Trumps neue Sicherheitsstrategie sieht EU als Risiko Von Luzia Geier und Ansgar Haase, dpa
05.12.2025 19:14
Donald Trump ist nicht für leise Töne bekannt. Entsprechend
ungewöhnlich ist die Art, auf die er seine Sicherheitsstrategie
veröffentlicht - ohne große Ankündigung. Der Inhalt hat es aber in
sich.
Washington/Brüssel (dpa) - Mit einer neuen nationalen
Sicherheitsstrategie brandmarkt US-Präsident Donald Trump die
aktuelle politische Landschaft in der EU als Bedrohung für
amerikanische Interessen. Konkret werden in dem 33-seitigen Dokument
angebliche Demokratiedefizite und Einschränkungen der
Meinungsfreiheit kritisiert. Über Migration heißt es, der
wirtschaftliche Niedergang Europas werde von der Gefahr einer
«zivilisatorischen Auslöschung» überlagert. Auch Deutschland wird
namentlich erwähnt und kritisiert.
Die nationale Sicherheitsstrategie ist ein zentrales Dokument, in dem
die USA ihre außen- und sicherheitspolitischen Leitlinien festlegen.
Frühere Strategien hätten die nationalen Kerninteressen der USA nicht
berücksichtigt und die Verteidigung anderer Länder auf die Schultern
der US-Bevölkerung abgeladen, lässt Trump erklären. Die Zeiten, in
denen die Vereinigten Staaten «wie Atlas die gesamte Weltordnung
gestützt» hätten, seien vorbei. Es gelte «America First» - die US
A
zuerst.
Deutsche Abhängigkeiten im Visier
Auffällig scharf fällt die Kritik an europäischen Regierungen im
Umgang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine aus.
Deutschland wird dabei explizit als Beispiel wachsender
Abhängigkeiten genannt: Der Ukraine-Krieg habe den Effekt gehabt,
Europas - und «insbesondere Deutschlands» - externe Abhängigkeiten zu
vergrößern. Deutsche Chemiekonzerne bauten riesige Anlagen in China
und nutzten dort russisches Gas, das sie zu Hause nicht mehr bekämen.
Europäischen Politikern wirft die Trump-Regierung «unrealistische
Erwartungen» und eine politische Blockadehaltung im Ringen um Frieden
mit Moskau vor. In mehreren Ländern säßen instabile
Minderheitsregierungen an der Macht, «von denen viele grundlegende
Prinzipien der Demokratie mit Füßen treten, um Opposition zu
unterdrücken». Eine große Mehrheit der Europäer wünsche sich Frie
den,
doch dieser Wunsch spiegele sich kaum in der Politik wider.
Aus Sicht Washingtons erschwert das die Wiederherstellung von
Stabilität auf dem Kontinent - einschließlich einer neuen
«strategischen Stabilität mit Russland», die das Dokument
ausdrücklich als Ziel nennt. Kritische Worte für den Kreml als
Aggressor im Krieg gegen die Ukraine enthält der Text nicht.
«Patriotische Parteien» in Europa sollen gestärkt werden
Welche EU-Länder Trump beim Thema Ukraine und Meinungsfreiheit
besonders im Visier hat, wird im Text nicht explizit gesagt.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und seine Regierungskoalition
dürften zu den Angesprochenen zählen. Ihnen erklärt Trump indirekt
den Kampf, indem er wissen lässt, dass sich sein Land für «echte
Demokratie» und «Meinungsfreiheit» einsetze und jene «patriotischen
Parteien» stärken wolle, die Europas «Verlust an Identität» umkeh
ren
könnten.
Ziel der amerikanischen Politik müsse es sein, Europa «auf den
richtigen Kurs» zurückzuführen. Als eng verbandelt mit der
Trump-Regierung gelten der nationalistische ungarische Regierungschef
Viktor Orban, aber auch die deutsche AfD.
Aus Deutschland und anderen europäischen Staaten kam an der neuen
Strategie umgehend scharfe Kritik. Außenminister Johann Wadephul
sagte zu den kritischen Äußerungen zur Meinungsfreiheit, er glaube
«nicht, dass irgendjemand uns dazu Ratschläge geben muss». In
Deutschland gebe es nicht nur die staatlichen Gewalten der Exekutive,
der Legislative und der Jurisdiktion, «sondern zu Recht auch freie
Medien». Auch die EU-Kommission von Ursula von der Leyen wies die
Vorwürfe gegen die EU zurück.
