Russen-Geld für die Ukraine? EU will Beschluss im Dezember

24.10.2025 05:29

Bundeskanzler Merz und viele Kollegen wollen das in der EU
eingefrorene Vermögen Russlands für die Ukraine nutzen. Beim
EU-Gipfel wird lange gerungen - am Ende gibt es nur einen kleinen
Etappenerfolg.

Brüssel (dpa) - Die EU ist mit den Plänen für die Nutzung von
eingefrorenem russischen Staatsvermögen für die Ukraine einen Schritt
vorangekommen. Angesichts erheblicher Bedenken des zentralen Akteurs
Belgien bleibt allerdings vorerst unklar, ob sie am Ende wirklich
umgesetzt werden können. Eine Entscheidung soll kurz vor Weihnachten
fallen, wie EU-Ratspräsident António Costa nach einem EU-Gipfel in
Brüssel mitteilte, bei dem auch der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj dabei war. Heute Nachmittag will sich zudem die sogenannte
Koalition der Willigen in London treffen, um über die weitere
Unterstützung für Kiew vor dem Winter zu beraten.

Bei dem Treffen in Brüssel beauftragten die Staats- und
Regierungschefs die EU-Kommission damit, so bald wie möglich einen
Vorschlag zur Verwendung russischer Vermögenswerte vorzulegen. Auf
Drängen Belgiens hin soll die Kommission allerdings auch andere
Optionen zur Deckung des Finanzbedarfs der Ukraine für die Jahre 2026
bis 2027 erarbeiten, wie aus einer am Abend veröffentlichten
Erklärung hervorgeht.

Von einer Einigung auf eine Nutzung des eingefrorenen Vermögens
bleibt die EU damit ein ganzes Stück entfernt. Bundeskanzler Merz
(CDU) äußerte vor drei Wochen noch die Erwartung, es werde beim
Gipfel «aller Voraussicht nach dazu eine konkrete Entscheidung
geben». Die jetzige Erklärung ist aber nur ein erster Schritt in
diese Richtung und nicht das erwartete starke Signal an Russland.
Dazu trug auch bei, dass Ungarns Regierung - die einen
vergleichsweise guten Draht nach Moskau hat - sich weigerte, den Text
mitzutragen.

Merz sagte mit Blick auf Haftungsfragen und andere Bedenken von
belgischer Seite, es gebe wirklich ernsthafte Themen, die man lösen
müsse. Man habe aber verabredet, gemeinsam vorzugehen und einen Weg
zu suchen, das russische Geld zu nutzen.

Showdown beim Dezember-Gipfel?

EU-Ratspräsident António Costa zeigte sich nach dem Gipfel dennoch
optimistisch. Niemand habe ein Veto eingelegt, sagte er. Man habe die
EU-Kommission gebeten, die Arbeit fortzusetzen und technische Fragen
zu klären. Beim EU-Gipfel am 18. Dezember solle dann eine finale
Entscheidung getroffen werden. Ähnlich äußerte sich Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron, nach dessen Empfinden der Wille zu dem
Projekt «sehr deutlich» bekräftigt wurde.

Beim Thema Entscheidungsdruck widersprach auch der belgische
Premierminister Bart De Wever nicht. Er sagte: «Ich denke, wir
brauchen vor Ende des Jahres eine Lösung, um die Ukraine im Krieg zu
halten und ihre finanziellen Probleme zu lösen.» Als mögliche
Alternative zur Nutzung des russischen Staatsvermögens nannte er neue
EU-Schulden.

Belgien steht den Plänen bislang sehr kritisch gegenüber, weil es
erhebliche Rechtsrisiken sieht und negative Konsequenzen für noch in
Russland tätige europäische Unternehmen befürchtet. Das Land ist ein

zentraler Akteur, da das russische Geld dort derzeit vom
Finanzinstitut Euroclear verwaltet wird. Und mit seinen Bedenken
steht Belgien nicht allein. 

