EU will Asylbewerber leichter in Drittstaaten abschieben Von Niklas Treppner, dpa
18.12.2025 14:56
Kommt der europäische Versuch des «Ruanda-Modells»? Die EU schafft
die Grundlage für leichtere Abschiebungen in Drittstaaten. Auch bei
einer Liste sicherer Herkunftsstaaten besteht nun Einigkeit.
Straßburg (dpa) - Die EU schafft die Grundlage für eine deutlich
verschärfte Abschiebepolitik. Deutschland und andere EU-Staaten
sollen Schutzsuchende künftig auch in Länder bringen dürfen, zu denen
die Betroffenen keine Verbindung haben, wie aus einer Einigung von
Vertretern der Mitgliedsländer und des Europaparlaments hervorgeht.
Bislang war es nötig, dass Asylsuchende eine enge Verbindung zu einem
solchen Drittstaat haben, etwa durch Familienangehörige oder einen
längeren Aufenthalt. Dem Vorhaben nach soll es künftig schon reichen,
wenn ein Abkommen zwischen einem Mitgliedstaat und dem Drittstaat
besteht.
Die Gesetzesänderung muss noch vom EU-Parlament und den EU-Staaten
bestätigt werden. Normalerweise ist das Formsache, wenn sich die
Unterhändler der Institutionen zuvor auf einen Kompromiss geeinigt
haben.
Schutzsuchende können demnach auch in Länder abgeschoben werden, in
denen sie noch nie waren und zu denen sie keine familiäre, kulturelle
oder sonstige Bindung haben. Dieses sogenannte Verbindungselement
wird optional. Für unbegleitete Minderjährige gibt es hingegen die
von den EU-Staaten geforderte Ausnahme. Für sie bleibt ein
verbindendes Element zum Land, in das sie abgeschoben werden sollen,
eine notwendige Bedingung.
Versucht sich Europa am «Ruanda-Modell»?
Damit soll auch die rechtliche Grundlage für das sogenannte
Ruanda-Modell geschaffen werden. Großbritannien wollte Asylbewerber
nach Ruanda bringen, die dann auch dort bleiben sollten, wenn ihnen
nach der Prüfung ein Schutzstatus gewährt wird.
Umgesetzt werden konnte der Plan auch wegen Gerichtsentscheiden nie
wirklich - die neue Labour-Regierung unter Premierminister Keir
Starmer kippte den Asylpakt mit Ruanda schließlich. Nach Angaben der
britischen Innenministerin Yvette Cooper kostete das Vorhaben mehr
als 700 Millionen Pfund (etwa 830 Millionen Euro).
Bundesregierung hatte Machbarkeit geprüft
Das deutsche Bundesinnenministerium hatte die verschiedenen
Möglichkeiten, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern, geprüft -
darunter auch das «Ruanda-Modell». Ein im Mai veröffentlichter
Abschlussbericht kam zu dem Ergebnis: rechtlich grundsätzlich
möglich, aber in praktischer Hinsicht mit teils erheblichen
Schwierigkeiten verbunden.
In einer Mitteilung des Innenministeriums hieß es damals, eine
Anwendung von Drittstaatsmodellen auf eine Vielzahl von Asylbewerbern
sei «unrealistisch». Dies gelte auch für den Fall, dass das
Verbindungselement - wie nun vorgesehen - nicht mehr verpflichtend
sei.
Zuvor gab es Kritik an rechter Mehrheit
Das Europaparlament hatte am Mittwoch mit einer rechten Mehrheit den
Weg für Verhandlungen freigemacht. Für das Vorhaben stimmten
überwiegend Abgeordnete der Fraktionen rechts der Mitte, darunter
auch Abgeordnete der AfD. Dagegen stimmten vor allem Linke, Grüne und
Sozialdemokraten.
Aus allen drei Lagern kam Kritik - auch am Vorgehen der EVP-Fraktion
im Europaparlament, zu der CDU und CSU gehören. Die EVP wolle eine
möglichst schnelle und extreme Verschärfung in der Asylpolitik und
nehme dafür eine Zusammenarbeit mit «Rechtsextremen, Klimaleugnern
und Putin-Lobbyisten» in Kauf, hatte Erik Marquardt, Chef der Grünen
im EU-Parlament, kritisiert.
