Schicksalstage für die Ukraine: Was kann Europa tun? Von Michael Fischer und Ansgar Haase, dpa
23.11.2025 15:51
US-Präsident Trump hat nicht nur die Ukraine, sondern auch seine
europäischen Verbündeten mit seinem neuen Friedensplan geschockt.
Unter großem Zeitdruck wird nun verhandelt.
Johannesburg (dpa) - Mit seinem neuen Ukraine-Friedensplan hat
US-Präsident Donald Trump seine europäischen Verbündeten in
Alarmstimmung versetzt. Beim G20-Gipfel in Johannesburg haben sich
die Europäer am Wochenende sortiert. In den nächsten Tagen wird es
für sie nun unter massivem Zeitdruck darum gehen, das Ganze doch noch
in eine Bahn zu lenken, die für sie und die von Russland angegriffene
Ukraine akzeptabel ist.
«Kriege können nicht beendet werden durch Großmächte über die K
öpfe
der beteiligten Länder hinweg», gab Bundeskanzler Friedrich Merz als
Losung für den Verhandlungsprozess aus.
Welche Punkte sind für die Europäer nicht akzeptabel?
Trumps Plan hat 28 Punkte, viele davon sind für die Europäer
inakzeptabel, weil damit aus ihrer Sicht der Aggressor Russland
belohnt würde. Einige meinen, in Teilen komme der Plan einer
Kapitulation gleich. Um diese Punkte geht es vor allem:
* Die Ukraine soll akzeptieren, dass ein erheblicher Teil ihres
Staatsgebiets künftig zu Russland gehört - dabei geht es sogar um
Gebiete, die bislang nicht von den russischen Streitkräften erobert
wurden.
* Die Ukraine soll einwilligen, dass ihre Streitkräfte auf 600.000
Soldaten begrenzt werden.
* Russland soll für Kriegsverbrechen keine Bestrafung fürchten
müssen.
* Russland soll eine Wiederaufnahme in die Gruppe der großen
Industrienationen zugesichert werden. Aus der G7 würde wieder die G8.
* Die Nato soll nicht nur auf die Aufnahme der Ukraine, sondern
auch auf die Aufnahme anderer neuer Mitglieder verzichten.
Was stört die Europäer noch?
Dass die USA selbst Profit aus einem Friedensschluss schlagen wollen.
Nach den Vorstellungen Trumps sollen in der EU eingefrorene Gelder
der russischen Zentralbank so in den Wiederaufbau der Ukraine
investiert werden, dass davon maßgeblich auch US-Unternehmen
profitieren.
Mit welchen Punkten können die Europäer etwas anfangen?
Es gibt einige Ansätze, die als konstruktiv angesehen werden. So soll
festgelegt werden, dass die Ukraine ihre von Russland infrage
gestellte Souveränität behält und umfangreiche Sicherheitsgarantien
und Hilfe beim Wiederaufbau bekommt. Aus europäischer Sicht sind
allerdings vor allen die Sicherheitsgarantien bislang nicht so
ausformuliert, dass sie Russland dauerhaft und wirksam von einem
erneuten Angriff abschrecken würden.
Warum ist die EU unmittelbar vom Ukraine-Krieg betroffen?
Die EU-Staaten vertreten ziemlich einhellig die Auffassung, dass in
der Ukraine auch ihre eigene Sicherheit verteidigt wird. Gibt man den
russischen Angreifern in der Ukraine nach, dann könnten andere
europäische Staaten als Nächstes angegriffen werden. Vor allem die
baltischen Staaten und Polen fühlen sich unmittelbar bedroht. «Wenn
die Ukraine diesen Krieg verlieren sollte und möglicherweise
kollabiert, dann hat das Auswirkungen auf die gesamte europäische
Politik, auf den gesamten europäischen Kontinent», sagt Merz.
Mit welcher Begründung fordern die Europäer eine Einbindung?
Unter anderem damit, dass einige Punkte sie ganz unmittelbar
betreffen, zum Beispiel das Nein zu einer Nato-Mitgliedschaft, die
Verwendung des eingefrorenen russischen Vermögens oder die Rückkehr
zu einer G8 mit Russland.
Wie gehen die Europäer nun vor?
Als Reaktion auf den Friedensplan haben Deutschland, Frankreich und
Großbritannien «Änderungsvorschläge» erarbeitet. Öffentlich
kommuniziert wurden sie bisher nicht, sie werden aber als sehr
weitgehend beschrieben. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen soll es
unter anderem um weitere Sicherheitsgarantien und den Punkt der
Gebietsabtretungen an Russland gehen. Die Europäer wollen ihre Ideen
explizit nicht als «Gegenvorschlag» verstanden wissen, um die
Amerikaner nicht von vorneherein zu verprellen. Ziel ist eine
gemeinsame Lösung, mit der alle leben können.