Merz und von der Leyen treiben Pläne voran

Die vor allem von Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen vorangetriebenen Pläne sehen vor, in der EU festgesetztes Geld
der russischen Zentralbank zu verwenden, um der Ukraine Darlehen in
Höhe von bis zu 140 Milliarden Euro zu geben. Russland soll das Geld
nur dann zurückbekommen, wenn es nach einem Ende des Angriffskriegs
gegen die Ukraine Reparationszahlungen leistet. Für den Fall, dass
das eingefrorene russische Geld unerwartet wieder freigegeben werden
müsste, sollen die EU-Staaten Garantien leisten.

Deutsche Unternehmen befürchten Milliardenverluste

Der belgische Premierminister De Wever will nur dann eine Umsetzung
der Pläne ermöglichen, wenn es eine vollständige Vergemeinschaftung
des Risikos gibt. Ferner verlange sein Land Garantien, dass «alle
Mitgliedstaaten sich beteiligen», falls das Geld zurückgezahlt werden
muss, sagte der Belgier. Außerdem fordert er Transparenz und
gemeinsames Handeln von allen anderen Ländern, die Vermögenswerte
blockieren. Er warnte zudem, dass Vermögenswerte europäischer
Unternehmen in Russland beschlagnahmt werden könnten.

Auch in deutschen Unternehmerkreisen gibt es deswegen starke
Vorbehalte gegen das Projekt. «Deutschland hat wie kein anderes Land
in Russland investiert. Es hat deshalb bei der geplanten
Nutzbarmachung russischer Zentralbankgelder für Waffenkäufe zugunsten
der Ukraine am meisten zu verlieren», sagte der Vorstandsvorsitzende
der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, Matthias Schepp, der
Deutschen Presse-Agentur. Zusammengerechnet sei Vermögen von über 100
Milliarden Euro in Gefahr.

Ukraine braucht viel Geld

Hintergrund der Pläne zur Nutzung des russischen Vermögens ist vor
allem der riesige Finanzbedarf der Ukraine. Für die militärische und
finanzielle Unterstützung Kiews wird in den kommenden zwei Jahren
voraussichtlich ein dreistelliger Milliardenbetrag benötigt.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt den Bedarf an
Haushaltshilfen für das Funktionieren des Staates 2026 und 2027 auf
60 Milliarden US-Dollar (52 Mrd. Euro). Hinzu kämen vermutlich
mindestens 80 Milliarden Euro für Waffen und Munition für den
Abwehrkampf gegen Russland - und dabei ist schon einkalkuliert, dass
der Krieg möglicherweise nicht mehr volle zwei Jahre in der
derzeitigen Form weitergeht.

Wenn nicht das russische Vermögen genutzt werden kann, müssten die
EU-Staaten das Geld für die Unterstützung der Ukraine anderweitig
aufbringen - was angesichts der hohen Verschuldung von Ländern wie
Frankreich und Italien als schwierig gilt.

Der ukrainische Präsident Selenskyj sagte beim Gipfel in Brüssel,
sein Land benötige das Geld bereits im kommenden Jahr. «Wir brauchen
es im Jahr 2026 und es wäre besser, es gleich zu Beginn des Jahres zu
haben», sagte er. Er wisse jedoch nicht, ob dies möglich sei, fügte
er hinzu. «Nicht alles hängt von uns ab.»

Treffen der Ukraine-Unterstützer in London

Der britische Premierminister Keir Starmer will die Verbündeten der
Ukraine heute aufrufen, ihre militärische Unterstützung für Kiew
auszubauen. Das Land müsse vor dem Winter in eine möglichst starke
Position gebracht werden, hieß es in einer Mitteilung der britischen
Regierung vor dem Treffen der «Koalition der Willigen» in London.
Dazu gehöre neben der Nutzung russischer Vermögenswerte auch,
russisches Öl und Gas von den globalen Märkten zu verbannen und mehr
Waffen mit großer Reichweite bereitzustellen.

Zu dem Treffen am Nachmittag im britischen Außenministerium werden
neben Starmer auch Selenskyj, Nato-Generalsekretär Mark Rutte sowie
die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und der
niederländische Regierungschef Dick Schoof erwartet. Etwa 20 weitere
Staats- und Regierungschefs wollen sich aus der Ferne zuschalten
lassen. Bundeskanzler Merz lässt sich von Außenminister Johann
Wadephul vertreten.