In Brüsseler Nato-Kreisen sorgte eine Passage für Beunruhigung, in
der es heißt, die grundlegende US-Politik für Europa solle darauf
abzielen, «den Eindruck - und die Realität - einer sich ständig
erweiternden Nato zu beenden». Dies würde ein Ende des bisherigen
Prinzips der «offenen Tür» bedeuten. Das Bündnis wollte diesen Punk
t
in der US-Strategie auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur zunächst
nicht kommentieren.
Hauptfokus liegt auf Lateinamerika und Asien
Zugleich macht das Dokument unmissverständlich klar, dass der
Hauptfokus der US-Sicherheitspolitik künftig in der «westlichen
Hemisphäre» liegen soll - gemeint sind die Migration aus
Lateinamerika, der Kampf gegen angebliche «Terroristen» und Kartelle,
die Drogen in die USA brächten, sowie auf der Durchsetzung
amerikanischer Interessen in der Region. Bemerkenswert ist, welches
Land in diesem Zusammenhang namentlich unerwähnt bleibt, obwohl Trump
zuletzt die Temperatur rhetorisch aufdrehte: Venezuela.
Die meisten Seiten des Dokuments sind sonst Asien gewidmet. Die USA
hätten China über Jahrzehnte falsch eingeschätzt, heißt es. Das
Verhältnis müsse wirtschaftlich neu austariert und die militärische
Abschreckung im Indo-Pazifik gestärkt werden, um einen möglichen
Konflikt zu verhindern. Auch das gehört zu Trumps strategischem
Ansatz: ein «weltweit führendes, tödlichstes und technologisch
fortschrittlichstes» Militär, das amerikanische Interessen überall
durchsetzen soll.
Naher Osten spielt eine Nebenrolle
Der Nahe Osten spielt in der neuen Strategie dagegen nur eine
Nebenrolle - entsprechend knapp fällt das Kapitel zur Region aus. Die
Gegend habe ihren früheren strategischen Stellenwert verloren, vor
allem weil die USA wieder mehr eigene Energie produzierten, und viele
Konflikte dort aus amerikanischer Sicht weniger unmittelbare Gefahren
für die USA mit sich brächten.
Noch knapper hält sich das Dokument zu Afrika: Nicht einmal eine
ganze Seite widmet die Trump-Regierung dem Kontinent. Washington
kritisiert, die US-Politik habe dort zu lange auf Entwicklungshilfe
und den Export liberaler Werte gesetzt. Künftig solle die
Zusammenarbeit auf Handel und den Zugang zu afrikanischen Rohstoffen
zielen - und auf Partnerschaften mit jenen Staaten, die ihre Märkte
für US-Unternehmen öffnen.
Argumentationslinien wie in rechten Kreisen
Unterm Strich geht es um Abschreckung nach außen, die rigorose
Durchsetzung amerikanischer Wirtschaftsinteressen und um ein klar
umrissenes Bild davon, wer dazugehört und wer nicht.
Dabei schlägt das Dokument einen Ton an, der koloniale Denkweisen des
19. Jahrhunderts wiederbelebt. Das zeigt sich nicht nur in der
Afrika-Passage, sondern auch in Formulierungen zu Europa - die
Trump-Regierung bedient sich Argumentationslinien, wie sie in rechten
Kreisen verbreitet sind: Die größten Gefahren seien Migration,
sinkende Geburtenraten und ein vermeintlicher «Verlust nationaler
Identität».
Zwischen den Zeilen wird so eine rassistisch anmutende Vorstellung
von Zugehörigkeit in staatliche Strategie gegossen, für Europa wie
für die USA selbst. Vielfalt soll keine Rolle spielen, die «westliche
Identität» und gesellschaftliche Einheit dagegen gelten als Stärke.
Die beschworene «goldene Zukunft» der USA beruht auf «traditionellen
Familien» und der Ehrung «vergangener Errungenschaften und Helden».
Eine kritische Aufarbeitung der dunkelsten Kapitel der amerikanischen
Geschichte - etwa die Sklaverei - gehört zu diesem Selbstverständnis
nicht dazu.