Was ist beim G20-Gipfel passiert?
Dort haben sich die dort anwesenden Europäer getroffen, um sich
abzustimmen - allen voran die G7-Staaten Deutschland, Frankreich,
Großbritannien und Italien. Auch Japan und Kanada wurden eingeladen.
Es wurden quasi alle zusammengetrommelt, die die Ukraine in der
entscheidenden Phase des Abwehrkampfes gegen Russland nicht im Stich
lassen wollen.
Welche Bedeutung hat das Berater-Treffen in Genf?
Es ist die erste direkte Kontaktaufnahme zwischen den USA, der
Ukraine und den Europäern zu dem Friedensplan. Für die USA ist
Außenminister Marco Rubio dabei, für die Ukraine Präsidentenberater
Andrij Jermak und für Deutschland flog Kanzlerberater Günter Sautter
von Johannesburg in die Schweiz. Daneben sind Vertreter von
Frankreich, Großbritannien, Italien und der EU dabei. Die Runde
sollte ausloten, was auf der Grundlage des Friedensplans machbar ist.
Die Ergebnisse des Treffens sollen der Ausgangspunkt für weitere
Verhandlungen in den nächsten Tagen sein.
Wie gut sind die Karten der Europäer?
Sie haben kaum Druckmittel in der Hand. Die Alternative zu einem
schnellen Friedensschluss ist eine Fortsetzung des Krieges, bei dem
die Europäer die Ukraine möglicherweise alleine ohne die USA
unterstützen müssen. Etliche europäische Spitzenpolitiker geben mehr
oder weniger offen zu, dass das mittel- bis langfristig kaum zu
leisten ist. So gelten zum Beispiel amerikanische Flugabwehrsysteme
vom Typ Patriot auf absehbare Zeit als unverzichtbar, um den
ukrainischen Luftraum gegen russische Drohnen und Raketenangriffe zu
verteidigen. Ähnliches gilt für die US-Geheimdienstinformationen und
weitreichende Raketenwerfer.
Welches Problem haben die Europäer noch?
Außerdem sind viele Staats- und Regierungschefs zu Hause mit
kriegsmüden Wählerinnen und Wählern konfrontiert, die die
kostspielige Unterstützung für die Ukraine mehr und mehr infrage
stellen. Innerhalb der EU können weitreichende Pläne für mehr
Unterstützung für die Ukraine schon heute nicht mehr durchgesetzt
werden, weil sie Einstimmigkeit erfordern und von Ländern wie Ungarn
und der Slowakei blockiert werden. Aktuell wird darum gerungen, das
in der EU eingefrorene Milliarden-Vermögen der russischen Staatsbank
für die militärische Hilfe der Ukraine zu nutzen.
Was macht den Europäern Hoffnung?
Die Erfahrungen mit der letzten Friedensinitiative Trumps. Damals
hatte es nach dem persönlichen Treffen von Trump und Russlands
Präsident Wladimir Putin in Alaska schon die Befürchtung gegeben,
dass der Ukraine eine Zustimmung zu einem Friedensvertrag
aufgezwungen wird. Die Europäer schafften es dann aber, Trump zu
einem Umdenken zu bringen. Ein geplantes zweites Treffen mit Putin
kam nicht zustande. Stattdessen ließ Trump sogar neue Sanktionen
gegen russische Energieunternehmen verhängen.
Wie verhandlungsbereit sind die Amerikaner jetzt?
Es gibt Signale, dass sie für Änderungen offen sind. Am Samstagabend
verneinte Trump in Washington die Frage einer Reporterin, ob sein
Friedensplan denn nun das letzte Angebot sei.
Bis wann will Trump zu einer Einigung kommen?
Er hat eine Frist bis Donnerstag gesetzt. In den USA ist dann
Thanksgiving, einer der wichtigsten Festtage des Landes. Es gibt
Spekulationen darüber, dass Trump bereits konkrete Pläne für eine
Unterzeichnungszeremonie in den USA hat.
Ist das zu schaffen?
Merz glaubt nicht so recht daran. «Vielleicht können wir
weiterkommen, aber ich bin unverändert skeptisch, dass das in der
Kürze der Zeit kommt», sagt er.
Kann es dann zumindest zu einem ersten Schritt kommen?
So stellt sich der Kanzler das vor. «Ich habe noch einmal einen
weiteren Vorschlag gemacht, der sozusagen unterhalb der kompletten
Lösung bleibt», sagte er überraschend beim G20-Gipfel. Die
Einzelheiten nannte er aber noch nicht. Diese sollten zunächst in
Genf unterbreitet werden. Vielleicht wird bis Donnerstag also aus dem
Trump-Plan erst einmal ein Merz-Plänchen.
