Neue EU-Analyse sieht Reformtempo der Ukraine kritisch Von Ansgar Haase, dpa
04.11.2025 10:47
Einmal im Jahr werden in der EU die Reformanstrengungen von
Beitrittskandidaten bewertet. Nun ist es wieder so weit. Die Ukraine
muss sich Kritik gefallen lassen, andere schneiden deutlich besser
ab.
Brüssel (dpa) - Die Ukraine muss ihr Reformtempo erhöhen, wenn sie
die selbstgesteckten Ziele auf dem Weg zu einer Aufnahme in die
Europäische Union erreichen will. Zu diesem Ergebnis kommt nach
Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Analyse, die die
EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und Erweiterungskommissarin Marta Kos
am Nachmittag in Brüssel vorstellen wollen.
In dem Text heißt es, die Ukraine habe im vergangenen Jahr trotz
ihrer äußerst schwierigen Lage wegen des russischen Angriffskriegs
ein bemerkenswertes Engagement im EU-Beitrittsprozess gezeigt.
Jüngste negative Entwicklungen müssten allerdings entschieden
rückgängig gemacht werden - so etwa der zunehmende Druck auf
Antikorruptionsbehörden und die Zivilgesellschaft.
Zudem mahnen die Autoren des Berichts an, die Angleichung an
EU-Standards beim Schutz der Grundrechte sowie Verwaltungs- und
Dezentralisierungsreformen voranzutreiben. Fortschritte seien
weiterhin notwendig, um Unabhängigkeit, Integrität, Professionalität
und Effizienz in Justiz, Staatsanwaltschaft und Strafverfolgung zu
stärken sowie organisierte Kriminalität intensiver zu bekämpfen.
Ehrgeizige Ziele
Die ukrainische Regierung hat sich selbst das Ziel gesetzt, die
EU-Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 abzuschließen. In der Analyse
der notwendigen Reformfortschritte wird nun aber deutlich vor dem
Risiko gewarnt, dass damit zu große Erwartungen geschürt werden
könnten. Die Kommission unterstütze das ehrgeizige Ziel, weise jedoch
darauf hin, dass hierfür eine Beschleunigung des Reformtempos
erforderlich sei, heißt es dort. Das gelte insbesondere in
grundlegenden Bereichen wie der Rechtsstaatlichkeit.
Neben der Ukraine werden an diesem Dienstag auch das kleine
Nachbarland Moldau sowie die Westbalkanstaaten Montenegro, Albanien,
Serbien, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Kosovo als
EU-Beitrittsanwärter von der EU-Kommission bewertet. Zur Türkei und
Georgien gibt es ebenfalls Analysen, in beiden Fällen liegt der
Beitrittsprozess allerdings wegen demokratischer und
rechtsstaatlicher Defizite auf Eis.
Am weitesten im EU-Aufnahmeprozess ist nach der neuen Analyse
Montenegro. Dem Land wird bescheinigt, die Beitrittsverhandlungen bis
Ende 2026 abschließen zu können, wenn es das Reformtempo beibehält.
Für Albanien wird ein Abschluss der Beitrittsverhandlungen bis Ende
2027 für möglich gehalten.
Das bedeutet allerdings nicht, dass die Länder dann auch wirklich
beitreten können. Voraussetzung dafür ist, dass alle EU-Staaten den
von der EU-Kommission ausgehandelten Beitrittsverträgen zustimmen und
diese dann auch ratifizieren. In Frankreich etwa könnte vor der
Ratifizierung noch ein Referendum organisiert werden.
In Brüssel, aber auch in Deutschland werden die zuletzt sehr
langwierigen Entscheidungsprozesse innerhalb der EU mit Sorge
gesehen. Grund ist insbesondere das Risiko, dass Länder mit fehlender
Beitrittsperspektive engere Partnerschaften mit den Systemrivalen
China oder Russland eingehen könnten. «Die Menschen beginnen, das
Vertrauen auf eine baldige Zukunft in der EU zu verlieren», warnte
jüngst der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) zu einem
Treffen mit den Westbalkanländern. Das könne man sich nicht leisten.
Georgien nur noch auf dem Papier Beitrittskandidat
Schon jetzt als äußerst schwierige Fälle gelten die
Beitrittskandidatenländer Georgien und die Türkei, die auch in diesem
Jahr wieder ein negatives Zeugnis ausgestellt bekommen. Zu Georgien
heißt es, das Land sei angesichts des Kurses der aktuellen Regierung
nur noch auf dem Papier ein Beitrittskandidat. Als Beispiele werden
die Verabschiedung repressiver Gesetze, eine politische
Instrumentalisierung der Justiz, die Verfolgung von
Oppositionsführern sowie willkürliche Verhaftungen von
Demonstrierenden und Journalistinnen und Journalisten genannt. In der
Türkei wurden ebenfalls weitere Rückschritte in den Bereichen
Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit festgestellt. Das Land sollte
diese rückgängig machen, wird in dem Bericht gefordert.
