Konjunkturkrise hält an - Hoffnung für 2026 Von Jörn Bender und Alexander Sturm, dpa
30.10.2025 14:44
Europas größte Volkswirtschaft steckt seit Jahren im Tief. Auch im
Sommer gab es nicht die erhoffte Erholung. Ökonomen mahnen: Für einen
nachhaltigen Aufschwung braucht es mehr als Milliarden.
Wiesbaden/Berlin (dpa) - Sommerflaute statt Erholung: Die deutsche
Wirtschaft findet keinen Weg aus ihrer Dauerkrise. Nach einem Minus
im Frühjahr stagnierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten
Quartal. Das Statistische Bundesamt errechnete anhand vorläufiger
Daten ein Wachstum von null Prozent gemessen am Vorquartal.
Immerhin: Für das Jahresende sind die Aussichten besser, und der
Arbeitsmarkt hält sich relativ robust. Im Oktober sank die Zahl der
Arbeitslosen im Vergleich zum September um 44.000 auf 2,911 Millionen
Menschen, wenngleich die übliche Herbstbelebung schwach ausfiel.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche mahnt Reformen an:
«Jetzt müssen wir die Sozialsysteme reformieren, Bürokratie spürbar
zurückbauen, Lieferketten widerstandsfähiger machen, das
Arbeitsangebot ausweiten und für tragfähige öffentliche Haushalte
sorgen», fordert die CDU-Politikerin.
US-Zölle werden zur Bürde für den Export
Die deutsche Wirtschaft steckt in der längsten Krise seit Jahrzehnten
und fällt auch im europäischen Vergleich zurück, während einstige
Krisenländer wie Spanien und Portugal im dritten Quartal deutlich
wuchsen. Laut Eurostat legte die Wirtschaft im Euroraum im Sommer zum
Vorquartal um 0,2 Prozent zu.
Das Zinsniveau bleibt investitionsfreundlich: Die Europäische
Zentralbank (EZB) belässt den für Sparer und Banken relevanten
Einlagenzins bei 2,0 Prozent. Niedrigere Zinsen stützen die
Wirtschaft, da Kredite für Unternehmen und Verbraucher damit
tendenziell günstiger werden.
In Deutschland macht eine schwache Nachfrage in wichtigen Branchen
wie Autobau und Chemie der Industrie zu schaffen, zudem bremsen
US-Zölle den Export. Im Inland halten sich Verbraucher beim Konsum
zurück - auch weil die Menschen etwa für Lebensmittel mehr zahlen
müssen als vor der Corona-Pandemie. Bei der Teuerungsrate gab es im
Oktober ersten Zahlen zufolge etwas Entspannung: Die
Verbraucherpreise lagen um 2,3 Prozent über dem Niveau des
Vorjahresmonats - nach 2,4 Prozent Inflation im September.
Exporte «Made in Germany» leiden unter Zöllen
In den drei Monaten Juli bis einschließlich September nahmen nach
Angaben der Wiesbadener Statistiker zwar die Investitionen von
Unternehmen in Ausrüstungen wie Maschinen und Fahrzeuge zu. Doch die
Ausfuhren von Waren aus deutscher Produktion gingen zum Vorquartal
zurück.
Die Zollpolitik der Regierung von US-Präsident Donald Trump ist eine
Bürde für den Export. «Trotz des Zolldeals mit den USA kommt der
Außenhandel nicht richtig in Gang und ist von den Zahlen aus dem
Vorjahr weit entfernt», konstatiert DZ-Bank-Analyst Claus Niegsch.
Reformstau bremst deutsche Wirtschaft
Zwar sehen Ökonomen nach dem deutlichen Schrumpfen der Wirtschaft
2023 und 2024 Chancen für eine Stabilisierung. Doch auch wegen
Schwächen des Standortes Deutschland gehe es mit der heimischen
Wirtschaft nicht wirklich bergauf, meint Commerzbank-Chefvolkswirt
Jörg Krämer: «Erst im kommenden Jahr sollte das Fiskalpaket der
Bundesregierung die Konjunktur anschieben, wobei das wegen der
ausbleibenden Reformen nicht nachhaltig ist.»
Strukturelle Schwächen wie hohe Energiepreisen und viel Bürokratie
belasten die Unternehmen. Deutschland müsse «endlich wach werden» und
«Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in den Mittelpunkt der politischen
Agenda» stellen, mahnte jüngst Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing.
Bundesregierung verspricht hohes Tempo bei Reformen
Mit einem «Wachstumsbooster» für verbesserte
Abschreibungsmöglichkeiten und einem «Bauturbo» für schnellere
Genehmigungen will die Bundesregierung die Konjunktur ankurbeln.
Kanzler Friedrich Merz (CDU) stellte Anfang Oktober ein hohes
Reformtempo in Aussicht. Im ZDF-«heute journal» sagte er: «Der Herbst
der Reformen hat längst angefangen.»
Doch in der Wirtschaft ist anfänglicher Optimismus der Ernüchterung
gewichen - auch wegen Streitereien in der schwarz-roten Koalition.
Die Zeit drängt: 84 Prozent der Unternehmen sehen die marode
Infrastruktur als Belastung, wie eine Umfrage des arbeitgebernahen
Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter 1.100 Firmen ergab.
«Die Verkehrsinfrastruktur ist ein Bremsklotz für die deutsche
Wirtschaft geworden», fasst IW-Experte Thomas Puls zusammen.
Höchstens Mini-Wachstum 2025 erwartet
Dennoch: 2025 könnte die deutsche Wirtschaft knapp am dritten Jahr
ohne Wachstum vorbeischrammen. Führende Ökonomen und die
Bundesregierung rechnen mit einem Mini-Plus um die 0,2 Prozent.
«Die Aussichten für das vierte Quartal sind besser: Die staatlichen
Ausgaben dürften nun von Monat zu Monat kontinuierlich steigen, und
die Unsicherheit in der globalen Handelspolitik dürfte allmählich
abklingen», sagt der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank,
Robin Winkler. «Die Unternehmensbefragungen im Oktober stimmen uns
zuversichtlich, dass eine Konjunkturerholung nun endlich kurz
bevorsteht.»
Trendwende im nächsten Jahr?
2026 dürfte die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung von Ökonomen
etwas kräftiger zulegen, nicht zuletzt wegen der geplanten
Milliardenausgaben für Infrastruktur wie Straßen und Schienen sowie
für Verteidigung. So rechnet die Bundesregierung mit einem Plus von
1,3 Prozent, der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet
allerdings nur ein Wachstum von 0,9 Prozent.
Deutschlands führende Wirtschaftsforschungsinstitute warnten schon im
September anlässlich der Vorlage ihrer Gemeinschaftsdiagnose: Die
deutsche Wirtschaft stehe nach wie vor auf «wackeligen Beinen».
