Wenn's um die Wurst geht - EU-Streit ums vegane «Fleisch» Von Martin Oversohl,dpa
15.10.2025 13:19
Schmeckt wie Fleisch, ist aber keins. Vegane Metzgereien bieten
bundesweit pflanzliche Produkte an, die an Schnitzel oder Wurst
erinnern - aber aus Weizen oder Erbsen sind. Ist das Kundentäuschung?
Stuttgart (dpa/lsw) - Wann ist eine Wurst eigentlich eine Wurst?
Also, eine aus Fleisch. Oder muss sie gar nicht aus Fleisch sein,
solange sie nur die Form einer Wurst hat? Der europaweite Streit um
Begriffe wie Bratwurst und Schnitzel, Sauerbraten und Salami macht
auch vor der neuen Filiale der «Veganen Fleischerei» in Stuttgart
nicht Halt.
Bevor am nächsten Samstag Wurst und Leberkäse über die erste
baden-württembergische Theke des Dresdner Unternehmens gereicht wird,
muss sich Filialleiter Andreas Holz mit den Feinheiten der
europäischen Rechtslage auseinandersetzen. Denn in einer stark
kritisierten Entscheidung hat sich das Europaparlament in der
vergangenen Woche für ein Verbot von Bezeichnungen wie «Tofu-Wurst»
oder «Veggie-Burger» ausgesprochen. Nur Tierisches soll Burger oder
Wurst heißen dürfen. Der Grund: Es bestehe «ein echtes
Verwechslungsrisiko».
Noch nichts entschieden
Darf man einen Sauerbraten auf Seitanbasis nun überhaupt so nennen?
Müsste ein veganes Schnitzel als «Weizenplatte» angeboten werden? Und
wie könnte der Gulasch aus Sojaschnetzel und Gemüse in der Auslage
heißen? Was ist eigentlich mit einem Firmennamen wie «Fleischerei»?
Unklar ist auch, ob es nach künftiger Vorgabe ausreicht, Produkten
Namen zu geben wie «Keine Leberwurst» oder «Keine Salami», so wie e
s
«Die Vegane Fleischerei» tut.
Die endgültige Regelung steht aus. Die EU-Staaten müssten sich noch
einigen, betont Nils Steiger, der die Franchisekette gemeinsam mit
Freunden gegründet hat und bislang sechs Filialen in Dresden und
München, Berlin, Augsburg, Hamburg und Köln unterhält. Und um
Markennamen sei es bei der Debatte in Straßburg eh nicht gegangen.
Bis zu einer Umsetzung bleibt das Namens-Chaos laut Steiger vor allem
kostenlose Werbung für die neue Filiale in Stuttgart.
Wie früher bei Oma
Dort sieht es wenige Tage vor der Eröffnung trotz der Kartons und
Handwerker schon aus wie in einer klassischen Fleischerei. Kacheln,
Kühltheke, Regale, nur schicker, cleaner und selbstverständlich ohne
Fleischgeruch soll es werden. Nostalgie pur - und sehr gewollt. «Wir
wollen die Geschmackserlebnisse von früher wieder aufleben lassen -
nur eben ohne Rinder, Schweine und Hühner», sagt Steiger.
Es gehe vor allem darum, Emotionen zu wecken. «Wenn ich an
Sauerbraten denke, kommen Erinnerungen an meine Oma hoch, wie sie ihn
zu Weihnachten serviert hat», sagt Steiger. Deshalb erinnerten
Produkte der «Veganen Fleischerei» auch bewusst an traditionelle
Fleischwaren. Stimme dann auch der Geschmack, kämen die Kunden
wieder. Sein Ziel sei es vor allem, «dass weniger Menschen Fleisch
essen und stattdessen vegane Produkte konsumieren».
Schnitzel oder Weizenplatte?
«Menschen sind Gewohnheitstiere», sagt Stuttgarts Filialleiter Holz.
«Wir bieten Produkte an, die den Sprung für frühere Fleischesser zu
pflanzlichen Produkten ermöglichen, ohne dass sie auf ihre
Gewohnheiten verzichten müssen.» Die Namen der Titel der veganen
Produkte seien so gewählt, damit Kunden einen Eindruck vom Geschmack
hätten. «Wenn das vegane Schnitzel plötzlich Weizenplatte heißen
würde, hätte man keine Idee, wie es schmecken soll.»
In seiner Stuttgarter Filiale sollen rund 140 alternative
Fleischprodukte zur Auswahl stehen, hergestellt größtenteils in
Dresden, manche sogar mit Fleischwolf und Rührmaschine - die
Produktion folgt der klassischen Wursttechnologie. Käse und Fisch
werden zugekauft.
Bis der Konsum von Fleischersatz im Mainstream angekommen ist, ist es
aber noch ein weiter Weg. Laut Statistischem Bundesamt liegt der
jährliche Pro-Kopf-Konsum von Produkten wie Veggie-Burgern oder
Tofu-Würsten bei gerade einmal 1,5 Kilogramm. In Deutschland ernähren
sich etwa 1,5 bis 1,6 Millionen Menschen vegan, das sind 1,5 bis 2
Prozent der Bevölkerung. Der Konsum von «echtem» Fleisch dagegen ist
35-mal so hoch: durchschnittlich 53,2 Kilo pro Kopf. Neuerdings
steigt er sogar wieder leicht an. Und auch in der Gastronomie sind
vegane Gerichte kein Selbstläufer.
Metzger sprechen von Kundentäuschung
Dennoch betrachten die klassischen Metzger die Dresdner mit Argwohn.
Natürlich schließt auch der Landesinnungsverband Fleischerhandwerk in
Baden-Württemberg aus, dass Menschen ein veganes Schnitzel kaufen und
ein Stück Fleisch erwarten. Dennoch sind die Produkte der «Veganen
Fleischerei» aus Sicht von Landesinnungsmeister Joachim Lederer
«absolute Kundentäuschung».
Die Anbieter veganer Produkte mit traditionellen Namen von
Fleischprodukten seien wie Trittbrettfahrer, die den guten Ruf der
Wurst übernähmen, der oft über Generationen aufgebaut worden sei.
«Fleisch ist für mich ein tierisches Produkt», sagt der Metzger aus
Weil am Rhein. Das sieht Filialleiter Holz in Stuttgart naturgemäß
anders: «Die Form bestimmt die Bezeichnung. Deshalb ist eine Wurst
für mich eine Wurst, wenn sie aussieht wie eine Wurst.»