EU-Kommission will Zölle auf Stahl auf 50 Prozent verdoppeln Von Marek Majewsky, dpa
07.10.2025 18:25
Die EU-Kommission plant, Zölle auf Stahlimporte auf 50 Prozent zu
erhöhen und Importquoten deutlich zu senken. Für Deutschland hat
diese Entscheidung eine besondere Bedeutung.
Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission will die heimische Stahlindustrie
mit deutlich höheren Zöllen vor billiger Konkurrenz aus Ländern wie
China schützen. Zudem soll die Menge für zollfreie Importe nahezu
halbiert werden, teilte der zuständige EU-Kommissar Stéphane Séjourn
é
mit. Konkret solle der Zollsatz für Importe, die darüber hinausgehen,
auf 50 Prozent verdoppelt werden.
Bevor die neuen Regeln in Kraft treten können, müssen auch das
Europaparlament und die EU-Staaten zustimmen. Es gehe darum, die
europäischen Stahlproduzenten und Arbeitsplätze zu retten. «Das ist
die Reindustrialisierung Europas», so Séjourné.
Künftig sollen nach dem Vorschlag der Kommission noch rund 18
Millionen Tonnen Stahlprodukte zollfrei in die EU gelangen. Das wären
laut Wirtschaftsvereinigung Stahl etwa die Hälfte der bisherigen
Importmenge. Nach Angaben des Branchenverbands Eurofer lag der
Stahlverbrauch in der EU 2024 insgesamt bei rund 130 Millionen
Tonnen.
Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel begrüßt die
Pläne. Die Kommission habe klar erkannt, dass die europäische
Stahlindustrie und mit ihr verbundene Wertschöpfungsketten ohne einen
wirksamen Handelsschutz in ernster Gefahr sind, erklärte Stahlchef
Dennis Grimm in einer Mitteilung. «Entscheidend ist nun, dass die
vorgeschlagenen Maßnahmen zügig und konsequent umgesetzt werden.» Die
Gewerkschaft IG Metall sieht in dem Vorhaben einen großen Schritt in
die richtige Richtung, um Arbeitsplätze zu sichern.
Überkapazitäten im Fokus
In der Kommission wird von deutlich mehr als 600 Millionen Tonnen
weltweiter Überkapazitäten gesprochen. Damit sind in der Regel Waren
gemeint, für die es keine Abnehmer gibt. Weltweite Überkapazitäten
sind jüngst relevanter geworden, nachdem die USA ihre Einfuhrzölle
massiv erhöht haben.
In der EU steht die Befürchtung im Raum, dass Exporte, die bislang
nach Nordamerika verkauft wurden, nun nach Europa umgeleitet werden.
Dadurch könnten europäische Hersteller zusätzlich unter Druck
geraten.
Die meisten Stahlimporte in die EU kamen nach EU-Angaben bislang aus
der Türkei, Südkorea, Indien, Vietnam, China, Japan, dem Vereinigten
Königreich und der Ukraine. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen teilte mit: «Die weltweite Überkapazität schadet unserer
Branche. Wir müssen jetzt handeln.»
Deutschland besonders betroffen
Innerhalb der EU hat Deutschland die mit Abstand größte
Stahlindustrie - weltweit liegt Deutschland nach Branchenangaben auf
Platz sieben. Doch die Stahlindustrie hierzulande leidet unter der
Krise in Abnehmerbranchen, vor allem der Autoindustrie. Hinzu kommen
gestiegene Energiepreise, Billigimporte vor allem aus China und die
Kosten für den Umbau hin zu einer klimafreundlicheren
Stahlproduktion. Auch die hohen Zölle auf Stahlexporte in die USA
machen der Branche zu schaffen.
Die deutsche Stahlindustrie drängt daher schon länger auf neue
Maßnahmen. Es sei «wichtiger denn je, dass sich die EU-Kommission nun
voll auf die Schaffung eines neuen, tatsächlich schützenden
Handelsinstruments konzentriert», teilte etwa die
Wirtschaftsvereinigung Stahl im August mit. Es brauche Schutz «vor
unkontrollierten, oft gedumpten Importen». Die Vereinigung sieht in
dem Vorschlag der Kommission einen «wichtigen Schritt zur Sicherung
fairer Wettbewerbsbedingungen».
Nach Angaben des Lobbyverbands arbeiten in Deutschland etwa vier
Millionen Menschen in stahlintensiven Branchen, davon rund 80.000 für
die Stahlindustrie direkt. 2024 verzeichnete die Industrie zum
zweiten Mal in Folge einen Umsatzrückgang - minus 5,3 Milliarden Euro
im Vergleich zum Vorjahr auf 45,3 Milliarden Euro. Bundeskanzler
Friedrich Merz (CDU) will im Herbst einen «Stahlgipfel» abhalten, um
die Probleme der Branche anzugehen.
Chinas Stahlindustrie unangefochtene Weltspitze
Der mit weitem Abstand meiste Stahl weltweit wird in China
produziert. Mit den neuen Zöllen würde sich die EU - die eigentlich
immer wieder lautstark auf einen möglichst barrierefreien Welthandel
pocht - auch stärker gegen Importe aus Fernost abschotten. Damit kann
sich der Staatenverbund als Verbündeter von US-Präsident Donald Trump
im Kampf gegen Chinas Exportüberschuss präsentieren.
Wörtlich heißt es vonseiten der Kommission mit Blick auf die USA:
«Beide Seiten sind sich bewusst, wie wichtig es ist, die negativen
handelsbezogenen Auswirkungen der globalen Überkapazitäten
anzugehen.» Die EU sei bereit, mit gleichgesinnten Ländern
zusammenzuarbeiten, um ihre Volkswirtschaften vor globalen
Überkapazitäten zu schützen und den Marktzugang untereinander zu
verbessern.
Neue EU-Vorgaben sollen alte Regeln ablösen
Ein derzeit gültiger Schutzmechanismus für die europäische
Stahlindustrie läuft im Juni kommenden Jahres aus. Die neuen
Maßnahmen sollen ihn durch eine dauerhafte Regelung ersetzen.
Ob durch die neuen Regeln etwa die Autoindustrie künftig mit deutlich
höheren Einkaufspreisen rechnen muss, machte die Kommission zunächst
keine Angaben. Ein Beamter der Behörde sagte jedoch: «Selbst die
nachgelagerte Industrie sagt uns jetzt, dass wir eine florierende
Stahlindustrie in der EU haben wollen, von der wir kaufen können.»
Zustimmung kommt bereits aus dem EU-Parlament. Der CDU-Abgeordnete
Dennis Radtke spricht von einem wirksamen Schutz für Europas
Industrie. Anna Cavazzini von den Grünen teilte mit: «Der
vorgeschlagene Stahlmechanismus ist nötig und längst überfällig.»
Auch der SPD-Handelsexperte Bernd Lange ist überzeugt und sieht in
dem Vorschlag der Kommission einen wichtigen Etappensieg.