Abgrenzen oder einbinden? Wie Europa mit den Rechten umgeht Von Christoph Driessen, dpa

01.11.2025 08:56

Bekämpfen, tolerieren, zähmen? In Europa sind schon viele Strategien
im Umgang mit rechten Parteien erprobt worden. Daraus ergeben sich
auch Lehren für die deutsche Brandmauer-Debatte.

Berlin (dpa) - Wie soll man umgehen mit rechtspopulistischen oder
rechtsextremen Parteien? Diese Frage stellt sich in vielen
europäischen Ländern. Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten:
einbinden oder bekämpfen.

Niederlande - Brandmauer ist wichtig, aber nicht alles 

Warum er eine solche Schlappe erlitten habe, wurde Geert Wilders kurz
nach der ersten Prognose zum Ausgang der niederländischen
Parlamentswahl gefragt. Der Rechtspopulist analysierte die Lage
erstaunlich offen: «Ich glaube, dass viele Leute gedacht haben:
«Naja, wenn alle Parteien sagen, dass sie nicht mit ihm regieren
wollen, dann geben wir unsere Stimme vielleicht doch besser einer
Partei, die eine Chance hat zu regieren.»»

Mit anderen Worten: Dieses Mal stand die Brandmauer - alle großen
Parteien hatten eine Zusammenarbeit mit Wilders ausgeschlossen. Vor
zwei Jahren war das anders, und damals hatte Wilders einen
spektakulären Wahlerfolg errungen. Allerdings hat sich auch gezeigt:
Obwohl er in dem knappen Jahr, in dem seine Partei die Regierung
anführte, nach einhelligem Urteil nichts zustande gebracht hat, hat
ihm das kaum geschadet - er hat zwar Sitze eingebüßt, bleibt aber
eine der stärksten politischen Kräfte.

«Die Annahme, Rechte würden langfristig verlieren, weil man sieht,
dass sie in der Regierung scheitern, ist ein fundamentaler Irrtum»,
sagt der deutsch-britische Historiker Prof. Frank Trentmann aus
London, Autor des gerade erschienenen Buchs «Die blockierte
Republik». «Hinter dem Rechtspopulismus steht ein Wählerkern, der gar

keine anderen Parteien in Erwägung zieht.»

Österreich - Entzauberung durch Einbindung hat nicht funktioniert

Die FPÖ galt in den 80er Jahren unter Führung von Jörg Haider als die

erste rechtspopulistische Partei Europas. Die traditionelle
konservative Partei ÖVP verfolgte zunächst einen Kurs der Abgrenzung,
ging dann aber im Jahr 2000 erstmals eine Koalition mit der FPÖ ein.
Die Hoffnung war damals, dass die Wählerinnen und Wähler sehen
würden: Die FPÖ kann auch keine Wunder bewirken - im Gegenteil. Aber
hat das funktioniert? 

Zwar brach die FPÖ zwischenzeitlich durchaus mal ein, etwa nach dem
«Ibiza»-Korruptionsskandal, aber dies war nie von Dauer. «Ich halte
das für den Knackpunkt, wenn es darum geht: Funktioniert Einbindung
zur Schwächung und Mäßigung der Rechtspopulisten?», sagt Sebastian

Enskat, Autor einer kürzlich erschienenen Studie der
Konrad-Adenauer-Stiftung zum Umgang mit rechtspopulistischen Parteien
in Europa.

«Man muss feststellen: Es gibt diesen Effekt der Entzauberung - aber
er hält ernüchternd kurz an. Wenn man sich ansieht, wie groß der
Ibiza-Skandal war, dann ist es frappierend, wie schnell sich die FPÖ
davon erholt hat und dass sie jetzt in den Umfragen bei über 35
Prozent steht.» 

Großbritannien - Übernahme rechter Positionen geht nach hinten los

In Großbritannien führt derzeit die Partei des Rechtspopulisten Nigel
Farage alle Umfragen an. Labour-Premierminister Keir Starmer reagiert
darauf, indem er teilweise die Rhetorik der Rechten übernimmt. So
kündigte er an, er werde das «Experiment der offenen Grenzen beenden»

und das «unwürdige Kapitel» der illegalen Zuwanderung schließen. 


