Was hat die EU zum Thema Gentechnik entschieden? Von Marek Majewsky, dpa
04.12.2025 13:09
Gibt es im Supermarkt bald keinen Hinweis mehr auf genveränderte
Lebensmittel? Was sich für Obst, Gemüse und die Wahlfreiheit der
Verbraucher ändert.
Brüssel (dpa) - Gentechnisch veränderte Lebensmittel - bei diesem
Gedanken ist vielen Menschen in Deutschland unwohl. Nun sollen die
Regeln in der EU gelockert werden. Künftig soll es zwei Kategorien
geben. Gentechnisch veränderte Lebensmittel, bei denen weniger
gravierende Eingriffe vorgenommen wurden, sollen auch ohne spezielle
Prüfung und ohne Kennzeichnung den Weg in den Supermarkt finden.
Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten sich in
der Nacht in Brüssel darauf, entsprechende Züchtungen in vielen
Fällen von bislang strengen EU-Gentechnikregeln auszunehmen.
Was bedeuten die Änderungen für Verbraucher?
Wenn die neuen Vorgaben vom EU-Parlament und den EU-Staaten bestätigt
worden sind - was normalerweise als Formsache gilt - können
Verbraucher künftig nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, ob sie
durch moderne Gentechnikverfahren veränderte Lebensmittel essen.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht darin eine «herbe
Enttäuschung». Die Verbraucherorganisation Foodwatch spricht von
einem Geschenk an die Agrar-Lobby. Produkte, in denen gekennzeichnete
gentechnisch veränderte Pflanzen verarbeitet sind, haben
in Deutschland im Verkauf derzeit keine Bedeutung.
Wer die neuen Züchtungsmethoden auch künftig nicht auf dem Teller
haben will, kann sich an dem Label «Ohne Gentechnik» orientieren. Das
soll laut dem dahinterstehenden Verband auch künftig
Gentechnikfreiheit garantieren.
Gentechnikfrei soll in Zukunft auch weiterhin die Biolandwirtschaft
bleiben. Jedoch soll es laut Parlament kein Verstoß darstellen, wenn
es um ein «technisch unvermeidbares Vorhandensein» von Gentechnik
geht. Eine Kennzeichnungspflicht für Saatgut soll es ermöglichen,
weiterhin gentechnikfrei zu arbeiten. Der Lebensmittelhändler Rewe
teilte mit, man sehe die Entscheidung kritisch und prüfe mögliche
Auswirkungen.
Sind die Auswirkungen der Methoden für Verbraucher sicher?
Neue Sorten unterliegen weiter der gesetzlich geregelten
Sortenprüfung und -zulassung. Sprich: Komplett ungeprüft kommen auch
künftig gentechnisch veränderte Pflanzen nicht auf den Markt. Denn
auch bei herkömmlichen Züchtungsmethoden gibt es Risiken.
Eines der bekanntesten Beispiele ist die konventionell gezüchtete
Lenape-Kartoffel. Sie enthielt einen erhöhten Gehalt von in
Kartoffeln natürlich vorkommenden giftigen Glykoalkaloiden, nachdem
eine schädlingsresistentere Wildkartoffel eingekreuzt wurde. Die
Sorte musste wieder vom Markt genommen werden.
Der FDP-Europaabgeordnete Jan-Cristoph Oetjen betont: «Für den
Verbraucher macht es keinen Unterschied, welches Endprodukt er im
Supermarkt kauft.» Es gebe eine klare Abgrenzung zur klassischen
Gentechnik. «Damit schaffen wir einen sicheren Rahmen für neue
Züchtungstechniken.» Sein CDU-Amtskollege Peter Liese ist ähnlicher
Meinung. «Als Arzt mit Erfahrung in der Humangenetik bin ich fest
davon überzeugt, dass die Risiken vollständig unter Kontrolle sind»,
teilte er mit.
Wie sind Gentechnikverfahren bisher geregelt und was ist neu?
Unter das EU-Gentechnikrecht fallen unter anderem Methoden, bei denen
artfremde Gene in eine Pflanze eingebracht werden - etwa Gene aus
einem Bakterium in Mais. Diese sogenannte Transgenese fällt unter die
strengen Zulassungsregeln und muss deklariert werden.
