Reiche will Chemieindustrie stützen - Verhandlungen mit Brüssel
11.12.2025 18:21
Wirtschaftsministerin Reiche ist Chemikerin. Entsprechend betont sie
die Bedeutung der Chemieindustrie, die in einer Krise steckt. Für
geplante Entlastungen ist ein Ja aus Brüssel notwendig.
Berlin (dpa) - Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche will die
kriselnde deutsche Chemiebranche stützen. Die CDU-Politikerin setzt
dabei zunächst auf eine Einigung mit der EU-Kommission über eine
Kombination von zwei geplanten Maßnahmen - den Industriestrompreis
und die sogenannte Strompreiskompensation. Die EU-Kommission
verbietet eigentlich eine Doppelförderung. Brüssel muss beide
Maßnahmen beihilferechtlich genehmigen.
Mittelfristig soll zusammen mit der Branche eine «Chemieagenda 2045»
erarbeitet werden. Reiche sagte nach einer Auftaktveranstaltung dazu
in Berlin, der Chemiestandort Deutschland sei in seiner Bedeutung
nicht zu überschätzen. «Ohne innovative Chemie keine leistungsfähig
en
Batterien, keine effizienten Solaranlagen, keine Impfstoffe, keine
klimafreundlichen Kunststoffe, keine sauberen Produktionsprozesse.»
Im Koalitionsvertrag heißt es, Deutschland solle der «weltweit
innovativste Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort» werden. Zum
Ende des ersten Quartals 2026 soll laut Reiche ein Abschlusspapier
zur Agenda vorgelegt werden
Hohe Energiepreise
Die energieintensive Chemieindustrie klagt vor allem über hohe
Energiekosten im internationalen Vergleich. Reiche verwies zum einen
auf beschlossene Maßnahmen wie eine Senkung der Stromnetzentgelte.
Die Regierung plant zudem einen staatlich subventionierten,
günstigeren Industriestrompreis für die Jahre 2026 bis 2028 sowie
eine Verlängerung und Ausweitung der sogenannten
Strompreiskompensation. Dabei werden Firmen indirekt von Kosten des
CO2-Emissionshandels entlastet.
Reiche verwies auf den Grundsatz der EU-Kommission, dass keine
Kumulierung von Beihilfen möglich sei. Das Ministerium versuche nun
eine andere Lösung hinzubekommen: ob man einen chemischen Prozess so
in Teile teilen könne, dass abgrenzbar Stromenergiemengen anrechenbar
seien - so dass ein Teil für die Strompreiskompensation und ein
anderer für den Industriestrompreis zur Verfügung stehe. «Die
Kommission hat dazu noch keine Antwort gegeben, aber auch nicht Nein
gesagt.»
Der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie, Markus
Steilemann, machte deutlich, es sei ganz entscheidend, beide
Maßnahmen wirksam werden zu lassen. Die Hilfen müssten zudem schnell
ankommen. Die Maßnahmen sollten allerdings zwar 2026 in Kraft treten,
aber ab 2027 rückwirkend beantragt werden können. Ohne kurzfristige
Entlastungen werde es nicht gelingen, Investitionen am Standort zu
halten.
Der Vorsitzende der Chemie-Gewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis,
sagte, derzeit gingen in Deutschland viele Jobs verloren. Es gehe nun
zunächst um «Notarzt-Management»: «Wenn wir nicht schnell genug sin
d,
wird es einige Teile der Industrie nicht mehr geben.»
Schwere Krise
Die deutsche Chemiebranche erwartet auch im kommenden Jahr kein Ende
ihrer tiefen Branchenkrise. «Die Industrie funkt SOS», hatte
Steilemann am Mittwoch gesagt. Die Produktionsanlagen der
drittgrößten deutschen Industriebranche seien nur zu 70 Prozent
ausgelastet - «ein historischer Tiefpunkt und weit entfernt von
Rentabilität». Jedes zweite Unternehmen habe zu wenig Aufträge. Diese
seien seit 2021 im In- und Ausland um mehr als 20 Prozent
eingebrochen.
