Mit Staubsauger am Reifen auf Partikeljagd
17.11.2025 04:00
Wie Forscher aus Niedersachsen den Gummiabrieb messbar machen - und
warum ein vibrierender Generator alles durcheinanderbringt.
Hannover (dpa) - Mit einer neuen Messmethode wollen die TU
Braunschweig und der Hersteller Continental den Reifenabrieb beim
Fahren reduzieren. Ein entsprechendes Forschungsprojekt stehe kurz
vor dem Abschluss, teilten beide Partner bei der Vorstellung des
Versuchsfahrzeugs in Hannover mit. Ziel sei es, die sich beim Fahren
ablösenden Gummipartikel genauer untersuchen zu können - und am Ende
die Belastung für Menschen und Umwelt zu verringern.
Nicht zuletzt wegen neuer Anforderungen der EU: Ab 2028 gelten hier
erstmals Regeln auch für den Abrieb von Reifen. Das neue
Messverfahren soll jetzt helfen, die Anforderungen zu erfüllen. Ziel
sei es zunächst, möglichst genaue Daten zum Abrieb zu erhalten und
wie sich dieser je nach Tageszeit, Wetter und Fahrverhalten ändert,
sagt Prof. Carsten Schilde vom Institut für Partikeltechnik an der TU
Braunschweig. Das könne dann in die Reifenentwicklung einfließen.
Schlaglöcher lassen Sensoren ausfallen
Bei dem Versuchsfahrzeug, das diese Messung übernimmt, handelt es
sich um einen mit viel Messtechnik bestückten Pick-up-Truck. Sensoren
an den Seiten und auf dem Dach zählen vorbeifliegende Partikel, ein
Staubsauger am linken Hinterrad saugt die sich ablösenden
Reifenteilchen auf, auf der Ladefläche werden sie dann gesammelt und
gehen später zur Analyse ins Labor. Das sei wie beim Hausputz daheim,
sagt Schilde. «Ich halte den Staubsauger in der Ecke und schaue, was
kommt.»
Wobei der Sauger selbst nicht am Rad befestigt wurde, sondern auf der
Ladefläche. Nur das Saugrohr schwebt auf einem kleine Gestellt direkt
hinterm Reifen. Das Problem dabei: Sauger und Messtechnik brauchen
viel Strom. Sehr viel sogar und mehr, als das Auto selbst liefern
könnte. Deshalb läuft ständig ein Generator, der den Strom liefert.
Und den zieht der Testwagen auf einem Anhänger hinter sich her.
Ursprünglich, so erinnert sich Schilde, sollte die Stromquelle direkt
auf der Ladefläche des Versuchsfahrzeugs stehen. Doch der Generator
habe so stark vibriert, «dass er alles an Sensorik verfälscht».
Deshalb kam er auf den Anhänger. Und auch ansonsten habe es immer
wieder Fehlschläge gegeben. Bei der Fahrt durch ein Schlagloch sei
schon mal die Messtechnik ausgestiegen. «Das Messgerät ist halt sehr
empfindlich.»
Testfahrten auch auf öffentlichen Straßen
Bereits seit Mitte 2023 läuft das Forschungsprojekt, das vom Land
gefördert wird. Die TU Braunschweig steuerte Sensoren und Messtechnik
bei, Continental das Versuchsfahrzeug samt Staubsauger. Und dann sei
die Konstruktion im stetigen Austausch zwischen beiden Partnern immer
weiter verbessert worden. «Das war immer so ein Ping-Pong-Spiel.»
Gefahren wurde vor allem auf abgesperrten Teststrecken in Hannover,
aber zum Teil auch im normalen Straßenverkehr. «Wenn ich einen
Trecker auf der Landstraße überhole, ist es etwas anderes, als wenn
ich auf der Autobahn fahre», sagte Schilde. «Das sieht man dann
sofort an den Sensoren.» Und auch das Wetter und die Fahrweise hätten
massive Auswirkungen.
Conti will Erkenntnisse teilen
Im Kern gehe es hier um Grundlagenforschung, sagt Matthias Haufe,
Leiter Materialentwicklung bei der Conti-Reifensparte. «Um erst mal
genau zu verstehen, wie unter den verschiedenen Bedingungen der
Reifenabrieb funktioniert.» Die Ergebnisse wolle man daher nicht für
sich behalten. «Wir sind jetzt dabei, die Ergebnisse zusammenzuführen
und auch in wissenschaftlichen Fachartikeln zu veröffentlichen», sagt
Haufe.
Zugleich profitierten aber auch die eigenen Produkte. «Erste
Ergebnisse des Projekts sind bereits in unsere Reifenentwicklung
eingeflossen», sagte Haufe. Das werde Conti auch mit Blick auf die
neuen EU-Regeln ab 2028 helfen. Für Reifen gelten dann erstmals
Grenzwerte für den Abrieb.
Ohne Abrieb kein Grip
Ganz vermeiden lässt sich der Abrieb aber nicht. «Auf Null geht
nicht», sagt Edwin Goudswaard, Leiter Forschung und Entwicklung des
Reifenbereichs. Weil ohne Abrieb kein Grip und ohne Grip keine
Haftung auf der Straße bei Beschleunigen, Bremsen, Spurhalten, in der
Kurve. «Ja, das ist ein Zielkonflikt», sagt Benjamin Oelze, Leiter
Testmethodenentwicklung bei Conti. Hier müsse man nun die richtige
Balance finden.
Das Gros der Partikel, die sich ablösen, messe im Schnitt rund 100
Mikrometer. «Ungefähr so dick wie ein Haar», sagt Goudswaard. Nur
rund drei Prozent des Abriebs sei so klein, dass er als Feinstaub in
die Lunge eindringen könne. Ein Teil des Abriebs bleibe schlicht auf
der Straße liegen, ein Teil werde wohl weggeweht oder weggespült. So
genau sei das bisher noch nicht erforscht. Klar sei nur: «Keiner
sieht Berge von Abrieb am Straßenrand.»
Forschung wird noch 10 Jahre dauern
Dabei ist die Erforschung des Abriebs bei Reifen an sich ein alter
Hut. «Der Reifenverschleiß - also wie stark sich ein Reifen abnutzt -
wird erforscht, solange es Reifen gibt», sagt Conti-Mann Oelze.
Schließlich bedeutet weniger Abrieb eine längere Laufleistung und
damit mehr Effizienz.
Die Detail-Untersuchung der sich ablösenden Partikel sei dagegen noch
ein vergleichsweise neues Forschungsfeld. Und das, so fügt Haufe
hinzu, werde die Reifenbranche wohl noch bis Mitte der 2030er-Jahre
beschäftigen. Die nun gesammelten Daten dürften dabei aber noch lange
von Nutzen sein, ist Prof. Schilde überzeugt: «Die Daten sind, glaube
ich, auch noch für die nächsten 20 Jahre brauchbar.» Schließlich
wisse heute niemand, was sich daraus noch alles herausholen lasse.
