EuGH kippt zentrale Vorgaben der EU-Mindestlohnrichtlinie

11.11.2025 10:21

Darf die EU Kriterien für die Festsetzung von angemessenen
Mindestlöhnen vorgeben? Das höchste europäische Gericht sagt in einem

neuen Urteil Nein. Der Kläger bekommt aber nur teilweise recht.

Luxemburg (dpa) - Die EU hat bei der Festlegung von einheitlichen
Standards für Mindestlöhne ihre Kompetenzen überschritten. Der
Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg erklärte zwei
Bestimmungen in der EU-Mindestlohnrichtlinie für nichtig. Dabei
handelt es sich einerseits um Kriterien für die Festlegung und
Aktualisierung der Löhne und andererseits eine Vorschrift, die eine
Senkung der Löhne unterbindet, wenn sie einer automatischen
Indexierung unterliegen. Gegen das 2022 von den EU-Staaten per
Mehrheitsentscheidung beschlossene Regelwerk hatte Dänemark geklagt.
Der Gerichtshof gab dem Land damit teilweise recht.

Dass der EU-Gesetzgeber Kriterien für die Festlegung der Mindestlöhne
aufgeführt habe, sei ein unmittelbarer Eingriff in die Festsetzung
des Arbeitsentgelts, urteilten die Richterinnen und Richter. Die Höhe
der Löhne ist nach den EU-Verträgen jedoch Angelegenheit der
Mitgliedstaaten. Die EU darf mit Richtlinien lediglich beispielsweise
Arbeitsbedingungen regeln. Das Gleiche gelte für die Vorschrift, die
eine Senkung der Löhne unterbindet, wenn sie einer automatischen
Indexierung unterliegen.

Richtlinie muss nicht abgeschafft werden

Im Übrigen bleibt die Mindestlohnrichtlinie dem Urteil zufolge
bestehen. Sie verpflichtet die Länder etwa weiterhin, auf hohe
Abdeckungsraten von Tarifverträgen hinzuwirken. Der EuGH verneinte
hier einen unmittelbaren Eingriff in das Koalitionsrecht, das
ebenfalls in der Zuständigkeit der EU-Länder liegt. Die Bestimmung
verpflichte die Mitgliedstaaten nämlich nicht, zu regeln, dass mehr
Arbeitnehmer einer Gewerkschaft beizutreten haben.

Für Deutschland bedeutet das, dass das Land weiterhin einen
Aktionsplan zur Steigerung der Tarifbindung vorlegen muss. Die
Pflicht gilt nach der Mindestlohnrichtlinie, wenn weniger als 80
Prozent der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst werden.
Deutschland hat das nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales bisher noch nicht gemacht, obwohl es den Schwellenwert
nicht erreicht. Dies soll den Angaben zufolge bis zum 31. Dezember
geschehen. Es wurden bereits Stellungnahmen von Sozialpartnern
eingeholt.

«Entgegen dem europäischen Trend ist die Tarifabdeckung in
Deutschland in den letzten zwei Dekaden rapide gesunken, auf um die
50 Prozent», sagte der Politikwissenschaftler Martin Höpner vom
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Das sei dramatisch,
der deutsche Gesetzgeber sollte hier unbedingt mehr tun, so Höpner.
Dies könne er jedoch sowohl mit als auch ohne EU-Richtlinie.

Keine direkte Auswirkung auf deutschen Mindestlohn

Auf die Höhe des Mindestlohns in Deutschland hat die Entscheidung
keine direkte Auswirkung. Die Bundesregierung hatte jüngst
beschlossen, dass der derzeitige Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro
zum 1. Januar auf 13,90 Euro pro Stunde und ein Jahr später um
weitere 70 Cent auf 14,60 pro Stunde steigt. 

Unklar ist weiterhin, ob und inwieweit die bereits seit elf Jahren
geltenden nationalen Regelungen im Mindestlohngesetz an EU-Recht
angepasst werden müssen. Im Zusammenhang mit der
EU-Mindestlohnrichtlinie gab es seit längerem die Forderung, dass
Arbeitgeber mindestens 60 Prozent des mittleren Bruttolohns in
Deutschland zahlen. Der mittlere Bruttolohn ist dabei der Lohn, bei
dem die eine Hälfte der Beschäftigten mehr und die andere Hälfte der

Beschäftigten weniger verdienen. Die Mindestlohnrichtlinie sieht vor,
bei der Bewertung der Angemessenheit des Lohns solche Referenzwerte
zugrunde zu legen. Bei Verwendung des mittleren Lohns hätte der
Mindestlohn in Deutschland nach Gewerkschaftsangaben eigentlich auf
mehr als 15 Euro angehoben werden müssen.