Zudem gehört dazu ein gesondertes Zulassungsverfahren mit
Risikoprüfung, das in der Praxis mehrere Jahre dauert. Das soll auch
weiterhin der Fall sein. Ausgenommen sollen künftig gentechnisch
veränderte Pflanzen werden, bei denen deutlich kleinere Eingriffe
vorgenommen wurden.
Welche Vorteile kann diese neue Gentechnik bieten?
Viele Forscher sehen enormes Potenzial. So besteht die Hoffnung, etwa
eine Weizensorte zu entwickeln, die gegen die Pilzkrankheit Mehltau
resistent ist. Aber auch stressresistente Maispflanzen oder
allergenfreie Erdnüsse sind denkbar. Befürworter erhoffen sich auch
positive Effekte durch besonders widerstandsfähige Pflanzen mit Blick
auf Hunger und Klimakrise.
Zudem erwarten Befürworter, dass europäische Landwirte
wettbewerbsfähiger werden. In anderen Ländern gelten bereits
schwächere Regeln für moderne Gentechnikverfahren.
Welche Risiken bemängeln Kritiker?
Unter anderem steht die Befürchtung im Raum, dass neue
Gentechnik-Methoden weitreichend genutzt werden - also für deutlich
mehr als Veränderungen, die auch herkömmlich entstehen könnten. Die
Ökologin Katja Tielbörger warnte in der «Frankfurter Allgemeinen
Zeitung» davor, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen in der
Wildnis ausbreiten könnten. Dies berge Risiken für das Gleichgewicht
eines Ökosystems.
Welche Auswirkungen gibt es auf den Pestizideinsatz?
Befürworter erhoffen sich etwa durch resistentere Sorten einen
geringeren Einsatz von Pestiziden. Theoretisch kann Pflanzen aber
auch eine höhere Toleranz gegen Unkraut- und Insektenvernichter
angezüchtet werden, was einen höheren Einsatz der
Pflanzenschutzmittel ermöglichen würde.
Nach Angaben des liberalen Europaabgeordneten Pascal Canfin sollen
aber Sorten, die gegen Herbizide resistent sind oder Insektizide
produzieren, auf dem europäischen Markt nicht zugelassen werden.
Dänemarks Landwirtschaftsminister Jacob Jensen sagte: «Diese neuen
Sorten könnten widerstandsfähiger gegenüber den Auswirkungen des
Klimawandels wie Dürren oder Überschwemmungen sein und weniger
Düngemittel und Pestizide benötigen.»
Wie viel Gentechnik steckt bereits in unserem Essen?
Indirekt landet Gentechnik auch jetzt schon auf unseren Tellern.
«Keine Kennzeichnungspflicht besteht für Produkte von Tieren, die mit
gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden», heißt es
auf der Internetseite des Landwirtschaftsministeriums. Zudem sind
bestimmte Methoden, bei denen etwa genetische Veränderung durch
Bestrahlung oder Chemikalien vorgenommen wird, bereits jetzt teils
von der Regulierung und Kennzeichnung nach Gentechnikrecht
ausgenommen.
Was wurde zum Thema Patente beschlossen?
Der Kompromiss erlaubt Patente für gentechnisch veränderte Pflanzen.
Ausnahmen soll es laut Parlament für Merkmale geben, «die in der
Natur vorkommen oder auf biologischem Wege hergestellt werden». Der
Deutsche Bauernverband sieht Patente auf neue Züchtungen kritisch.
«Wenn zentrale Pflanzeneigenschaften von einzelnen Unternehmen
monopolisiert werden, verlieren unsere Landwirte und kleine und
mittelständische Züchter den Zugang zu wichtigem genetischem
Material», sagte die Generalsekretärin des Deutschen Bauernverbandes,
Stefanie Sabet.
Was sind die nächsten Schritte?
Die neuen Vorgaben müssen noch vom EU-Parlament und den EU-Staaten
bestätigt werden. Normalerweise ist das Formsache, wenn sich die
Unterhändler der Institutionen zuvor auf einen Kompromiss geeinigt
haben.
Sollte es entsprechende Mehrheiten geben, dürfte das noch nicht das
Ende des Widerstands gegen das Vorhaben sein. Die Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft will zusammen mit anderen Organisationen
und Verbänden die Verordnung rechtlich überprüfen lassen, um sie zu
Fall zu bringen.
