«Shit, voll schiefgelaufen» - 10 Jahre Dieselskandal bei VW Von Kilian Genius, Frank Johannsen und Christian Brahmann, dpa

17.09.2025 05:00

Vor zehn Jahren flog der Dieselskandal bei Volkswagen auf und
erschütterte nicht nur den Konzern. Wie ist heute der Blick auf einen
der größten Wirtschaftsskandale?

Wolfsburg (dpa) - Auf den Straßen von Kalifornien haben drei
Studenten eine Welle ausgelöst, die wenig später als Tsunami im
niedersächsischen Wolfsburg aufschlug: Ihre Tests mit einem VW Jetta
im Frühjahr 2013 führten mit zur Aufdeckung der Abgasaffäre im Herbst

2015. «Dieselgate» erschütterte Europas größten Autobauer und bra
chte
den Konzern ins Wanken. Zehn Jahre später ist einer der größten
Skandale der deutschen Industriegeschichte längst aus dem Fokus. Das
bedeutet aber nicht, dass alle Wogen geglättet sind. 

Von einem selbst verursachten «Kulturschock» sprach VW-Chef Oliver
Blume jüngst auf der IAA Mobility in München. Der Konzern habe aber
aus seiner Sicht Lehren daraus gezogen. Es seien Compliance-Prozesse
installiert worden, die Kultur bei Volkswagen habe sich verändert und
dabei auch die Art und Weise, wie der Konzern geführt werde. «Wir
haben die Produktstrategie verändert», sagte Blume mit Blick auf die
Transformation zu mehr Elektromobilität. 

Zäsur für Volkswagen 

«Das war das einzig Gute an der Sache», sagte Helena Wisbert,
Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia Hochschule
Wolfsburg. Als Reaktion auf den Skandal sei E-Mobilität als
Zeitenwende zelebriert und vorangetrieben worden. «Ansonsten wäre die
Dieseltechnologie noch viel länger die erste Technologie geblieben»,
sagte Wisbert der Deutschen Presse-Agentur. Sie könne sich noch gut
an 2015 erinnern. «Der Tag war eine Zäsur für VW. Danach hat sich
alles geändert». 

Am 18. September 2015 veröffentlichte die US-Umweltbehörde EPA die
«Notice of Violation», in der VW beschuldigt wurde, mit einer
Software Emissionsprüfungen für bestimmte Luftschadstoffe zu umgehen.
Kurz zuvor hatte VW in den USA falsche Testergebnisse eingeräumt.
«Shit, voll schiefgelaufen», soll ein VW-Entwickler in den Tagen
gesagt haben, als sich die Katastrophe in Verhandlungen mit den
US-Behörden nicht mehr abwenden ließ. 

Gefängnisstrafen in den USA und Deutschland 

Nach dem Bekanntwerden schmierten VW-Aktien ab und Vorstandschef
Martin Winterkorn flog aus dem Amt. In den USA zahlte Volkswagen mehr
als 20 Milliarden Dollar an Strafen und Entschädigungen. Auch in
Deutschland wurden Bußgelder in Milliardenhöhe verhängt. Mittlerweile

gibt es unzählige Urteile und sowohl in den USA als auch in
Deutschland wurden Gefängnisstrafen gegen frühere VW-Mitarbeiter
verhängt. 

Ob der Prozess gegen Winterkorn jemals fortgesetzt wird, ist offen.
Sein Verfahren wurde wegen gesundheitlicher Probleme unterbrochen und
später wegen Verhandlungsunfähigkeit vorläufig eingestellt. In den
wenigen Verhandlungstagen hatte «Mr. Volkswagen» jegliche
strafrechtliche Verantwortung zurückgewiesen. Es gilt die
Unschuldsvermutung. 

Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD), der dem
VW-Aufsichtsrat damals wie heute angehört, blendet die weiterhin
offenen Fragen nicht aus. Die Vorgänge selbst seien zwar weitgehend
abgeschlossen, sagte der SPD-Politiker. «Unbefriedigend bleibt, dass
wir vermutlich nie genau erfahren werden, wer zu welchem Zeitpunkt
was gewusst hat und ob dem Ganzen früher hätte Einhalt geboten werden
können», sagte Lies der dpa. 