Bisher hat dies Labour in den Umfragen allerdings nicht nach vorn
gebracht, und Trentmann glaubt auch nicht, dass sich daran in Zukunft
etwas ändern wird. «Wir haben dazu eine wirklich eindeutige
statistische Datenlage, und diese zeigt, dass seit den späten 1980er
Jahren konservative Parteien und Parteien der Mitte in europäischen
Ländern Stimmen an die Rechten verloren haben, wenn sie sich in ihrer
Position den Rechten annäherten. Der Versuch, den Rechten in der
Migrationsfrage durch eine strengere Politik das Wasser abzugraben,
ist nach hinten losgegangen.»

Griechenland und Spanien - Rechte einfach links liegen lassen

Die erfolgreichsten Beispiele für den Umgang mit Rechten, die Enskat
in seiner Studie gefunden hat, sind Griechenland und Spanien. «Aus
meiner Sicht ist die permanente Beschäftigung mit den
Rechtspopulisten kontraproduktiv, und das ist in diesen Ländern
anders. Dort beschäftigen sich die Mitte-Rechts-Parteien eher mit
sich selbst - mit guter Regierungsarbeit, wenn sie daran beteiligt
sind, aber auch mit ihrer Programmatik, mit politischer Innovation.»

Die Parteien machten dort tendenziell ihr Ding und ließen die Rechten
sozusagen links liegen. Die derzeitige deutsche «Stadtbild»-Debatte
dagegen mache die AfD seit Wochen permanent zum Thema.

Und Deutschland? 

Hier hält CDU-Chef Friedrich Merz die Brandmauer aufrecht und lehnt
jede Zusammenarbeit mit der AfD ab. Gleichzeitig bemüht er sich
darum, Themen der AfD-Wähler zu adressieren - bisher hat dies
allerdings nicht dazu geführt, dass die AfD in den Umfragen
zurückgefallen ist - im Gegenteil.

Eine Erklärung dafür dürfte sein, dass ein großer Teil der AfD-Wä
hler
für Parteien der Mitte gar nicht mehr zurückzugewinnen ist. Eine
weitere Studie der Adenauer-Stiftung hat das Ergebnis zutage
gefördert, dass das Stammwählerpotenzial der AfD mittlerweile das
deutlich größte von allen Parteien ist - 70 Prozent der AfD-Wähler
sagen demnach, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen können, eine
andere Partei als die AfD zu wählen.

«Diese Werte sind bei allen anderen Parteien deutlich niedriger»,
sagt Enskat. «Der Faktor «Protestwähler» hat mit der Zeit immer
weiter abgenommen.» Der Studie zufolge liegt das Potenzial für die
Union bei AfD-Wählern nur im Bereich von etwa zehn Prozent. 

Experten raten: Die Probleme offen und selbstbewusst angehen 

Nach Auffassung von Historiker Trentmann ist die eigentlich
entscheidende Frage, wie die Parteien der Mitte wieder die
Deutungshoheit über die wichtigsten gesellschaftlichen Probleme
erlangen können. «Nehmen wir das Beispiel Wohnungsnot. Hier sagen die
Rechtsparteien: «Das liegt an den vielen Migranten.»» Vielfach werde

diese Aussage von anderen Parteien übernommen.

Trentmanns Analyse: «Das ist grundfalsch. Stattdessen müssten die
alten Volksparteien sagen: «Nein, es ist anders. Wir haben da in der
Vergangenheit große Fehler gemacht, und deswegen sind zu wenig
Wohnungen gebaut worden. Und obendrauf kommt, dass es immer mehr
Einzelhaushalte gibt. Diese Probleme verschwinden nicht, wenn wir
mehr Abschiebungen ausführen.» 

Eine solche offensive und ehrliche Kommunikation wäre nach Trentmanns
Überzeugung der vielversprechendste Weg, eigene Wähler zu halten und
Neuwähler, Nichtwähler und Zweifler für sich zu gewinnen, bevor sie
ins rechte Lager abrutschen.