.

Der Landesgeschäftsführer des BUND Baden-Württemberg, Martin
Bachhofer, sagte: «Es ist und bleibt ein Rätsel, auf welche Weise das
dringend notwendige Verbrenner-Aus ab 2035 'der Innovation' schaden
sollte.» Es sei eine Illusion, mit synthetisch hergestelltem
Treibstoff Fahrzeuge in nennenswerter Zahl betreiben zu können. Die
Energie, die dafür notwendig wäre, gebe es nicht.

SPD-Landeschef Andreas Stoch sagte, der Umstieg auf Elektromobilität
stehe für die Partei außer Frage - entscheidend sei nicht, ob sie
komme, sondern wie man sie umsetzen könne. «Klar ist: Die Klimaziele
müssen zwingend erreicht werden.» Gleichzeitig gelte es, die
Transformation so zu gestalten, dass sie nicht zu massenhaften
Arbeitsplatzverlusten führe.