Rechte Mehrheit: EU-Votum für schwächeres Lieferkettengesetz Von Marek Majewsky, dpa

13.11.2025 16:17

Das EU-Lieferkettengesetz soll nur noch für wenige große Firmen
gelten. Die Mehrheit im Europaparlament kommt durch Stimmen von
rechtsaußen zusammen - ist eine Brandmauer gefallen?

Brüssel (dpa) - Die Europaparlamentsfraktion um CDU und CSU hat mit
der Unterstützung rechter und rechtsextremer Parteien wie der AfD den
Weg für eine Abschwächung des Lieferkettengesetzes freigemacht. Unter
anderem sollen die Vorgaben künftig nur noch für wenige sehr große
Unternehmen gelten und es soll keine Pflicht bestehen, Handlungspläne
für Klimaziele auszuarbeiten. Nun kann das Parlament finale
Verhandlungen mit den EU-Staaten über das Vorhaben aufnehmen.

Konkret kam die Mehrheit unter anderem durch Abgeordnete der
EVP-Fraktion, zu der CDU und CSU gehören, und der rechtskonservativen
EKR, zu der etwa die Partei von Italiens rechter Ministerpräsidentin
Giorgia Meloni gehört, zustande. Auch die Abgeordneten des
Rechtsaußen-Bündnis PfE um Ungarns Regierungschef Viktor Orban und
der Partei Rassemblement National (RN) von Frankreichs
Rechtspopulistin Marine Le Pen sowie der ESN-Fraktion, der unter
anderem die AfD angehört, sprachen sich dafür aus. 

EVP jubelt, AfD spricht von Fall der Brandmauer 

«Heute ist ein guter Tag für Europas Wettbewerbsfähigkeit», sagte d
er
Fraktionsvorsitzende der EVP, Manfred Weber (CSU), nach der
Abstimmung. Kritik gibt es daran, dass die EVP nicht auf eine sonst
übliche Mehrheit gesetzt hat, die sie normalerweise versucht, mit
Sozialdemokraten und Liberalen zu bilden. 

Mit dem Fall der Brandmauer sei es einer Mehrheit auf der rechten
Seite gelungen, schädliche Klima-Gesetzgebung abzuschwächen und
dringend benötigte Entlastungen für unsere Unternehmen zu erreichen,
teilte die AfD-Abgeordnete Mary Khan mit. 

Im EU-Parlament gibt es einen sogenannten Cordon Sanitaire - eine Art
informelle Übereinkunft der EVP, S&D, Liberalen und der Grünen, nicht
mit Rechtsaußen zusammenzuarbeiten und beispielsweise keine Anträge
der PfE und ESN zu unterstützen. 

Liberale, Sozialdemokraten und Grüne kritisieren EVP

 «Wer Änderungsanträge einbringt, die nur mit Extremisten
durchsetzbar sind, kooperiert mit ihnen», teilte der zuständige
SPD-Europaabgeordnete René Repasi mit. Manche Änderungsanträge zur
Abschwächung der Lieferkettenrichtlinie wären ohne die Stimmen von
Fraktionen am rechten Rand des Parlaments nicht durchgegangen, wie
aus den Abstimmungsergebnissen hervorgeht. 

Der SPD-Politiker betonte: «Auf die Stimmen der AfD kam es nicht an,
so dass deutsche Rechtsextreme hierfür nicht notwendig waren.» Aber
es seien Stimmen aus den Lagern etwa von Le Pen und Orban notwendig
gewesen. 

Die Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion, Valérie Hayer, sprach
von einer «rücksichtslosen Bereitschaft, sich auf Kosten der
pro-europäischen Mitte Europas auf die Seite der extremen Rechten zu
stellen». Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini sprach nach der nun
gefundenen Mehrheit von einer Grenzüberschreitung. Erstmals habe
Webers EVP ein Gesetz bewusst und kalkuliert mit den Stimmen der
extrem Rechten durch das Parlament gebracht, so die Abgeordnete. 

Geheime Abstimmung vor drei Wochen

Eigentlich hatten sich Liberale, Sozialdemokraten und EVP auf
Ausschussebene auf einen Kompromiss geeinigt. In einer geheimen
Abstimmung fand dieser aber vor drei Wochen keine Mehrheit, was für
teils heftige Kritik sorgte. So nannte Bundeskanzler Friedrich Merz
(CDU) die Entscheidung des Parlaments «inakzeptabel» und forderte
eine Korrektur. 

Nach der erfolgreichen Abstimmung begrüßte er die Entscheidung. Er
gehe davon aus, dass bei den bevorstehenden finalen Verhandlungen ein
vernünftiger Kompromiss möglich sei, dem die Fraktionen der
politischen Mitte - EVP, S&D und Liberale - zustimmen könnten. 

Wenige Stimmen fehlten

Der gescheiterte Kompromiss sah vor, dass die Vorgaben nur noch für
Großunternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem
Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Ursprünglich
waren als Grenze 1.000 Mitarbeitende und eine Umsatzgrenze von 450
Millionen Euro vorgesehen. 

Am Ende fehlten nur wenige Stimmen für eine Mehrheit. Nun wurden
hunderte Änderungsanträge der Fraktionen eingereicht, über die der
Reihe nach abgestimmt wurde. Die angenommenen Anträge gehen leicht
über den Kompromiss des Rechtsausschusses hinaus. So will das
Parlament etwa mildere Strafen ermöglichen, sollten sich Unternehmen
nicht an die Vorgaben halten. Die Vorgabe zur Mitarbeiterzahl bleibt
bei 5000, ebenso die Umsatzgrenze von 1,5 Milliarden Euro.

Lieferkettenrichtlinie in der Kritik

Das europäische Lieferkettengesetz wurde eigentlich bereits
vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu
stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden
können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder
Zwangsarbeit profitieren. Nach Kritik von Unternehmen sollen Teile
der Richtlinie vereinfacht werden, noch bevor sie angewendet wird. 

Aus der Wirtschaft wird die Entscheidung des Parlaments begrüßt. Der
Verband der Automobilindustrie lobte etwa, dass die EU-weite
zivilrechtliche Haftung nicht weiterverfolgt werde. Die Deutsche
Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach von einem wichtigen
Schritt in die richtige Richtung. 

Künftig wechselnde Mehrheiten? 

Eigentlich arbeiten Liberale, S&D und EVP in einer Art informellen
Koalition zusammen. Die drei Fraktionen haben eine knappe Mehrheit im
Parlament und hatten - mit Unterstützung der Grünen und wohl auch
Stimmen der rechtskonservativen EKR-Fraktion - eine Mehrheit für eine
zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin
sichergestellt. Die Abstimmung dürfte auch Auswirkungen auf die
künftige Zusammenarbeit haben.