Polen für Verstoß gegen Grundsätze des EU-Rechts verurteilt
18.12.2025 15:50
Polens Verfassungsgericht wollte EuGH-Entscheidungen ignorieren - ein
Bruch mit grundlegenden Prinzipien der EU, urteilt dieser. Und sendet
auch ein Signal an andere nationale Verfassungsgerichte.
Luxemburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Polen wegen
Verstößen gegen wesentliche Prinzipien des EU-Rechts verurteilt.
Durch die Missachtung der EuGH-Rechtsprechung habe der polnische
Verfassungsgerichtshof gegen tragende Grundsätze wie den Vorrang, die
Autonomie und einheitliche Anwendung des EU-Rechts verstoßen,
entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg. Außerdem sei
der Verfassungsgerichtshof nicht unabhängig und unparteiisch gewesen.
Die EU-Kommission hatte Polen vor dem EuGH verklagt.
Hintergrund des Falls sind zum einen zwei Urteile des polnischen
Verfassungsgerichtshofs (Trybunal Konstytucyjny) aus dem Jahr 2021,
in denen er sich weigerte, Entscheidungen des höchsten europäischen
Gerichts anzuerkennen, weil sie aus seiner Sicht gegen die polnische
Verfassung verstießen. Der EuGH überschreite seine Kompetenzen, wenn
er sich in die polnische Justiz einmische, hieß es. Das höchste
europäische Gericht stellte nun klar: Polen könne sich nicht auf
seine Verfassungsidentität berufen, um sich gemeinsamen EU-Werten wie
Rechtsstaatlichkeit, effektivem Rechtsschutz und richterlicher
Unabhängigkeit zu entziehen. Sie seien für alle Länder, die der EU
beitreten, bindend.
EuGH: Richterernennungen verstießen gegen Grundregeln
Zum anderen bemängelte der EuGH die Zusammensetzung des
Verfassungsgerichtshofs. Es habe «schwerwiegende Unregelmäßigkeiten
»
bei der Ernennung mehrerer Richter und der ehemaligen Präsidentin
Julia Przylebska gegeben. Sie ist eine enge persönliche Bekannte des
Vorsitzenden der nationalkonservativen Partei PiS, Jaroslaw
Kaczynski.
Die PiS-Regierung führte das Land von 2015 bis 2023. In der Zeit
baute sie das polnische Justizsystem um und schränkte damit nach
Einschätzung von Experten die Gewaltenteilung ein. Der EuGH hatte
angeordnet, bestimmte Reformen wegen Rechtsstaatlichkeitsbedenken
auszusetzen. Später hatte er wiederholt wesentliche Teile der
Justizreform für EU-rechtswidrig erklärt.
Polen hatte Verstöße bereits anerkannt - vorerst keine Sanktionen
Nach der Regierungsübernahme durch den liberal-konservativen Donald
Tusk hatte Polen die Verstöße bereits vollumfänglich anerkannt. Sie
hat sich zum Ziel gesetzt, die umstrittenen Neuerungen der
PiS-Regierung rückgängig zu machen. Der EuGH musste die Vorwürfe
dennoch prüfen. Finanzielle Sanktionen gab es durch das Urteil noch
nicht: Sollte Polen dem Urteil nicht zügig nachkommen, könne die
Kommission den Gerichtshof erneut anrufen und dann finanzielle
Sanktionen beantragen, hieß es aus Luxemburg.
Tusk bewertet das Urteil positiv. «Das ist für uns das grüne Licht
für die Reform des Verfassungsgerichts», sagte er laut
Nachrichtenagentur PAP. Nun werde es möglich sein, viele
Richterstellen an dem Gerichtshof neu zu besetzen, da dort die
Amtszeiten auslaufen würden. Auch könne ein neuer Präsident oder eine
neue Präsidentin «auf ehrliche und gesetzmäßige Weise» gewählt
werden. Die umstrittene Richterin Przylebska ist seit gut einem Jahr
nicht mehr am Verfassungsgerichtshof tätig.
EuGH sendet auch Signal an andere Verfassungsgerichte
Dass Europarecht dem nationalen Recht - und auch den Verfassungen -
vorgeht, ist ein für das Funktionieren der EU wichtiger Grundsatz,
den der Europäische Gerichtshof schon seit Jahrzehnten betont.
Mehrere nationale Gerichte - darunter auch das deutsche
Bundesverfassungsgericht - hielten aber fest, dass EU-Recht nicht in
die nationale Verfassungsidentität eingreifen dürfe. Eine so offene
und grundsätzliche Absage an den Vorrang des EU-Rechts wie das
polnische Verfassungsgericht hatten die anderen Gerichte bisher
jedoch nicht gewagt. Der Generalanwalt des EuGH hatte dem Trybunal
Konstytucyjny eine «beispiellose Rebellion» vorgeworfen.
Diesen Machtkampf der Verfassungsgerichte sprach der EuGH auch in der
neuen Entscheidung an: Die nationalen Gerichte könnten die Grenzen
der EU-Zuständigkeit nicht einseitig bestimmen, stellte er klar.
Zweifel über Kompetenzüberschreitungen könnten «nur im Rahmen eines
Dialogs mit dem Gerichtshof» ausgeräumt werden, betonten die
Luxemburger Richterinnen und Richter.
«Das Urteil richtet sich natürlich auch an alle anderen Verfassungs-
und Höchstgerichte», erläutert der Europarechtsexperte Franz Mayer
von der Universität Bielefeld. Auch wenn der EuGH damit auf seinem
Letztentscheidungsrecht insistiere, gebe es eine europarechtliche
Weihnachtsbotschaft: dass es besser miteinander geht als
gegeneinander.
