Wer hat das letzte Wort? EuGH urteilt zu Polens Justiz
18.12.2025 04:01
Eine «beispiellose Rebellion» wurde dem polnischen
Verfassungsgerichtshof wegen seiner Urteile zum EU-Recht vorgeworfen.
Nun entscheidet das höchste europäische Gericht dazu.
Luxemburg (dpa) - Der Gerichtshof der Europäischen Union urteilt
heute über die Weigerung des polnischen Verfassungsgerichtshofs,
Entscheidungen des höchsten europäischen Gerichts als verbindlich
anzuerkennen. EU-Recht könne nur beachtet werden, wenn es der
polnischen Verfassung entspreche, hieß es damals von polnischer
Seite. Die EU-Kommission hatte das Land deswegen vor dem EuGH in
Luxemburg verklagt.
«Es wird eine ganz grundsätzliche Frage über das Verhältnis des
Europarechts zum nationalen Recht entschieden, an der auch die
Funktionsfähigkeit der gesamten Europäischen Union hängt», sagte de
r
Europarechtsexperte Franz Mayer von der Universität Bielefeld der
Deutschen Presse-Agentur. «Es wäre in diesen Zeiten schon wichtig,
dass der EuGH sehr deutlich macht: Wer bei diesem Club dabei sein
will, soll sich an die Regeln halten.»
Hintergrund des Falls sind zwei Urteile des polnischen
Verfassungsgerichtshofs (Trybunal Konstytucyjny) aus dem Jahr 2021,
die nach Ansicht der EU-Kommission gegen einen Grundsatz verstoßen:
EU-Recht hat Vorrang. Der Verfassungsgerichtshof befand, dass der
EuGH seine Kompetenzen überschreite, wenn er sich in die polnische
Justiz einmische. Zu der Zeit führte die nationalkonservative
PiS-Regierung das Land. Diese hatte das polnische Justizsystem
umgebaut und damit nach Einschätzung von Experten die Gewaltenteilung
eingeschränkt. Der EuGH wollte bestimmte Reformen stoppen, später
erklärte er sie für EU-rechtswidrig.
«Armdrücken» zwischen EuGH und Verfassungshütern
Dass Europarecht dem nationalen Recht - und auch den Verfassungen -
vorgeht, ist ein für das Funktionieren der EU wichtiger Grundsatz,
den der Europäische Gerichtshof schon seit Jahrzehnten betont.
Mehrere nationale Verfassungsgerichte - darunter auch das deutsche
Bundesverfassungsgericht - hielten aber fest, dass EU-Recht nicht in
die nationale Verfassungsidentität eingreifen dürfe.
Der zuständige EuGH-Generalanwalt bezeichnete das in seinem Gutachten
zu dem Fall als «Armdrücken» zwischen den nationalen
Verfassungshütern und der Rechtsordnung der Union. Er betonte, dass
am Ende der EuGH das letzte Wort haben müsse. Dem polnischen
Verfassungsgerichtshof warf der Generalanwalt aber eine «beispiellose
Rebellion» vor. Eine so offene Absage an den Vorrang des EU-Rechts
wie das polnische Verfassungsgericht hatten andere nationale Gerichte
bisher nicht gewagt.
Vorwürfe betreffen auch Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs
Der zweite zentrale Vorwurf an den Verfassungsgerichtshof betrifft
seine Zusammensetzung. Die EU-Kommission bemängelte
Unregelmäßigkeiten bei Ernennungen von Richterinnen und Richtern,
etwa von Julia Przylebska im Jahr 2016 zur Präsidentin des
Verfassungsgerichtshofs. Sie ist eine enge persönliche Bekannte des
PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski.
Nach der Regierungsübernahme durch den liberal-konservativen Donald
Tusk erkannte Polen die Verstöße vollumfänglich an. Die umstrittene
Richterin Przylebska ist seit gut einem Jahr nicht mehr am
Verfassungsgerichtshof tätig. Der EuGH muss die Vorwürfe dennoch
prüfen.