Pro Asyl spricht von Tiefpunkt - EVP lobt Einigung
Die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl bezeichnete die Streichung
des Verbindungselements als «Tiefpunkt in der EU-Flüchtlingspolitik.»
Die aktive Zusammenarbeit der EVP mit den rechten Fraktionen im
Europaparlament sei «eine gefährliche Normalisierung
menschenfeindlicher Politik».
Die EVP argumentiert, sie arbeite bei Gesetzesvorhaben nicht aktiv
mit Rechtsextremen zusammen. Die Brandmauer stehe auch auf
europäischer Ebene, hatte EVP-Chef Manfred Weber (CSU) in der
Vergangenheit gesagt.
Die EVP-Abgeordnete und Verhandlerin Lena Düpont lobte die in der
Nacht gefundene Einigung. «Sie gibt den Mitgliedstaaten die
notwendigen Instrumente an die Hand, um Verfahren effizienter zu
gestalten», sagte die CDU-Politikerin. Bedauerlich sei, dass
Sozialdemokraten und linke Parteien versucht hätten, die Reformen zu
blockieren und sich damit erneut einer sachlichen Auseinandersetzung
mit den realen Herausforderungen irregulärer Migration verweigerten.
Asylreform wird noch vor Anwendung geändert
Der Umgang mit dem sogenannten Verbindungselement stand schon im
vergangenen Jahr bei den Verhandlungen über die Reform des
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) zur Debatte. Die Grünen,
Teil der damals regierenden Ampel-Koalition in Deutschland, hatten
eine Streichung stets abgelehnt.
Festgehalten wurde schließlich, dass das Verbindungselement als
notwendige Bedingungen nach einer Zeit erneut überprüft werden soll -
zunächst aber verpflichtend bleibt. Noch bevor die europäische
Asylreform Mitte nächsten Jahres Anwendung findet, wird diese
Notwendigkeit für Abschiebungen in Drittstaaten nun abgeschafft.
Auch Einigung bei Liste sicherer Herkunftsstaaten
Neben der sogenannten Drittstaatenlösung haben Vertreter von
EU-Staaten und des Europaparlaments auch über eine EU-weit geltende
Liste sicherer Herkunftsstaaten verhandelt und am Vormittag eine
Einigung erzielt: Aus Deutschland und anderen EU-Staaten soll künftig
schneller in die nordafrikanischen Länder Marokko, Tunesien und
Ägypten abgeschoben werden. Dafür werden die Staaten zu sicheren
Herkunftsländern erklärt.
Auch das Kosovo, Kolumbien sowie die südasiatischen Staaten Indien
und Bangladesch sollen demnach zur Liste hinzugefügt werden.
Grundsätzlich sollen auch Länder, die Kandidaten für einen
EU-Beitritt sind, als sicher gelten. Dazu würden dann etwa Albanien,
Montenegro oder die Türkei gehören können. Allerdings können diese
Staaten ausgenommen werden, etwa weil die EU Sanktionen gegen sie
verhängt hat oder weil in dem Land ein bewaffneter Konflikt
ausgebrochen ist.
SPD-Politikerin Birgit Sippel, innenpolitische Sprecherin der
Sozialdemokraten im Europaparlament, kritisierte: «Das vorliegende
Konzept der sicheren Drittstaaten schafft das Asylrecht praktisch ab,
während Herkunftsländer als sicher bezeichnet werden sollen, deren
Umgang mit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechten das
Europäische Parlament erst kürzlich verurteilt hat.»
Liste auch für Deutschland rechtlich bindend
In Deutschland gibt es bereits eine Liste sogenannter sicherer
Herkunftsländer. Die Einstufung soll ebenfalls schnellere
Abschiebungen dorthin ermöglichen. Von den Ländern auf der nun
beschlossenen EU-Liste waren darauf bisher nur das Kosovo, Albanien
und Montenegro als sicher eingestuft.
Die EU-Liste ist bindend für alle Mitgliedstaaten. Gleichzeitig muss
dem Vorschlag nach auch weiterhin immer der Einzelfall geprüft
werden. Menschen, die aus diesen Ländern kommen und in der EU Schutz
suchen, sollen also nicht automatisch abgeschoben werden, bekommen
aber ein beschleunigtes Asylverfahren.
Auch zu diesem Vorhaben braucht es noch eine formelle Bestätigung vom
EU-Parlament und von den EU-Staaten.
