Merz vor seinem schwierigsten Gipfel Von Michael Fischer, dpa
17.12.2025 04:30
Beim bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel geht es um sehr viel für
Europa, die Ukraine, aber auch für Kanzler Merz. Für ihn ist es die
erste ganz große Bewährungsprobe als europäische Führungsfigur.
Berlin (dpa) - Die Europäer haben nun ihren festen Platz in den
Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine und das ist zu einem
großen Teil auch Bundeskanzler Friedrich Merz zu verdanken. In dieser
Einschätzung waren sich Beobachter nach den zweitägigen Gesprächen in
Berlin zwischen den USA, der Ukraine, zehn europäischen Staaten und
der EU weitgehend einig. Merz hatte das erste hochrangige Treffen in
dieser Konstellation organisiert. Die eigentliche Bewährungsprobe als
europäische Führungsfigur im Ringen um einen Waffenstillstand nach
fast vier Jahren Krieg steht dem Kanzler aber noch bevor.
Heute Nachmittag reist er nach Brüssel, wo am Donnerstag bei einem
EU-Gipfel die Entscheidung über die Nutzung des in der EU
eingefrorenen russischen Staatsvermögens für die Unterstützung der
Ukraine fallen soll. Vorher gibt er im Bundestag eine
Regierungserklärung ab, in der er nochmals eindringlich um Zustimmung
zu diesem Schritt werben wird.
Für die EU geht es um die Handlungsfähigkeit
Der Kanzler hat die Entscheidung zur «Schlüsselfrage» für die EU
erklärt, die jetzt gelöst werden müsse. Wenn das nicht geschehe, sei
die Handlungsfähigkeit Europas «massiv beschädigt», sagt er. In
seinem Umfeld ist sogar von einer «Schicksalswoche» für Europa die
Rede.
Sollte die EU nicht zu einer Einigung kommen, würden die
Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine zu reinen
Lippenbekenntnissen. Und der Gewinner wäre der russische Präsident
Wladimir Putin.
Für die Ukraine geht es um ihr Überleben
Um noch mehr als für die EU geht es für die Ukraine - nämlich quasi
ums Überleben. Auf die USA kann die Ukraine nicht mehr zählen, weil
US-Präsident Donald Trump kein Geld mehr für sie ausgeben will.
Bleiben die europäischen Verbündeten.
Von ihnen braucht sie ab dem zweiten Quartal des nächsten Jahres
frisches Geld. Die erforderlichen Mittel über die EU anders zu
organisieren als über das russische Staatsvermögen, gilt derzeit als
nicht möglich. Dafür bräuchte es eine einstimmige Entscheidung der 27
EU-Staaten - und Länder wie Ungarn und Tschechien kündigten bereits
an, dies nicht mitzutragen.
Die Unterstützung müsste dann durch die einzelnen Mitgliedstaaten
geleistet werden. Und in denen schwindet nach vier Jahren Krieg die
Akzeptanz dafür, den Abwehrkampf der Ukraine gegen die russischen
Angreifer weiter zu finanzieren.
Für Merz geht es um seine europäische Führungsrolle
Gegen die Nutzung des russischen Vermögens gibt es rechtliche und
politische Bedenken - vor allem in Belgien, wo die rund 185
Milliarden Euro der russischen Staatsbank lagern. Auch Merz war lange
Zeit skeptisch. Ende September setzte er sich dann aber mit einem
Gastbeitrag für die «Financial Times» überraschend an die Spitze de
r
Befürworter.
Die EU habe sich dazu verpflichtet, der Ukraine so lange beizustehen
wie nötig, schrieb er. «Ich bin der Überzeugung, dass es nun an der
Zeit ist, dieses politische Versprechen mit einem Instrument zu
unterlegen, das ein unmissverständliches Signal der
Widerstandsfähigkeit nach Moskau sendet.» In den letzten Jahren sei
man dabei nur auf Sicht gefahren. «Jetzt trete ich dafür ein,
Finanzmittel in einem Umfang zu mobilisieren, der die militärische
Durchhaltefähigkeit der Ukraine auf mehrere Jahre absichert.»
Kanzler schätzt Chancen «fity-fifty» ein
Es war ein riskantes Manöver, das sich für Merz schwieriger
gestaltete, als er sich das wohl vorgestellt hat. Beim letzten Gipfel
im Oktober kam es wegen des massiven Widerstands des belgischen
Ministerpräsidenten Bart de Wever nicht zu einer Einigung.
Nun heißt es: Hopp oder Top. Ein Scheitern des Projekts wäre auch ein
Scheitern des Kanzlers. Die Chance auf eine Einigung stehe bei
«fifty-fifty», sagte der CDU-Chef am Abend in einem ZDF-Interview. Er
mahnte erneut eine «klare europäischen Haltung gegenüber Russland»
an: «Wenn wir jetzt nicht springen, (...) wann denn dann?»