Der Regierungschef des Landes, das als zweitgrößter Aktionär 20
Prozent der Stimmrechte hält, will aber auch einen deutlichen
Kulturwandel bei VW erkannt haben. «Dort wird heute deutlich
sensibler mit Verantwortung und Vertrauen umgegangen», sagte Lies.
Eines gelte jedoch nach wie vor: «Größe und Selbstbewusstsein bergen

weiterhin das Risiko, zu spät auf externe Warnsignale zu reagieren.» 


Experte: Kein Schummel, sondern knallharter Betrug 

«Mit welcher Hybris geglaubt wurde, man käme mit so etwas durch, war
für mich unfassbar», sagte Professorin Wisbert. Sie sei überrascht
gewesen, dass den besten Ingenieuren der Branche nichts anderes
eingefallen ist als zu manipulieren. Und auch Frank Schwope, der
Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Köln
und Hannover lehrt, reagiert mit Kopfschütteln, wenn bis heute von
«Schummeln» gesprochen wird. «Das ist kein Schummel, das ist
knallharter Betrug gewesen», sagte der Branchenexperte. 

Neben dem Imageschaden und dem Vertrauensverlust traf der Skandal den
Konzern vor allem finanziell. Die eigenen Kosten für die Aufarbeitung
der Manipulationsaffäre gibt Volkswagen mit rund 33 Milliarden Euro
an. «Das ist schon ein ziemlich teurer Weckruf für die
Elektromobilität gewesen», sagte Schwope mit Blick darauf, dass VW
nach dem Dieseldebakel voll auf den Elektro-Kurs setzte. 

Studie sieht E-Mobilität auf gutem Weg 

Dass die gesamte europäische Autoindustrie zehn Jahre nach der
Aufdeckung des Abgasskandals bei VW auf einem guten Weg zu mehr
Elektromobilität ist, bescheinigt ausgerechnet eine neue Studie der
Organisation ICCT. Der internationale Umweltforschungsverbund hatte
im Frühjahr 2014 eine Analyse zu auffälligen Messungen von
Abgaswerten in den USA veröffentlicht - von Betrug war noch keine
Rede. Zusammen mit US-Umweltbehörden trug das «International Council
on Clean Transportation» aber dazu bei, dass die VW-Dieselaffäre 2015
aufflog. 

Seitdem habe sich die europäische Autoindustrie tiefgreifend
gewandelt. Um Vertrauen zurückzugewinnen und Emissionen zu
reduzieren, versprachen die Autohersteller, verstärkt auf
Elektrifizierung zu setzen, sagte Peter Mock, Geschäftsführer des
ICCT Berlin. Der Verweis auf mehrere Hersteller macht Sinn, weil nach
VW viele andere deutsche und ausländische Produzenten mit ähnlichen
Vorgängen in den Fokus rückten. 

Es gab Vorwürfe, Durchsuchungen, Rückrufe und auch andere Autobauer
mussten Fahrzeuge nachrüsten. Ein Untersuchungsausschuss des
Bundestags befasste sich mit der Rolle der Behörden. Die
EU-Kommission forderte strengere Abgastests und mehr Aufsicht.
Umweltverbände klagen seit Jahren auf Fahrverbote in Städten. 

«Dreister Umgang» und Salamitaktik 

Dennoch hat es nach Einschätzung von Professorin Wisbert auch Gründe,
warum in erster Linie Volkswagen mit dem Dieselskandal verbunden
wird. «Der anfängliche dreiste Umgang mit den Vorwürfen der
Abgasmanipulation bei VW hat sich ins Gedächtnis eingebrannt», sagte
Wisbert. Der Konzern habe damals nicht angemessen reagiert und eine
Salamitaktik verfolgt. Nach Überzeugungen der Automobilexpertin
konnten andere Hersteller im Nachgang ihre Kommunikationsstrategie
anpassen und haben aus den Fehlern bei VW gelernt. 

Volkswagen trug demnach vor allem selbst dazu bei, dass die riesige
Skandal-Welle nur langsam abebbte und nicht zu sehr auf Mitbewerber
überschwappte.