Poker um Lagardes Nachfolge: Geht EZB-Spitze an Deutschland? Von Alexander Sturm und Jörn Bender, dpa
18.12.2025 15:40
Bei den Leitzinsen im Euroraum gibt vorerst keine Bewegung.
Langeweile kommt bei der Europäischen Zentralbank trotzdem nicht auf:
Das Rennen um Lagardes Nachfolge hat begonnen.
Frankfurt/Main (dpa) - Seit Monaten halten Europas Währungshüter die
Leitzinsen im Euroraum stabil, ein anderes Thema rückt bei der
Europäischen Zentralbank (EZB) immer mehr in den Vordergrund: die
Nachfolge von Präsidentin Christine Lagarde. Zwar endet die Amtszeit
der Französin erst im Oktober 2027. Doch der Poker um den
Spitzenposten in Frankfurt hat bereits begonnen. Kann Deutschland
erstmals die EZB-Spitze besetzen?
Welche Optionen gibt es für die EZB-Spitze?
Lagarde trat ihr Amt als Nachfolgerin des Italieners Mario Draghi am
1. November 2019 an. Berufen wird der Präsident oder die Präsidentin
der EZB für acht Jahre. Lagarde ist also noch bis Ende Oktober 2027
im Amt. Über ihre Nachfolge wird aber schon spekuliert.
Gleich zwei deutsche Notenbanker haben Interesse bekundet.
«Grundsätzlich dürfte jeder Notenbanker im EZB-Rat die Kompetenz zur
Nachfolge für das Spitzenamt im Eurosystem haben», sagte
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel dem «Spiegel». Deutlicher wurde
EZB-Direktorin Isabel Schnabel im Gespräch mit dem Finanzdienst
Bloomberg: «Wenn ich gefragt würde, stünde ich bereit.»
Angesprochen auf die Spekulationen um ihre Nachfolge, stellte Lagarde
in Frankfurt klar: «Ich habe keinen Lieblingskandidaten. Es gibt
viele sehr gute Kandidaten, Isabel ist eine davon, aber es gibt noch
viele andere, und ich bin mir sicher, dass es in Zukunft noch mehr
geben wird.» Die Französin ergänzte: «Ich finde es in gewisser Weis
e
sehr befriedigend, dass so viele Menschen meinen Job haben wollen. Es
ist ein großartiger Job.»
Kann sich Deutschland Hoffnung machen?
Da Frankreich mit Lagarde und ihrem Vor-Vorgänger Jean-Claude Trichet
schon zwei Mal die EZB-Spitze besetzte, Europas größte
Volkswirtschaft Deutschland aber noch nie, könnte ein deutscher
Kandidat Chancen haben.
SPD-Mitglied Nagel darf auf Unterstützung der Bundesregierung bauen.
Schnabel gilt als ausgezeichnete Ökonomin, bei ihr gibt es aber eine
rechtliche Hürde: Ihr 2027 endendes Mandat darf formal nicht
verlängert werden. Gegen eine deutsche Besetzung der
EZB-Präsidentschaft spricht auch, dass bereits der Chefposten der
EZB-Bankenaufsicht von der deutschen Ökonomin Claudia Buch bekleidet
wird.
Als mögliche Lagarde-Nachfolger wurden in Medien zuletzt auch der
frühere niederländische Notenbankchef Klaas Knot sowie der Spanier
Pablo Hernández de Cos genannt, der derzeit Chef der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist.
Wer entscheidet über die Nachfolge von Lagarde?
Die Besetzung der EZB-Spitzenposten ist Teil eines Brüsseler
Personalpokers. Die Entscheidung liegt bei den Eurostaaten. Noch vor
Lagarde wird EZB-Vize Luis de Guindos die Zentralbank verlassen: Sein
Mandat läuft Ende Mai 2026 aus. EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane geht
ein Jahr später.
