1.500 Obdachlose haben dank Housing First Wohnung gefunden

06.11.2025 05:15

Housing First vermittelt Obdachlosen ohne große Vorbedingungen eine
Wohnung. Das Konzept hat sich europaweit bewährt. Doch es gibt
Hürden.

Berlin (dpa) - 1.500 obdachlose Menschen haben in Deutschland in den
vergangenen zehn Jahre mithilfe von Housing-First-Projekten eine
Wohnung gefunden. Das sagte die Geschäftsführerin des Bundesverbands
Housing First, Julia von Lindern, der Deutschen Presse-Agentur. 

Bei Housing First wird Obdachlosen ohne große Vorbedingungen eine
dauerhafte Unterkunft zur Verfügung gestellt. Im Anschluss werden die
Menschen pädagogisch und psychologisch begleitet. Die Idee ist, dass
die Menschen erst eine sichere Bleibe bekommen und dann alle weiteren
Probleme angepackt werden. In 90 Prozent der Fälle blieben die
Menschen langfristig in ihren Wohnungen, sagte von Lindern.

Rund 50.000 Menschen leben auf der Straße

In Deutschland gibt es ihren Angaben zufolge 50
Housing-First-Projekte, die Wohnungen dezentral über das gesamte
Stadtbild beschaffen. Der Bedarf sei deutlich höher. In Deutschland
lebten rund 50.000 Menschen auf der Straße. Um ein größeres und
stabiles Angebot zu schaffen, forderte sie eine gesetzlich gesicherte
Finanzierung. Das soll ermöglichen, dass die Finanzierung nicht von
der aktuellen Haushaltslage abhängt und die Träger mehr Sicherheit
haben.

Diese Woche findet in Berlin die Europäische Housing-First-Konferenz
statt, an der Expertinnen und Experten aus mehr als 20 Ländern
teilnehmen. Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, Wohnungslosigkeit
bis 2030 zu überwinden.

50 Angebote in Deutschland

In Deutschland gibt es in fast jedem Bundesland
Housing-First-Wohnungen, vor allem in Großstädten wie Düsseldorf,
Köln, Berlin, Leipzig, Kassel, Freiburg oder Hamburg. Nur aus
Thüringen und Sachsen-Anhalt seien ihr keine Angebote bekannt,
berichtete von Lindern. Im europaweiten Vergleich habe Deutschland
das Konzept relativ spät übernommen. Viele Angebote seien noch im
Erprobungsstatus. 

«Die Menschen trennen ihren Müll besonders gründlich»

Die Wohnungssuche sei eine der größten Herausforderungen. «Es braucht

zu Beginn viel Überzeugungsarbeit bei den Vermietenden.» Oft gebe es
stereotype Vorurteile, dass jemand «Ungeduschtes mit einer Flasche
Bier in der Hand und einem Hund» einziehe. Dabei geben sich die
Housing-First-Mieter ihren Angaben zufolge oft sogar besonders viel
Mühe. «Oftmals erleben wir eher eine Überanpassung. Die Menschen
trennen ihren Müll beispielsweise besonders gründlich, weil sie
wissen, dass sie unter einer gewissen sozialen Kontrolle stehen.»

Der US-amerikanische Psychologe Sam Tsemberis, der das Konzept in den
1990er Jahren in New York entwickelte, sieht Deutschland auf einem
guten Weg. «Was mich frustriert, ist, dass es immer noch
Obdachlosigkeit gibt, obwohl wir Programme haben, die sie beenden
könnten.» Im Verhältnis zu einem gesamten kommunalen oder nationalen

Haushalt sei die Beendigung der Obdachlosigkeit eine kleine und kluge
Investition, die die Lebensqualität aller verbessere. «Die Beendigung
der Obdachlosigkeit ist eine Frage der Werte; was benötigt wird, ist
der politische Wille, ein gesellschaftliches Engagement und die
notwendigen Ressourcen.»