Einigung auf abgeschwächtes EU-Lieferkettengesetz erzielt Von Marek Majewsky, dpa
09.12.2025 13:18
Das Lieferkettengesetz der EU soll Menschenrechte weltweit schützen -
und wird nun wohl entschärft, bevor es überhaupt in Kraft getreten
ist. Die Regeln sollen nur noch für wenige große Firmen gelten.
Brüssel (dpa) - Die EU will das europäische Lieferkettengesetz zum
Schutz von Menschenrechten abschwächen, noch bevor es angewendet
wird. Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten
sich in Brüssel darauf, dass die Vorgaben nur noch für wenige große
Unternehmen gelten sollen, wie beide Seiten mitteilten. Das Parlament
und die EU-Mitgliedsländer müssen die Änderung noch genehmigen,
normalerweise ist das aber reine Formsache.
Die Vorgaben sollen künftig nur noch für Großunternehmen mit mehr als
5.000 Mitarbeiter und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5
Milliarden Euro gelten. Ursprünglich waren als Grenze 1.000
Mitarbeiter und eine Umsatzschwelle von 450 Millionen Euro
vorgesehen. Nach Angaben des Verhandlungsführers des EU-Parlaments,
Jörgen Warborn, fallen damit rund 85 Prozent der ursprünglich
erfassten Unternehmen aus dem Anwendungsbereich. Es gebe Schätzungen,
dass noch rund 1.500 Firmen betroffen seien.
Zudem sollen Firmen, die gegen die Regeln verstoßen, auf EU-Ebene
keiner zivilrechtlichen Haftung mehr unterliegen - wodurch für Opfer
von Menschenrechtsverstößen eine Klagemöglichkeit entfällt. Wenn si
ch
Unternehmen nicht an die Vorgaben halten, soll eine Strafe von
maximal drei Prozent ihres weltweiten Nettoumsatzes verhängt werden
können. Zudem soll es nach Angaben aus dem Parlament und der
EU-Staaten künftig keine Pflicht mehr geben, Handlungspläne für
Klimaziele auszuarbeiten.
Merz forderte komplette Abschaffung
Dem jetzt erfolgten Schritt war ein heftiger politischer
Schlagabtausch vorausgegangen. Die konservative
Europaparlamentsfraktion um CDU und CSU hatte vor knapp einem Monat
mit der Unterstützung rechter und rechtsextremer Parteien den Weg für
eine Abschwächung des Regelwerks freigemacht. Zuvor hatten sich auch
die EU-Staaten für weniger strenge Vorschriften ausgesprochen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte bei seinem Antrittsbesuch in
Brüssel sogar eine komplette Abschaffung der Richtlinie gefordert.
Als ein erster Kompromiss zur Abschwächung des
EU-Lieferkettengesetzes im Europaparlament scheiterte, nannte Merz
dies «inakzeptabel» und forderte eine Korrektur.
Ziel des Lieferkettengesetzes ist es, Menschenrechte weltweit zu
stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden
können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder
Zwangsarbeit profitieren. Das Vorhaben wurde von Firmen vehement
kritisiert - sie kritisierten vor allem, die bürokratische Belastung
sei unzumutbar, wenn entlang der teils komplexen Lieferketten
potenzielle Regelverstöße überprüft werden müssten.
Aus Sicht des Mittelstandsverbunds schaffen die neuen Regeln klare
Grenzen für Sorgfaltspflichten und vermeiden neuen Berichtslasten.
«Die Einigung bringt eine der weitreichendsten Entlastungen für
kleine und mittlere Unternehmen der vergangenen Jahre.»
Brisante Mehrheitsbildung im Parlament
Die rechte Mehrheit zugunsten der Abschwächung des
Lieferkettengesetzes im Parlament wurde von Liberalen,
Sozialdemokraten und Grünen heftig kritisiert. Die Entscheidung war
brisant, da die konservative EVP, zu der auch CDU und CSU gehören,
die Mehrheit abseits der üblichen Bündnisse gesucht und gefunden
hatte.
Eigentlich arbeiten EVP, Sozialdemokraten (S&D) und Liberale in einer
Art informeller Koalition zusammen. Sie haben eine knappe Mehrheit im
Parlament. Das Lieferkettengesetz dürfte nun aber das erste große
Gesetzesprojekt werden, das auch final mit einer klar rechten
Mehrheit durchs Parlament geht. Welche Auswirkungen das auf die
kommende Zusammenarbeit von EVP, S&D und Liberalen haben wird, ist
noch unklar.
Kritik von SPD und Grünen, Lob aus der Union
Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken sprach von einem schwarzen Tag
für Europa, da Menschenrechte und Klimaschutz offenkundig nur noch
billige Verhandlungsmasse seien. «Ein Kompromiss mit den
demokratischen Kräften des Parlaments wäre möglich gewesen,
scheiterte aber an der Erpressungstaktik der Konservativen», so
Wölken.
«Die Konservativen im Europaparlament und die EU-Mitgliedstaaten
haben heute Nacht den letzten Nagel in den Sarg des
EU-Lieferkettengesetzes geschlagen», kritisiert die
Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini. Die CSU-Abgeordnete Angelika
Niebler spricht hingegen von dem größten Entlastungspaket für
Unternehmen, «das es in der EU je gegeben hat».
