Trotz Kritik: Merz drückt bei russischem Vermögen aufs Tempo

02.10.2025 17:53

Der Kanzler drängelt, andere in der EU bremsen. Was wird aus der
Idee, in der eingefrorenes russisches Vermögen für die Aufrüstung der

Ukraine zu nutzen?

Kopenhagen (dpa) - Bundeskanzler Friedrich Merz erwartet trotz der
Bedenken wichtiger EU-Staaten eine schnelle Entscheidung über die
Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens für die Ukraine.
«Putin sollte unsere Entschlossenheit nicht unterschätzen», sagte der

CDU-Vorsitzende nach dem Europa-Gipfel in Kopenhagen. «Wir werden das
jetzt sorgfältig prüfen und es wird in drei Wochen auf dem nächsten
Europäischen Rat, aller Voraussicht nach, dazu eine konkrete
Entscheidung geben.»

Merz hatte vergangene Woche vorgeschlagen, das Vermögen der
russischen Zentralbank für Kredite in Höhe von 140 Milliarden Euro zu
nutzen, um die Ukraine für den weiteren Abwehrkampf gegen die
russischen Angreifer aufzurüsten. Dagegen gibt es aber massive
Bedenken vor allem in Belgien, wo der größte Teil des Gelds lagert.

Merz: «Ich werde jeden Weg unterstützen»

Merz sagte, er verlasse den Gipfel trotzdem «mit dem sicheren Gefühl,
dass es eine sehr große Übereinstimmung in der Europäischen Union und

auch in der Europäischen Politischen Gemeinschaft gibt», die
russischen Vermögenswerte für die Ukraine-Hilfe zu nutzen. «Ich werde

jeden Weg unterstützen, der es ermöglicht, russische Vermögenswerte
zu nutzen, um der Ukraine weiter zu helfen und dafür zu sorgen, dass
dieser Krieg möglichst bald zu einem Ende kommt.»

Woher Merz' Optimismus auf eine schnelle Einigung rührt, blieb
unklar. So machten mehrere EU-Beamte unmittelbar nach der Abreise des
Kanzlers vom Gipfel deutlich, dass bei dem Spitzentreffen in drei
Wochen wohl höchstens vereinbart werden könne, den Vorschlag
weiterzuverfolgen. Die EU-Kommission könnte demnach im Anschluss
einen konkreten Vorschlag vorlegen, der dann wiederum von den
Regierungen der Mitgliedstaaten diskutiert werden müsste. 

De Wever bietet Merz die Stirn: «Das ist sehr, sehr riskant»

Der belgische Premierminister Bart De Wever brachte sich beim Gipfel
als direkter Gegenspieler des Kanzlers in Stellung. Er warf den
Unterstützern des Projekts vor, die Gefahren sträflich zu
vernachlässigen und keine Antworten auf offene Fragen zu haben. Man
begebe sich in unbekannte Gewässer. «Das ist sehr, sehr riskant»,
sagte er.

Neben der Gefahr einer Enteignung von Vermögenswerten europäischer
Unternehmen in Russland nannte De Wever dabei auch die Möglichkeit,
dass es Anschlagsversuche gegen den Chef des belgischen
Finanzinstituts Euroclear geben könnte.

«Ich höre bereits aus Moskau: Wenn ihr mein Geld antastet, werdet ihr
die Folgen bis in alle Ewigkeit spüren», sagte De Wever. Nach seinem
Verständnis heiße das auf Russisch auch: «Wir könnten euch in die
Ewigkeit schicken.» Der Direktor von Euroclear stehe bereits unter
engem Personenschutz.

De Wever ist bei den von Merz und EU-Kommissionschefin Ursula von der
Leyen vorangetriebenen Plänen eine Schlüsselfigur, weil das Vorhaben
ohne die Zustimmung Belgiens nicht umsetzbar ist.

Eingefrorenes russisches Staatsgeld liegt in Belgien

Euroclear verwaltet derzeit einen großen Teil der in der EU
eingefrorenen russischen Vermögenswerte, die Merz und andere
EU-Politiker für Milliarden-Darlehen für die Ukraine nutzen wollen.

Russland soll das Geld nur dann zurückbekommen, wenn es nach einem
Ende des Krieges gegen die Ukraine Reparationszahlungen leistet. Für
den Fall, dass die eingefrorenen russischen Gelder unerwartet wieder
freigegeben werden müssen, sollen die EU-Staaten Garantien leisten. 

 

Wann wird das dicke Huhn verspeist?

Bislang werden nur die Zinserträge aus dem über Euroclear
festgesetzten Geld zur Unterstützung der von Moskau angegriffenen
Ukraine genutzt. De Wever verglich das festgesetzte Staatsgeld mit
einem dicken Huhn und die abfallenden Zinsen mit goldenen Eiern. Die
Frage sei: Wann esse man das Huhn?

De Wever warnte außerdem vor Risiken für den Euro - wenn etwa die
Entscheidung dazu führen würde, dass andere Länder ihre in Europa
angelegten Staatsgelder abziehen. Wenn das russische Zentralbankgeld
genutzt werde, werde das anderen Nationen in der Welt auffallen,
sagte er. China habe beispielsweise bedeutende Summen in der
Eurozone. «Sie könnten ihre Reserven in Europa abziehen, weil sie
sich vielleicht denken: Okay, wir sind mehr oder weniger ein
Verbündeter Russlands. Vielleicht haben wir einige Pläne in Bezug auf
Taiwan», so der Belgier.

De Wever stellte auch die Argumentation von Merz infrage, nach der
mit dem Vorhaben nicht in die russischen Eigentumsverhältnisse
eingegriffen werde. Vermutungen, dass er nur wegen des möglichen
Wegfalls von Steuereinnahmen gegen das Vorhaben ist, wies er vehement
zurück.

Orban: «Wir sind keine Diebe»

An seiner Seite hat De Wever aus dem Kreis der EU-Staaten unter
anderem den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Dieser
sieht die Merz-Pläne allerdings vor allem aus anderen Gründen
kritisch. Die derzeit auf dem Tisch liegenden Vorschläge würden
zeigen, dass die EU in den Krieg ziehen wolle, wetterte er am Rande
des Gipfeltreffens. «Ungarn wird kein Geld anrühren, das jemand
anderem gehört», sagte er. «Wir sind keine Diebe.»

Auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni äußerte in
einem Gespräch mit Merz Bedenken. Sie habe die geplanten finanziellen
Garantien der EU-Mitgliedstaaten als zu «debattierendes Thema»
hervorgehoben, hieß es in deutschen Regierungskreisen. 

Macron zeigt Verständnis für beide Seiten

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vermied es, sich klar zu
positionieren. Der belgische Premierminister habe «völlig recht»
stets auf die Regeln hinzuweisen, sagte er einerseits. «Andererseits
werden diese eingefrorenen Vermögenswerte am Ende dieses Krieges Teil
der Lösung sein, denn Russland hat großen Schaden angerichtet und
vielen Menschen harte Einschnitte beschert.» Der aktuelle Vorschlag
sei eine Innovation.