Die Lagarde-Nachfolge dürfte daher Teil eines größeren
Personalpaketes werden. Üblicherweise achten die Verhandler darauf,
dass es ein Gleichgewicht von kleinen und großen, südlichen und
nördlichen Euroländern gibt. Das gilt auch für das Verhältnis von
Befürwortern einer harten Geldpolitik («Falken») und den Verfechtern
eines eher lockeren Kurses («Tauben»). Mitte 2029 endet zudem die
Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auch das
dürfte im Ringen um die Spitzenposten eine Rolle spielen.
Wie geht es mit den Zinsen im Euroraum weiter?
Hier ist wenig Bewegung zu erwarten. «Die Zinssenkungen der EZB sind
abgeschlossen, und die Geldpolitik wird keine zusätzlichen expansiven
Impulse mehr setzen», prognostizierte Robin Winkler, Chefvolkswirt
Deutschland bei der Deutschen Bank, schon vor der jüngsten Sitzung
des EZB-Rates - und so kam es auch: Zum vierten Mal in Folge tastete
die Notenbank die Leitzinsen nicht an, der für Sparer und Banken
relevante Einlagenzins bleibt bei 2,0 Prozent.
Michael Heise, Chefökonom beim Vermögensverwalter HQ Trust, glaubt:
«Stabilität dürfte zum neuen Credo der Zinspolitik 2026 werden. Es
ist nicht unwahrscheinlich, dass der Einlagensatz von 2,0 Prozent
auch am Jahresende 2026 noch gültig ist.»
In der Tat scheint die Neigung, die Leitzinsen weiter zu senken,
gering. Immer wieder betonte EZB-Präsidentin Lagarde, die Geldpolitik
sei derzeit «gut aufgestellt». EZB-Direktorin Schnabel sprach sich in
einem Interview für wieder steigende Leitzinsen aus. Sie sei
«durchaus einverstanden» mit der Erwartung der Märkte, «dass der
nächste Zinsschritt eine Anhebung sein wird, wenn auch nicht in naher
Zukunft».
Wie steht es um die Wirtschaft im Euroraum?
Entgegen düsterer Prognosen hält sich die Wirtschaft im Euroraum
trotz des Zollstreits mit den USA robust. Im dritten Quartal legte
das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent zu, getragen von einstigen
Krisenländern wie Spanien und Portugal sowie Frankreich, während
Deutschland schwächelt. Ihre Prognosen für das Wachstum hob die EZB
an: Nach 1,4 Prozent Plus im laufenden Jahr traut sie dem Euroraum
2026 ein Plus von 1,2 Prozent zu.
Hat die EZB die Inflation im Griff?
Die nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgeuferte
Inflation ist eingedämmt. Im November des laufenden Jahres lag die
Teuerungsrate im Euroraum nach jüngsten Eurostat-Angaben bei 2,1
Prozent. Wichtigste Aufgabe der EZB ist es, für einen stabilen Euro
zu sorgen und so die Kaufkraft der Menschen zu erhalten. Das Ziel
sieht die EZB bei einer Inflationsrate von mittelfristig 2,0 Prozent
erreicht. 2025 wird diese Marke nach Schätzung der EZB mit 2,1
Prozent noch leicht überschritten, im kommenden Jahr könnte die
Inflation dann mit 1,9 Prozent darunter liegen.
Was heißt das alles für Sparer?
Die Tages- und Festgeldzinsen sind vergleichsweise niedrig. In der
Regel können Anleger nicht die Inflation ausgleichen, die in
Deutschland im November bei 2,3 Prozent lag. Ersparnisse verlieren
daher an Wert.
Was sind die Folgen für Hausbauer und Immobilienkäufer?
Die Kreditzinsen hängen nicht direkt von den EZB-Leitzinsen ab,
sondern orientieren sich an der Rendite der zehnjährigen
Bundesanleihen. Da Investoren mit den Milliardenausgaben für
Infrastruktur und Verteidigung eine steigende Staatsverschuldung in
Deutschland erwarten, haben die Renditen dieser Papiere angezogen. In
der Folge herrscht bei den Bauzinsen Aufwärtsdruck.
